Schriesheim im Bild 2023

02.04.2019

70 Einzelschicksale: Gedenkbuch über Schriesheimer NS-Opfer vorgestellt

Joachim Maier schrieb über Betroffene der Judenverfolgung und Euthanasie - Eine Entschädigung erlittenen Unrechts

Von Günther Grosch

Schriesheim. "Gesund will ich bleiben, wieder zurückkehren". So lautet die letzte Botschaft einer Schriesheimer Jüdin, als sie 1942 von Karlsruhe aus deportiert wurde. Sie kehrte nicht zurück. Briefe wie diese, Standesbücher, Sterbeurkunden, Geburtsregister, sogenannte "Verfolgungsvorgänge" und "Sicherungsanordnungen" zeichnen zusammen mit rund 480 farbigen Abbildungen und Fotografien auf 720 Seiten des gleichnamigen Buches ein Bild der "Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung und ’Euthanasie’ aus Schriesheim".

Verfasser ist der Historiker, Theologe und lange Jahre an der PH Heidelberg lehrende Professor Joachim Maier. Der 73-Jährige hat den in gleich mehrfacher Hinsicht schwergewichtigen Wälzer in akribischer Arbeit nach umfangreichen Studien in den Archiven des Landes und unter Einbeziehung zahlreicher Aussagen von Zeitzeugen recherchiert.

1933 lebten in Schriesheim unter den damals rund 4300 Einwohnern noch 45 jüdische Bürger. "Andere waren aus beruflichen Gründen oder durch Heirat schon lange davor weggezogen", sagte Maier gemeinsam mit Bürgermeister Hansjörg Höfer bei der Vorstellung des von der Stadt herausgegebenen Gedenkbuches.

Das Buch selbst zeichnet in mehr oder weniger großer Ausführlichkeit die Einzelschicksale von 70 jüdischen Kindern, Frauen und Männern nach. "Sie wurden aus Schule und Beruf verdrängt, mussten fliehen oder wurden deportiert und ermordet", so Maier. 25 von ihnen erlitten das tödliche Schicksal der Zwangssterilisation und Euthanasie.

"Angefangen" hat alles im Jahr 2002 mit einem Besuch und den Erzählungen noch lebender Schriesheimer in der Weinstadt, beschreibt Maier seinen Antrieb, "persönliche Zeugnisse aus jener Zeit zu finden". Da müsse doch noch mehr sein als nur das, was im Stadtarchiv vorhanden ist.

Der "Stein, der ins Wasser geworfen" worden war, zog seinen ersten Kreis bereits ein Jahr später mit einer Veröffentlichung im Schriesheimer Jahrbuch. Maier hatte zunächst das Stadtarchiv durchforstet, war sich aber bewusst, dass es in den Kreis- und Generallandesarchiven bis hin zum Hauptstaatsarchiv Wiesbaden noch sehr viel mehr Quellen geben musste.

"Ich wollte meine persönliche Art der Entschädigung und Wiedergutmachung erlittenen Unrechts an den jüdischen Mitbürgern leisten", so Maier. Die Thematik und die Frage von Schuld hätten ihn seit seinem Studium der Geschichte und Theologie als "roter Faden" beschäftigt und begleitet. "Auch, was die Haltung der Kirche im Dritten Reich und deren Versagen und Verrat an den Juden betrifft".

So beschreibt dann auch das Schlusskapitel des Buches zur Wiedergutmachung nach 1945 die Verfahren der Rückerstattung entzogener Vermögenswerte und der Entschädigung für erlittenes Unrecht. Gewürdigt werden zudem die Bemühungen der Stadtgesellschaft um eine "Kultur des Erinnerns", die mit dem Anbringen einer Gedenktafel an der ehemaligen Synagoge ihren Anfang nahm.

Worauf Maier großen Wert legt: Auf keinen Fall wolle das Gedenkbuch Beweggründe oder Motive für das Handeln der Täter verständlich machen. Er sagt: "Das Buch ist den Opfern gewidmet und nicht den Tätern."

Alles was Professor Maier gemacht habe, sei von ihm in ehrenamtlicher Arbeit und aus eigenem Antrieb geschehen, lobte Bürgermeister Höfer den Autor. Obwohl die Stadt als Herausgeber firmiert, handele es sich um keine Auftragsarbeit. Maier habe für seine gut 15-jährige Recherchearbeit sowie die Fahrten zu den verschiedenen Archiven nicht einmal Fahrkarten oder Fahrtkostenerstattung geltend gemacht.

Auch wenn das Buch mehr als 700 Seiten umfasst: "Abgeschlossen" sei das Thema für ihn damit nicht, verweist Maier am Ende auf neue Erkenntnisse und Informationen über ein Altenbacher Euthanasieopfer, die er erst nach Abschluss des Buches erhielt. Hierzu werde es einen Nachtrag in einem der nächsten Schriesheimer Jahrbücher geben.

Die offizielle Vorstellung des Gedenkbuches "Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung und ’Euthanasie’ aus Schriesheim" erfolgt am Dienstag um 19 Uhr, im Rahmen einer Ausstellung und Feierstunde in der Aula des Kurpfalz-Gymnasiums.

Die musikalische Umrahmung liegt in den Händen von Schülern des Gymnasiums. Bürgermeister Höfer übernimmt die Begrüßung, Harald Funke die Einführung in das im Verlag Regionalkultur erschienenen Buches.

Ursula Abele, Stadtarchivarin bis 2006, würdigt den Autor, der im Anschluss Einblicke in seine Arbeit und Briefe von Mathilde Strauss, geborene Oppenheim, aus dem Internierungslager Gurs liest. Nach der Präsentation des Buches lädt die Stadt zu einem Empfang ein, in dessen Verlauf Joachim Maier für Gespräche und zum Signieren des Buches zur Verfügung steht.

Info: "Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung und ’Euthanasie’ aus Schriesheim", (ISBN 978-3-95505-101-3) ist im Buchhandel, bei der Stadtverwaltung Schriesheim, "Utes Bücherstube" sowie bei "Schreibwaren Keck" zum Preis von 39,80 Euro erhältlich.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung