Schriesheim im Bild 2023

07.01.2019

Annalena Baerbock in Schriesheim: Auf dem fliegenden Teppich bleiben

Der enthusiastische Auftritt von Vorsitzender beim Grünen-Neujahrsempfang entsprach den aktuellen Umfragewerten

Von Frederick Mersi

Schriesheim. "Danke für den schönen Früh-Abend", schreibt Annalena Baerbock ins Goldene Buch der Stadt. Dabei hat der Auftritt der Bundesvorsitzenden beim Neujahrsempfang des Grünen-Kreisverbands im Zehntkeller noch gar nicht begonnen. Dass ihre Partei auch da hingehen müsse, wo es wehtut, betont die 38-Jährige gern. Doch schon vor ihrer Rede weiß sie: In Schriesheim ist sie am Sonntagabend in einer Hochburg zu Gast - grüner Bürgermeister, eine Grüne Liste als stärkste Fraktion im Gemeinderat, die Grünen als Regierungspartei im Land.

Spontaner Applaus brandet auf, als Baerbock den eine Viertelstunde vor Beginn bereits gut besetzten Zehntkeller betritt. Die ersten Besucher waren laut Fadime Tuncer, Vorsitzende des Kreisverbands, schon um 15 Uhr da. Mehrere Smartphone-Fotolichter leuchten auf, Baerbock lächelt, herzt Parteimitglieder und begrüßt Bürgermeister Hansjörg Höfer, während Tobias Escher mit ernster Miene auf der Bühne Akkordeon spielt.

Ansonsten überwiegt im Zehntkeller gute Laune - kein Wunder, angesichts der Umfragewerte, die die Grünen zum Teil als zweitstärkste Partei der Republik einordnen. "Der Aufschwung kommt nicht von ungefähr", sagt Tuncer mit Blick auf Baerbock und Co-Vorsitzenden Robert Habeck.

Denn die Themenschwerpunkte - das wird auch in Baerbocks etwa 20 Minuten langer Rede deutlich - haben sich kaum geändert: Klimaschutz und Nachhaltigkeit mit einem Schuss Sozialpolitik, ein starkes Europa und Eintreten für Demokratie und Menschenrechte. Nur eins ist neu: der Optimismus. Denn wer wolle schon bei der Freiwilligen Feuerwehr mitmachen, wenn dort nur gestritten werde, fragt Baerbock rhetorisch in den Gewölbekeller.

"Das war etwas Frisches und unglaublich positiv", sagt Beate Kuhn, die aus Hirschberg gekommen ist. Grünen-Mitglied sei sie nicht, sagt sie, sondern über Plakate auf die Veranstaltung aufmerksam geworden. "Es war großartig, und sie hat kein einziges Mal ,Äh’ gesagt."

Dabei ist Baerbock nicht unbedingt die brillanteste Rhetorikerin in der Bundespolitik. Den Hambacher Forst nennt sie in ihrer überwiegend frei gehaltenen Rede "Hambacher Wald", der Zehntkeller wird zum "Weinkeller" und die Besucher fordert sie auf, ihre Nachbarn und "Ex-Freunde" zur Teilnahme an der Europawahl zu animieren. Ihr Publikum nimmt ihr das nicht übel - im Gegenteil.

"Das war sehr erfrischend", sagt Thomas Schwiderke aus Weinheim, der an diesem Abend für 35 Jahre Mitgliedschaft bei den Grünen geehrt wird. "Ich bin wirklich beeindruckt, das war sehr ermutigend." Von einer Erneuerung seiner Partei spricht der ehemalige Stadtrat sogar.

Er habe sich bei seinem Eintritt nie vorstellen können, die Grünen einmal in einer derart guten Position zu erleben. "Aber man muss eben einen langen Atem haben", sagt Schwiderke. Ein Thema haben die Grünen mit dem Erstarken populistischer Parteien und extremistischer Strömungen tatsächlich neu für sich entdeckt: die Stärkung des Rechtsstaats. Der benötige auch eine starke Partei, sagt Baerbock - und korrigiert sich dann: "Polizei". Das Publikum lacht. "Das war bei unserer Gründung sicher nicht unser erstes Plakat", scherzt die Hannoveranerin, die zur ersten Stunde der Grünen in Westdeutschland im Januar 1980 noch gar nicht geboren war.

Jetzt ist sie deren Gesicht des Aufschwungs - auch weil sie sich statt Warnungen vor einer Klimakatastrophe und dem Ende der Demokratie auf eine positive Botschaft verlegt. "Ich glaube, dass dieses Jahr ein richtig gutes wird", sagt sie. Für Europa- und Kommunalwahl brauche es Menschen mit Leidenschaft, die gemeinsam "durch die Lande ziehen" und für das Friedensprojekt werben. "Ich komme auch gern zur Kommunalwahl wieder", sagt Baerbock spontan. "Schicken Sie die Anfrage aber bitte an meine Büro-Adresse, die private ist ja nach dem Hacker-Angriff auch im Netz." Mitparlamentarierin Franziska Brantner und Kreisverbandsvorsitzende Tuncer erinnern sie später gern an ihr Angebot.

Alle drei sind als Mütter in der Politik aktiv, Landtagsabgeordneter Uli Sckerl fällt am Sonntagnachmittag deshalb etwas aus dem Rahmen. Seine Botschaft ist jedoch ähnlich positiv: Die grün-schwarze Landesregierung investiere viel in Bildung, Baden-Württemberg sei das Land mit der niedrigsten Langzeitarbeitslosigkeit, nirgendwo gehe es den Kommunen so gut wie hier. Bürgermeister Höfer nickt.

Eine Mahnung will Sckerl, seit 1980 Grünen-Mitglied, jedoch noch loswerden: "Wir wollen den Erwartungen, die in uns gesetzt werden, gerecht werden. Der Teppich mag hoch fliegen, aber wir bleiben drauf."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung