Schriesheim im Bild 2023

02.11.2018

"Hier kann ich glauben, was ich will"

"Hier kann ich glauben, was ich will"

Bei ökumenischer Veranstaltung "Kirche hellwach" stand Thema Erinnern im Vordergrund - Flüchtling hielt eindringlichen Vortrag

Pooria Vartavan (links) schilderte am alten Rathaus seine Fluchterfahrungen. Foto: Dorn

Von Katharina Schröder

Schriesheim. "Kirche Hellwach" versammelte auch in diesem Jahr evangelische und katholische Christen zu einem ökumenischen Programm-Abend am Reformationstag. Unter dem diesjährigen Motto "Weißt du noch?" sprachen die Veranstalter über die Rolle, die Erinnerung in Bibel und Gesellschaft spielt. Auch die Themen Asyl und Nationalsozialismus fanden Einzug in den Abend.

Der Eröffnungsgottesdienst wurde in der katholischen Kirche begangen. Vor dem alten Rathaus gab es eine Vortragsreihe. Diese wurde begleitet vom Posaunenchor Schriesheim. Anschließend lud das "Kirche hellwach"-Team zum Filmschauen ins Begegnungszentrum "mittendrin" ein. Der Überraschungsfilm war "Dienstags bei Morrie". Darin geht es um die Treffen eines Sportjournalisten mit seinem ehemaligen Professor, der todkrank ist. Die Veranstaltung endete in der evangelischen Kirche mit Andacht und Segen. Die einzelnen Programmpunkte waren gut besucht. "Wir wollen diesen Abend modular feiern, damit sind die Besucher flexibel", erklärte Rolf Braun vom "Kirche hellwach"-Team.

Das kam gut an. Georg Meisinger ist jedes Jahr dabei: "Es ist wichtig, die Vergangenheit zu bewältigen und die Leute, die zu uns kommen, zu akzeptieren. Das ist wichtig für sie und für uns." Ihm gefiel besonders die Vortragsreihe. Gustava Wiegemann lobte die Veranstaltung ebenfalls: "Mir gefällt die Mischung aus Gottesdienst und Besinnlichkeit, die Filmauswahl ist immer super, und die Ökumene funktioniert gut in Schriesheim."

Unter dem Programmpunkt "In der Gesellschaft drauf geschaut" beleuchteten Vorträge das Thema Erinnerung aus verschiedenen Perspektiven. Andreas Piekenbrock, Professor für Bürgerliches Recht und Insolvenzrecht an der Uni Heidelberg, sprach über die Rolle von Erinnerung bei der Entstehung des Grundgesetzes. Beim Verfassungskonvent von Herrenchiemsee wusste man, wie es zur globalen Katastrophe gekommen war. Mit der Erinnerung an 1933 habe das Grundgesetz eine wehrhafte Demokratie und unveräußerliche Menschenrechte geschaffen. Die Mehrheit entscheide, aber nur im Rahmen der Verfassung, und wenn diese geändert werden soll, erinnere das Grundgesetz an das, was möglich ist: "Ich glaube, dass uns diese Erinnerung guttut."

Auch Pooria Vartavan sprach vor dem zahlreichen Publikum. Er kommt aus dem Iran und ist 2015 mit seiner Familie nach Deutschland geflohen, weil er im Iran seinen christlichen Glauben nicht ausleben konnte. Jetzt macht er eine Ausbildung zum Schreiner in Schriesheim. Er erzählte von seinen Erfahrungen und Erinnerungen während der Flucht. In einem löchrigen Boot sei er mit vielen anderen nachts bei unter null Grad über das Mittelmeer geflohen. Die Ankunft auf Lesbos sei für ihn wie eine Neugeburt gewesen. Er lebe sehr gerne in Deutschland: "Hier kann ich glauben, was ich will, und bin frei dabei."

Die Erzieherin Claudia Kopp wollte ebenfalls über Erinnerung sprechen. Weil sie verhindert war, trug Bärbel Braun vor, was Kopp aufgeschrieben hatte. Die ersten Lebensjahre seien ungeheuer wichtig, da man Urvertrauen und elementare Dinge lerne. Dauerhafte Erinnerungen könnten Kinder ab frühestens 18 Monaten speichern: "Gemeinsames Erinnern in der Familie ist gut für die Entwicklung der Kinder und für unsere Psyche."

Joachim Maier, ehemaliger Theologieprofessor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, sagte, Erinnerung müsse strukturiert werden. Sie gebe Halt und Orientierung, deswegen setzten Menschen Denk- und Mahnmale. Er sprach über Schriesheims Geschichte im Dreißigjährigen Krieg und im Nationalsozialismus. "Ein einfaches ‚Nie wieder‘ reicht nicht, man muss sich die Erinnerung vergegenwärtigen", mahnte Maier.

"Kirche hellwach" organisierten dieses Jahr Markus Enzinger, Bianca Schotten, Waltraud Butsmann, Rolf Braun und Marc Rahmann.

Der Abend hatte mit einer Andacht in der katholischen Kirche begonnen. Foto: Dorn

Copyright (c) rnz-online

"Hier kann ich glauben, was ich will"-2

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung