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06.04.2018

Unheilbarer Krebs: Schriesheimerin lebt schon ein halbes Jahr länger als gedacht

Vanessa Weil ist mit dem Träumen vorsichtig geworden – "Die Wünsche kommen in kleinen Schritten"

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Dass sie ihren 40. Geburtstag noch erleben würde, hatte Vanessa Weil vor einem Jahr nicht gedacht. "Unheilbar" lautete die Diagnose zu ihrem Dottersackkrebs. Die Ärzte rechneten damit, dass Weil noch ungefähr bis zum Oktober leben würde. Doch im Dezember war sie immer noch da, und plötzlich lautete der Befund: "Wir sehen nix." Weil atmet durch. "Da gewöhnt man sich an dieses Wort ,unheilbar‘, und auf einmal weiß man in diesem Moment nicht, soll man jetzt Luft holen oder weiter anhalten?"

Ein exaktes Sterbedatum habe sie nie gehabt, sagt die junge Frau am Esszimmertisch ihrer von der AWO betreuten Wohnung am Schillerplatz. Die Medikamente und Therapien haben Spuren an ihrem Körper hinterlassen: Ihre blonden Haare sind Vergangenheit, sie hat stark zugenommen. Trotzdem lacht sie viel, redet offen über die existenziellen Fragen, die sie sich stellt. Weil spricht schnell, will jeden Moment nutzen, den sie hat.

Auch während der Chemo- und Immuntherapien im vergangenen Jahr war Weil enorm aktiv: Sie bloggte über ihre Krankheit, sammelte mit ihrem Kalender-Projekt "Krebs hat ein Gesicht" Geld, um ein Lotsenprogramm am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) ins Leben zu rufen. "Ich weiß heute gar nicht, wie ich das damals alles geschafft habe", sagt sie und lacht. Um Beerdigung und Testament hatte sie sich frühzeitig gekümmert - im Glauben, sie würde 2018 nicht mehr erleben. Und jetzt?

Dass die Ärzte keinen Tumor mehr fanden, hielt sie anfangs selbst gegenüber ihrer Familie geheim. "Wenn du das sagst, und er kommt wieder, brichst du allen das Herz", sagt sie. Als Wunder würde sie ihre gesundheitliche Entwicklung nie bezeichnen. "Es hat auch nie jemand gesagt, wir können Sie heilen." Deshalb will sie auch nicht davon sprechen, dass der Krebs weg ist: "Er schläft nur."

Wie lange das so gehen wird, kann momentan niemand sagen. Wann sie stirbt, weiß Vanessa Weil nicht, sie weiß nur, woran. "Ich bin immer sehr vorsichtig zu träumen", sagt sie. "Denn je mehr ich träume, desto tiefer ist am Ende der Fall." Auch an Heilungschancen will sie sie nicht festhalten: "Was bringt das, zu wissen, wie die Wahrscheinlichkeiten stehen? Entweder man schafft es - oder eben nicht." Sie habe ihren Frieden mit ihrer Diagnose und ihrem bisherigen Weg gefunden, betont Weil immer wieder. An ihrer grundpositiven Einstellung, jeden Moment sinnvoll nutzen und genießen zu wollen, hat das aber nichts verändert.

Statt Ausstellungen und Spendengalas zu ihrem Projekt gehören zu den Hoffnungsmomenten jetzt auch Nachmittage auf der Couch mit Katze Emma. Die musste Weil aus Rheinland-Pfalz holen: "Kein Tierheim wollte eine Katze an eine todkranke Frau geben." Mit Emma kuscheln, eine Sofadecke häkeln, ein gutes Buch lesen oder einen Spaziergang machen, Dinge einen Tag nach hinten verschieben: Das hätte sich Weil vor einem Jahr nicht getraut. "Diese Unbeschwertheit ist ein Geschenk." Langsam tastet sich Weil so in eine Art Alltag zurück.

"Die Wünsche kommen in kleinen Schritten", sagt sie. Weil plant inzwischen wieder vierteljährlich statt wöchentlich, von Untersuchung zu Untersuchung. Die Auseinandersetzung mit dem Tod war für sie selbstverständlich geworden, nun geht es um ein normales Leben - neben der Pipac-Therapie, bei der Krebsmedikamente mit hohem Druck direkt in die Bauchhöhle geblasen werden.

Jetzt wünscht sich Weil vor allem Konstanz, gesundheitlich und seelisch. "Das emotionale Auf und Ab in den vergangenen Jahren war fast schlimmer als die Therapien", sagt sie. "Das kann einen kaputtmachen." Einen kleinen Schritt in Richtung Normalität will sie am Donnerstag gehen: Zum ersten Mal nach drei Jahren geht sie wieder arbeiten, als Aushilfe für einige Stunden bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber MLP. "Das ist etwas Schönes", sagt sie und lacht. "Genau das, was ich mir gewünscht habe."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung