Schriesheim im Bild 2023

05.09.2019

Vater und Tochter führen die Schriesheimer Weinstube

Vater und Tochter führen die Schriesheimer Weinstube

Wilhelm Müller hat mit Tochter Martina eine begeisterte Nachfolgerin gefunden - Im Weinstuben-Wohnzimmer aufgewachsen

Martina Müller hat in der Gastronomie viel gesehen, schätzt aber die traditionelle Weinstube ihres Vaters Wilhelm umso mehr: "Ich möchte keinen Betrieb führen, in dem ich mich verbiegen muss", sagt sie. Foto: Dorn

Von Nadine Rettig

Schriesheim. "Es soll sich jeder wohlfühlen, der hier reinkommt", sagt Wilhelm Müller und lässt seinen Blick durch die urige Weinstube schweifen, in welche er schon seit 1980 sein Herzblut steckt. Mit der Hilfe seines Vaters, Martin Müller, hat der Schriesheimer damals den unteren Bereich seines Elternhauses zu einer Gaststube umgebaut und sich als Quereinsteiger in das Abenteuer Gastronomie gewagt. Fast 40 Jahre später ist der Familienbetrieb noch immer eine beliebte Adresse in der Weinstadt.

100 Plätze bietet der Innenbereich, 40 zusätzliche Plätze gibt es draußen. Über mangelnde Auslastung könne er sich nicht beschweren, sagt Müller. Einiges hat sich in den 40 Jahren verändert, doch seinen Grundsätzen ist der Gastronom stets treu geblieben. Das hat er auch seiner Tochter Martina Müller weitergegeben, die den Betrieb seit inzwischen zehn Jahren gemeinsam mit ihrem Vater führt.

"Mir war es wichtig, den Stil meines Vaters beizubehalten", sagt sie. Sie will Präsenz zeigen und den persönlichen Kontakt mit den Gästen suchen. Nur so könne man die Bedürfnisse der Gäste herausfinden und diesen gerecht werden, sagt sie. Viele Stammgäste kennt die Schriesheimerin schon ein Leben lang. "Ich bin quasi in der Weinstube hier aufgewachsen", sagt Martina Müller und lacht.

Wenn sie vom Betrieb erzählt, wird schnell klar, dass sie die Leidenschaft des Vaters geerbt hat. "Wir nennen es immer das ‚Gastro-Gen‘", sagt sie. In Zeiten, in denen immer mehr Betriebe schließen müssen, weil kein Nachfolger gefunden wird, ist die Entscheidung seiner Tochter für Wilhelm Müller ein Glücksfall. Schon als Kind sei sie immer auf einer Weinkiste hinter dem Tresen gestanden, sagt er.

In der Winzerstube in Lützelsachsen wurde Martina Müller zur Restaurantfachfrau ausgebildet, in Heidelberg hat sie anschließend ihren Betriebswirt gemacht. Um Erfahrungen zu sammeln, arbeitete sie auch in Hamburg in der gehobenen Gastronomie. Dort sei ihr aber einmal mehr klar geworden, dass in ihrem Betrieb das Ursprüngliche beibehalten werden solle, sagt Müller: "Ich möchte keinen Betrieb führen, in dem ich mich verbiegen muss."

Deshalb biete die Weinstube weiter gut bürgerliche Küche. "Und genau auf die beiden Worte ‚gut‘ und ‚bürgerlich‘ legen wir in unserer Küche besonders großen Wert", betont Wilhelm Müller. "Es ist wirklich ein Geschenk, dass wir in einer Region leben, in der wir so viele Produkte regional beziehen können." Aus eben diesem Grund kaufe er auch bei kleinen Händlern, zu denen er einen guten persönlichen Kontakt pflege. Dass bei aller Tradition auch Veränderungen nötig sind, ist Vater und Tochter aber bewusst. "Früher haben wir fast 90 Prozent kalte Speisen serviert, heute ist es genau umgekehrt", sagt Wilhelm Müller.

Mit zehn Themenwochen im Jahr, bei denen die Gäste aus zehn Gerichten zu einem zur Jahreszeit passenden Thema wählen können, haben die beiden für frischen Wind gesorgt. Dass positive Rückmeldungen von den Gästen die beste Entschädigung für den stressigen Alltag in der Gastronomie sind, darüber sind sich Vater und Tochter einig. "Viele sagen, sie vermissen ihr zweites Wohnzimmer, wenn wir Urlaub haben", sagt Martina Müller. Das sei das schönste Kompliment, das man bekommen könne. Zu dieser gemütlichen Atmosphäre passen die Schwarz-Weiß-Bilder der Familie an der Wand, die Einblicke in die zweite Leidenschaft der Müllers geben: den Weinbau.

"Es ist ein schöner Ausgleich", sagt Wilhelm Müller. Zwölf seiner eigenen Weine gibt es in der Weinstube zur Auswahl. Es sei beruhigend zu wissen, dass seine Tochter für den Betrieb da sei, sagt er. Doch die Leidenschaft für seine Weinstube, die ist auch nach fast 40 Jahren genauso vorhanden wie am ersten Tag.

Warum früher nicht alles besser war
Ob Weinflaschen, die gleich am Eingang stehen, oder die eisernen Reben, die als Dekoration den Raum zieren: Dass Wilhelm Müller nicht nur Gastronom, sondern auch mit Herzblut Winzer ist, ist in seiner Weinstube auf den ersten Blick zu erkennen.

Ähnlich wie seiner Tochter die Leidenschaft für die Gastronomie in die Wiege gelegt wurde, hat auch Wilhelm Müller die Liebe zum Weinbau bereits seit Kindertagen entwickelt. Schon sein Vater Martin sei Aufsichtsratsvorsitzender der Winzergenossenschaft gewesen, erinnert sich Wilhelm Müller zurück.

Sechs Traubensorten baut er heute auf rund 2,5 Hektar Fläche an. Und über viele Jahrzehnte hinweg konnte er beobachten, wie sich der Weinbau Stück für Stück veränderte. "Früher war es viel mehr körperliche Arbeit, heute läuft ganz vieles maschinell", nennt Müller als größten Unterschied. Doch das heißt nicht immer, dass die Arbeit einfacher wird. "Die Arbeit mit den Maschinen braucht sehr viel Konzentration", weiß er aus eigener Erfahrung. Früher sei man nach einem Tag im Weinberg vielleicht körperlich erschöpft gewesen, dafür sei man heute im Kopf mehr gefordert.

Die Zeit der Lese habe sich zudem gerade in den vergangenen Jahren durch den Klimawandel deutlich nach vorne verschoben. Doch nicht nur in ihrer Arbeitsweise müssen die Winzer mit der Zeit gehen: Auch die Weinsorten, die sie produzieren, seien immer unterschiedlich gefragt. "Auch der Geschmack der Konsumenten hat sich gewandelt, und dem müssen wir uns anpassen", sagt Müller. Während heute der Schwerpunkt auf den Burgundersorten läge, seien vor einigen Jahren noch Riesling oder Silvaner an der Spitze der beliebtesten Sorten gestanden.

Ein Wandel, über den sich Müller besonders freut, ist die Kollegialität unter den Schriesheimer Winzern. "Das hat sich zum Glück weg von den Alphatieren und hin zu einer tollen Gemeinschaft entwickelt", sagt er und lacht. "Es geht nur noch gemeinsam."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung