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28.08.2019

Volkssternwarte Schriesheim: Zu den Sternen und zurück

Volkssternwarte Schriesheim: Zu den Sternen und zurück

Vor 35 Jahren verwirklichte eine Gruppe junger Hobby-Astronomen ihren Traum. Jetzt sind die Tage der Volkssternwarte gezählt.

10 800 Arbeitsstunden investierten Ehrenamtliche in den Bau der Volkssternwarte am Ladenburger Fußweg. Genutzt werden kann sie jetzt nicht mehr. Foto: Dorn

Von Frederick Mersi

Schriesheim. "Lässt sich da nicht noch irgendwas machen?" Hartmut Gilbert schaut wehmütig Richtung Westen. Zahllose Tage und Nächte hat der 51-Jährige in der Christian-Mayer-Volkssternwarte am Ladenburger Fußweg verbracht, selbst an Heiligabend sei er spontan hingefahren, sagt er. "Nein, sie ist wohl nicht mehr zu retten", sagt Monika Maintz, die bis zuletzt zum Leitungsteam gehört hatte. Die Tage der Sternwarte, einst wahr gewordene Utopie einer Gruppe von Hobby-Astronomen, sind gezählt. Das Gelände soll "einem anderen Zweck zugeführt" werden, sagt Stadtkämmerer Volker Arras.

Es ist das Ende einer Geschichte mit einem kometenhaften Aufstieg und einem jahrelangen schleichenden Niedergang, die der Einrichtung und ihres Betreibervereins, der Arbeitsgemeinschaft Volkssternwarte Schriesheim (AVS). Alles begann mit großem Enthusiasmus. Am 12. April 1969, drei Monate vor der ersten Mondlandung, gründeten fünf weltraumbegeisterte Klassenkameraden den Astronomie-Club Schriesheim. Die Mitglieder organisierten vor allem Ausstellungen, gleichzeitig entstand aber die Idee, eine öffentliche Sternwarte zu bauen. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", lautete der Leitspruch.

Um den Traum zu realisieren, gründete eine Gruppe junger Schriesheimer um Kurt Seib im Juli 1976 die AVS. Schon zum Jahresende stellte der Verein eine erste Planung für die Sternwarte vor, 1977 gab der Gemeinderat zunächst 65.000 D-Mark für den Bau frei. Es dauerte noch zwei Jahre, bis die Stadt nahe der A 5 ein geeignetes Gelände fand. Erst im Februar 1980 begann der Bau der Sternwarte. Um Geld zu sparen, packten die Vereinsmitglieder fast überall selbst an. 10.800 Arbeitsstunden flossen in den großen Traum, in die Tiefen des Universums blicken zu können. 1983 übergab der Verein das Gebäude samt Inventar der Stadt, 1984 folgte die feierliche Eröffnung. Ein Mammutprojekt war abgeschlossen, doch die Arbeit begann erst.

Die Hobby-Astronomen organisierten mindestens 50 Veranstaltungen, Vorträge und Gesprächsrunden pro Jahr. So war es mit der Stadt vereinbart worden. Gleichzeitig träumten einige Mitglieder davon, die Anlage zu erweitern. Ein zweiter Bauabschnitt wurde schon in den 80er Jahren geplant, doch die Umsetzung stockte.

"Wir waren zehn Jahre jedes Wochenende am Bauen", erinnert sich Gerhard Hirth, der in den Neunzigern zur AVS stieß. Die Mitgliederzahl des Vereins erreichte einen Rekordstand, die meisten kamen von außerhalb Schriesheims in die Einrichtung gefahren. Gleichzeitig waren die Ziele sehr unterschiedlich: Während die einen in die Tiefen des Universums schauen wollten, hatten andere vor allem die Sternwarte als Gebäude im Blick.

Als Sternwarten-Pionier Kurt Seib 2010 den Vorsitz des Vereins an Peter Wright weitergab, offenbarten sich immer größere Probleme. Die Mitgliederzahlen sanken, der Zustand des Gebäudes wurde immer schlechter. Mit der Stadt gab es zudem Streit um Zuschüsse. "Das war ein Teufelskreis", sagt Monika Maintz rückblickend. "Wir haben uns bei der Instandhaltung des Gebäudes aufgerieben, um Geld erwirtschaften zu können. Gleichzeitig mussten wir durch Veranstaltungen Geld erwirtschaften, um das Gebäude zu sanieren." Viele Sterngucker verloren die Begeisterung. "Man hätte damals eventuell schon sehen können, dass das Projekt nicht mehr zu retten war", sagt Maintz.

Mit Oliver Dreissigacker leitete sie den Verein bis 2017. "Die letzte Veranstaltung war der ,Türöffnertag‘ der ,Sendung mit der Maus’ am 3. Oktober 2016", sagt er. "Den Tag der offenen Tür an Pfingsten hatten wir da schon abgesagt, weil nicht mehr genügend Leute da waren." 2017 wurde der Verein an Weihnachten aufgelöst - nach 41 Jahren. Wo einst ein Wille war, sahen die Mitglieder keinen Weg mehr.

Jetzt steht die Sternwarte am Ladenburger Fußweg leer, das Gelände wuchert zu, in einigen Räumen riecht es vermodert. Das Gebäude darf aus Brandschutzgründen nicht mehr genutzt werden. Am Sonntag haben Freiwillige der Robert-Mayer-Sternwarte Heilbronn Geräte und Bücher abgeholt, die sie noch verwenden oder archivieren können. Was mit dem Gebäude geschehen wird, ist unklar. "Wir werden den Gemeinderat bis spätestens Anfang 2020 über das weitere Vorgehen unterrichten", sagt Kämmerer Arras. Es ist das Ende einer Reise zu den Sternen und wieder zurück.

Blättern in Erinnerungen: Oliver Dreissigacker, Monika Maintz und Hartmut Gilbert (v.l.) verbrachten unzählige Stunden in der Christian-Mayer-Volkssternwarte. Foto: Dorn

Veranstaltungen der Sternwarte
Mehr als 30 Jahre fanden in der Volkssternwarte Schriesheim Veranstaltungen rund um Themen der Astronomie statt. Bei Vorträgen erfuhren die Zuhörer auch die neusten Forschungsergebnisse. Dabei gab es im Anschluss an die Vorträge die Möglichkeit, durch eines der Teleskope der Sternwarte Objekte am Himmel zu beobachten. Ein Überblick:
> Halleyscher Komet: 1986, rund zwei Jahre nachdem die Volkssternwarte Schriesheim ihren Betrieb aufgenommen hatte, erschien am Himmel der Halleysche Komet, der mit seinem langen Schweif ein besonderes Schauspiel am Nachthimmel bot. Den Besucherandrang konnten die Mitglieder des Trägervereins in dieser Zeit kaum bewältigen. Ganze Familien kamen in den Abend- und Nachtstunden, um durch eines der Teleskope einen Blick auf den Kometen zu erhaschen.
> Mondfinsternis 2011: Gut 30 Besucher zählte man an diesem Abend im Juni 2011 in der Sternwarte. Vielleicht waren nicht mehr Besucher gekommen, da die Wettervorhersage eher einen bewölkten Himmel versprach und damit keine freie Sicht auf den Mond möglich schien. Doch die Wolkendecke über Schriesheim riss auf, es zeigte sich der teils vom Erdschatten bedeckte Mond. Die Phase, als der Mond sich im Kernschatten der Erde befand, war zwar schon vorüber, jedoch gehörte die Region zu den wenigen Orten im Land, in denen überhaupt etwas zu sehen war.
> Tage der offenen Tür: Jedes Jahr zu Pfingsten öffnete die Volkssternwarte ihre Pforten für die Allgemeinheit und zog vor allem bei sonnigem Wetter zahlreiche Besucher an. Bei Kaffee und Kuchen ließen sich selbst tagsüber mit einfachsten Mitteln mit einem sogenannten Solarscope Sonnenflecken beobachten.
> Vorträge rund um astronomische Themen gab es dazu im Zeitraum von September bis Mai. Manchmal blieb man dabei im erdnahen Bereich, so wie Oliver Dreissigacker, der im Mai 2014 von seinen Erfahrungen bei einem Parabelflug berichtete, bei dem für kurze Zeit in einem Flugzeug der Zustand der Schwerelosigkeit erreicht wird. ze

35 Jahre Christian-Mayer-Volkssternwarte im Überblick
> 12. April 1969: Eine kleine Gruppe von der Sternenkunde begeisterter Menschen gründet den Astronomie Club Schriesheim als losen Zusammenschluss. Am 11. April 1970 eröffnet der Verein seine erste Ausstellung.
> 26. April 1976: Nach der Einrichtung einer Privatsternwarte samt Sonnenbeobachtergruppe wird die Arbeitsgemeinschaft Volkssternwarte Schriesheim (AVS) ins Leben gerufen. Zweck ist die "Pflege und Förderung der volkstümlichen Astronomie im weitesten Sinne durch astronomische Volksbildungsarbeit, Bau, Ausbau und Betrieb einer Schriesheimer Volkssternwarte und Unterstützung amateurastronomischer Aktivität".
> Februar 1980: Beginn der Bauarbeiten für die Volkssternwarte am Ladenburger Fußweg. Fast alle Teile der Anlage werden von den AVS-Mitgliedern selbst errichtet. Den Gesamtwert beziffert die Stadt 1989 auf 435.000 D-Mark.
> 14. April 1984: Feierliche Einweihung der Christian-Mayer-Volkssternwarte im Vereinsraum der Mehrzweckhalle. Zu den Ehrengästen gehörten Bundestagsabgeordnete Roswitha Wisniewski (CDU) und Landrat Albert Neckenauer.
> 26. Oktober 1985: Die Arbeitsgemeinschaft Bundesdeutscher Volkssternwarten tagt erstmals in Schriesheim.
> 1997: Die Volkssternwarte verzeichnet mit 4834 Besuchern einen Jahresrekord. Dazu trägt vor allem Hale-Bopp bei, der wohl am meisten beobachtete Komet der Weltgeschichte. Er kann über 18 Monate ohne Hilfsmittel gesehen werden. Sonst liegen die Besucherzahlen der Volkssternwarte in den 80er und 90er Jahren im Schnitt bei etwa 3000.
> 2010: Kurt Seib, Gründungsmitglied der AVS, legt sein Amt als Vorsitzender nieder. Sein Nachfolger Peter Wright versucht, ein von mehreren Vereinen getragenes Wissenschaftszentrum an der Sternwarte zu etablieren - erfolglos.
> 3. Oktober 2016: Zum "Türöffnertag" der "Sendung mit der Maus" findet die letzte Veranstaltung in der Sternwarte statt.
> Ende 2017: Die Arbeitsgemeinschaft Volkssternwarte löst sich auf.
> 25. August 2019: Die Robert-Mayer-Sternwarte Heilbronn holt Geräte und Bücher aus der Sternwarte ab, um sie selbst zu verwenden oder zu archivieren. (fjm)

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung