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07.07.2018

Stolpersteine in Schriesheim: Lora Tobias erlebt mit 89 Jahren Verlegung des eigenen Steins

Stolpersteine in Schriesheim: Lora Tobias erlebt mit 89 Jahren Verlegung des eigenen Steins

Sie floh 1938 mit ihren Eltern in die USA - "Hatte nicht gedacht, dass ich noch einmal nach Schriesheim kommen würde"

Lora Tobias (vorne) vor der Strahlenberger Grundschule, aus der sie früher vor Mitschülern flüchten musste. Foto: Dorn

Schriesheim. (fjm) "Früher bin ich immer noch zu Demonstrationen gegangen", sagt Lora Tobias. "Heute muss ich mich aufs Telefonieren und Briefeschreiben beschränken." Ihre Arthritis macht der 89-Jährigen zu schaffen, politisch aktiv ist die geborene Schriesheimerin und Zeitzeugin der Nazi-Gräuel aber geblieben. Am Donnerstag war die ehemalige Lehrerin bei der Verlegung ihres eigenen Stolpersteins vor der Heidelberger Straße 8 dabei.

"Ich hatte nicht gedacht, dass ich noch einmal nach Schriesheim kommen würde", sagt sie. "Es ist mir eine große Ehre, mich in Ihrer Gegenwart an meine Familie zu erinnern." Deren Schriesheimer Geschichte begann bereits vor 285 Jahren, als sich Tobias’ Ur-Urgroßvater Baruch in der Weinstadt niederließ.

Sie endete abrupt 1938, in der zehnten Generation, mit dem letzten in Schriesheim geborenen jüdischen Kind, als Lora Tobias, damals noch Lore Sussmann, im Alter von neun Jahren mit ihren Eltern in die USA fliehen musste: "Ich konnte es kaum erwarten, das Schiff zu besteigen", erinnert sie sich.

Die Jahre zuvor waren seit dem Erlass der Nürnberger Gesetze durch die Nazis zum Albtraum geworden: Die sechsjährige Lore wurde von ihren Mitschülern beschimpft, im Klassenzimmer von ihrem Lehrer, der ihre Hausaufgaben zerriss, allein in eine Ecke gesetzt, auf dem Weg zur Strahlenberger Grundschule mit Steinen beworfen und musste durch die katholische Kirche in Richtung Heidelberger Straße flüchten.

Über Nacht wurde ihre in Schriesheim verwurzelte Familie ganz offiziell zu Staatsfeinden. "Zu den wenigen, die mich damals beschützt haben, hat Hansjörgs Großmutter gehört", sagte sie bei einem Rundgang am Mittwoch zu Bürgermeister Höfer.

Ihre Eltern und sie schafften es, sich nach der Flucht in die USA ein neues Leben aufzubauen: Lora Tobias, wie sie nun hieß, wurde Lehrerin, wurde Fachfrau für Lerntechniken und bildete später andere Lehrer aus. Diese Chance auf einen Neustart bekam ihr Onkel Ludwig Oppenheimer nicht: Weil er wegen einer Hirnhautentzündung geistig beeinträchtigt war, bekam er von den Vereinigten Staaten kein Visum.

Er wurde deportiert und starb am 22. November 1940 an Typhus im südfranzösischen Lager Gurs. "Als wir ihn verlassen mussten, war das der traurigste Moment meines Lebens", sagte Tobias. "Ich bin die letzte Person, die sich noch an ihn erinnert, und ich bin froh, dass sein Name nun mit dem Stolperstein weiterlebt."

Heute erinnert Tobias an Schulen in den USA an die Gräuel des Nationalsozialismus - und hält diese Aufgabe 80 Jahre nach ihrer Flucht für wichtiger denn je: "Wenn ich mir die Einwanderungspolitik der USA anschaue, wie Familien an der Grenze zu Mexiko getrennt inhaftiert werden, erinnert mich das an die Wächter im KZ", sagt sie. Die politischen Entwicklungen in Ungarn, Polen und Deutschland, all das erschrecke sie: "Das ist unheimlich. Und US-Präsident Trump ist das Vorbild."

Deswegen wird sie weiter erzählen, weiter erinnern, sich weiter engagieren - auch wenn die Stolpersteinverlegung gestern vermutlich ihr letzter Besuch in Schriesheim war, wie sie selbst sagte. Begleitet wurde sie dabei von einem Fernsehteam des Südwestrundfunks (SWR), "Das war mein erstes Interview fürs Fernsehen", sagt Tobias.

"Und ich habe glatt vergessen, mich aufrecht hinzusetzen." Doch auch ohne mediale Aufmerksamkeit war der Besuch in der Heimat für sie ein wichtiger Schritt: "Ohne diese Steine würden wir vergessen werden. So bleibt aber immer ein Name mit einer Bedeutung."

Info: Der Fernsehbeitrag des SWR zu Lora Tobias wird voraussichtlich am Montag, 9. Juli, in der "Landesschau" ab 18.45 Uhr ausgestrahlt.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung