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26.09.2018

Der VW Käfer unter den Weinreben

Der VW Käfer unter den Weinreben

Sie stehen und stehen und stehen - Stöcke der Familie Mildenberger bringen auch nach mehr als 50 Jahren reichen Ertrag

"Je länger ein Weinberg steht, desto besser", sagt Helmut Mildenberger (l.). Beim Setzen der Spätburgunder-Stöcke war er erst drei Jahre alt. Doch auch ein halbes Jahrhundert danach kann er sich bei der Lese auf seinen Vater Ludwig (83) verlassen. Foto: Dorn

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Schlamm, Laub und kleine Äste pflastern die Straße zu Helmut Mildenbergers Weinberg. Orkan "Fabienne" hat seine Spuren hinterlassen. Doch die Reben stehen unbeschädigt. Seit über 100 Jahren befindet sich das Grundstück im Besitz der Familie, deren Mitglieder bis in die Sechzigerjahre von der Landwirtschaft lebten.

Viel hat sich seitdem geändert: Die Mildenbergers sind Winzer im Nebenerwerb, die Rebstöcke stehen weiter auseinander, weil der Wingert maschinell bewirtschaftet wird, und jüngst hat das Westportal des Branichtunnels samt Zufahrtsweg den Weinberg noch einmal deutlich verkleinert.

Drei Rebzeilen haben all das überstanden: 1966 wurden die Stöcke mit Spätburgunder gesetzt, von Hand, mit dem Spaten und ein bisschen Sand. Zwei Jahre später wurde das erstmals urkundlich erwähnt, die Reben der Mildenbergers sind damit jetzt offiziell ein halbes Jahrhundert alt. Helmuts Vater Ludwig Mildenberger war jedes einzelne Mal bei der Lese dabei, auch diesen Herbst lässt sich der 83-Jährige nicht entgehen. An das Setzen der Reben kann er sich noch erinnern.

Ein Meter und 10 Zentimeter lagen die Zeilen auseinander, Platz für Maschinen war damals noch kein Thema. "Das wurde alles mit der Hand gemacht", sagt Helmut Mildenberger. Heute beträgt der Abstand zwischen den Reben fast das Doppelte. Der Einsatz von Maschinen beschränkt sich bei der Lese der Mildenbergers am Montagmorgen aber auf einen etwa 30 Jahre alten John-Deere-Traktor, der inzwischen nicht mehr gebaut wird, aber zuverlässig seinen Dienst verrichtet.

Auch bei ihren Erntehelfern verlassen sich die Mildenbergers auf erfahrene Kräfte: Familienmitglieder und Bekannte haben kein Problem mit Temperaturen um die zehn Grad. Einige hätten sogar von sich aus nachgefragt, wann sie wieder bei der Lese helfen könnten, sagt Helmut Mildenberger. "Das sind immer dieselben. Die wissen, was zu tun ist."

Eine Einweisung braucht keiner der zehn, schnell füllen sie die zwei Silberbottiche. Kaum eine Traube ist aufgeplatzt oder verfault, meist reicht ein kurzer Blick und die Henkel fallen in die Ernteeimer.

Besonders gut haben die drei mehr als 50 Jahre alten Rebzeilen den heißen Sommer überstanden: Tief verwurzelt haben die Stöcke Zugang zu Grundwasser weit unter der Grasnarbe, alle Blätter sind auch nach der lang anhaltenden Trockenheit noch saftig grün. "Dieses Wetter macht den Weinstöcken so gut wie nichts aus", sagt Helmut Mildenberger. "Je länger ein Weinberg steht, desto besser."

Doch nach 20 Jahren nimmt der Ertrag in den meisten Fällen ab, manchmal müssen sich auch die Winzer dem Markt anpassen. Die Rebstöcke der Mildenbergers sind da eine Ausnahme: Zahllose Trauben ernten die Helfer - mit beachtlichen 114 Grad Oechsle.

Wo seit über 50 Jahren Spätburgunder angebaut wird, war zuvor "Österreicher" gepflanzt, wie der Silvaner zu Zeiten von Helmut Mildenbergers Großmutter genannt wurde. Inzwischen wird deutlich mehr Grau- und Weißburgunder nachgefragt und angepflanzt, die Rebzeilen aus den Sechzigern sind damit ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit.

Ausgedient haben sie deswegen aber noch lange nicht: "Bei so alten Reben hat man ganz andere Aromastoffe drin", sagt Ludwig Mildenberger nicht ohne Stolz. Sohn Helmut ergänzt: "Vielleicht können wir sie mal für die Exclusiv-Serie nutzen." Dieses Jahr werten sie den Spätburgunder der Winzergenossenschaft auf, der schon Ludwigs Großmutter vor 83 Jahren beigetreten war. Damals baute die WG ihre Weine noch im Zehntkeller aus, am Montag wird der Most der Halbjahrhundert-Stöcke im Tanklaster zum Badischen Winzerkeller in Breisach gebracht.

Auch diesen Wandel hat der Weinberg der Mildenbergers überdauert. Die freuen sich übrigens trotz der Verkleinerung des Wingerts über den Bau des Branichtunnels: Im eigenen Zuhause in der Talstraße ist es jetzt deutlich ruhiger.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung