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02.06.2019

Ausgezeichneter Leisesprecher: Joachim Maier erhielt Bundesverdienstkreuz

Ausgezeichneter Leisesprecher: Joachim Maier erhielt Bundesverdienstkreuz

Der Schriesheimer wurde am Freitag für seine Erinnerungsarbeit zum Holocaust ausgezeichnet

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Wie er auf die Nachricht dieser besonderen Ehrung reagiert habe? Joachim Maier zögert. "Etwas benommen", sagt er, lächelt und fügt an: "Und dann habe ich mich gefreut." An seinem linken Revers prangt seit einigen Minuten ein rotes Emaille-Kreuz, das ihm Theresia Bauer, Wissenschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg, angeheftet hat. Als der Schriesheimer Theologie-Professor im Februar erfährt, dass er für sein Engagement zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus das Bundesverdienstkreuz erhält, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Urkunde schon unterschrieben.

Als Glücksfall für eine Stadt wie Schriesheim bezeichnet Bürgermeister Hansjörg Höfer den 73-Jährigen am Freitag im großen Sitzungssaal des Rathauses. Zu Maiers Auszeichnung habe man dort erstmals die Fahne der Bundesrepublik, des Landes und der Stadt aufgestellt. Maier habe einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins geleistet, so Höfer.

Von einem Teil seiner ehrenamtlichen Arbeit kann sich die Wissenschaftsministerin auf dem Weg in den Ratssaal ein Bild machen: Seit einigen Wochen zeugt eine Ausstellung im Treppenhaus und in den Fluren des Verwaltungssitzes von Schicksalen der Schriesheimer Opfer des Nationalsozialismus. Maier hat dazu unter anderem ein mehr als 700 Seiten starkes, wissenschaftlich aufgearbeitetes Werk verfasst, über 30 Archive durchstöbert, mehr als 15 Jahre in die Spurensuche investiert.

"Eine Aufgabe, die heute wichtiger denn je ist", sagt Theresia Bauer. Laut einer im März veröffentlichten Studie wüssten 40 Prozent der Deutschen im Alter von 18 bis 34 Jahren wenig bis gar nichts über den Holocaust. "Wir haben die Aufgabe, das Vergessen nicht zu erlauben", so Bauer. "Wenn die letzten Überlebenden von uns gehen, wird das wichtiger und komplizierter."

Für Maier wurde dieses Engagement zur Lebensaufgabe: Nicht nur in Schriesheim trug er durch Gedenkstunden, Publikationen und die Organisation von Besuchen Überlebender zur Erinnerungsarbeit bei, auch in seiner Funktion als Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg und in seiner Heimatstadt Freudenberg am Main. "Sie setzen ein starkes Zeichen gegen Hass, Gewalt und Antisemitismus", lobt Bauer. "Sie sind dabei kein Lautsprecher, sondern ein kluger Leisesprecher."

Eine Eigenschaft, die auch Ursula Abele schätzt. Sie leitete 28 Jahre lang das Schriesheimer Stadtarchiv und bat 2002 zwei Mitbürger um Hilfe bei der Aufarbeitung der NS-Zeit in der Weinstadt: Joachim Maier und Monika Stärker-Weineck. "Als das anfing, gingen die Emotionen im Ort schon hoch", erinnert sie sich nach der Ehrung. "Herr Maier hat aber immer eine sehr sachliche Sprache genutzt, das hat dabei sehr geholfen."

Der Erfolg dieser Erinnerungsarbeit sei nicht messbar, sagt Wegbegleiterin Stärker-Weineck. "Wir sind am Anfang aber schon auf sehr unschöne Weise angefeindet worden, und jetzt wird der Zuspruch bei Stolpersteinen und Gedenkveranstaltungen stetig größer." Ganz verschwunden ist der Widerstand gegen die Erinnerungsarbeit aber nie. 2017 entschied der Gemeinderat daher mit großer Mehrheit, die kleinen Mahnmale auch gegen den Willen von Eigentümern vor deren Häusern zu ermöglichen. Im Juli 2018 erfolgte die Verlegung, in Anwesenheit von Überlebenden und Angehörigen der NS-Opfer.

"Das macht einem schon Mut", sagt Stärker-Weineck. Maiers Auszeichnung sei "total verdient". Der Geehrte selbst beschreibt die Medaille in seiner Rede als Zeichen, dass der Staat zu Verantwortung in Freiheit ermutigt. Er zitiert aus dem Grundgesetz, dass sich Deutschland verpflichtet habe, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. "Wenn sich der Staat zu etwas verpflichtet, geht uns das alle an." Er werde noch eine Weile zur Erinnerungsarbeit beitragen, "aber sicher nicht endlos".

Für das bereits Geleistete erhält er von den Gästen im Ratssaal aber erst einmal stehenden Applaus.

HINTERGRUND
> Joachim Maier wurde am 26. Dezember 1945 in Miltenberg geboren. Er studierte Katholische Theologie und Geschichte in Freiburg und Würzburg. Nach seinem Referendariat lehrte er zwei Jahre am Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen. 1980 zog er nach Schriesheim, 1982 promovierte er an der Freiburger Universität. Ein Jahr später kam er als Studienrat für Katholische Theologie an die PH Heidelberg. Nach drei Jahren an der TU Dresden kehrte Maier 1996 an die PH zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung 2009 den Lehrstuhl für Katholische Theologie und Religionspädagogik innehatte. Seit 2001 erforscht er die jüdische Geschichte der Stadt Schriesheim. fjm

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung