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18.09.2019

Wenn Rentner auswandern: "Nach Deutschland werde ich nicht mehr kommen"

Wenn Rentner auswandern: "Nach Deutschland werde ich nicht mehr kommen"

Schon mit 20 Jahren beschloss Claudia Nagelstein, ihren Lebensabend in Andalusien zu verbringen - Seit 2012 lebt sie dort auf dem Land

Claudia Nagelstein wanderte im September 2012 von Schriesheim nach Alhaurín de la Torre aus. Foto: privat

Von Carsten Blaue

Alhaurín de la Torre/Schriesheim. Claudia Nagelstein war mal Schriftführerin im Bund der Selbstständigen (BDS) in Schriesheim. Im Schützenverein führte sie die Mitgliederverwaltung und war Datenschutzbeauftragte. Aus dem öffentlichen Leben der Stadt war sie nicht wegzudenken damals. Sie besaß eine große Gewerbeimmobilie. Darin ein Restaurant, das sie immer verpachtete, und eine Spielhalle, die sie selbst betrieb. Es war ein anderes Leben. Heute wohnt Claudia Nagelstein in Spanien auf dem Land. Genau gesagt, in Alhaurín de la Torre, 20 Minuten weg vom pulsierenden Málaga.

Schon im Alter von 20 Jahren beschloss sie, ihren Lebensabend in Andalusien zu verbringen. Bereits als Kind hatte sie ihre Ferien dort verbracht: "Land und Leute, Essen, Mentalität, Hilfsbereitschaft, Klima: Das alles war immer mein Ding." Nagelstein sparte und arbeitete immer darauf hin: "Ich wurde ausgelacht." Als Angeberin mit großer Klappe sei sie hingestellt worden: "Aber das war mir egal." Und diese Stimmen verstummten, als sie im Jahr 2000 ihre Finca mit einem riesigen Grundstück kaufte. Am 12. September 2012 wanderte sie aus und nahm ihre elf Perser- sowie Exotik-Shorthairkatzen mit. Wieder erntete sie Spott. Wie man nur so viele "Katzenviecher" mit im Flugzeug nach Spanien nehmen kann! Doch Tierliebe ist für sie Verantwortung, also ließ sie auch das an sich abperlen.

Heute leben noch fünf der Katzen, und auch zehn weitere "Adoptivos" hat Nagelstein aufgenommen. Für ihre Tiere hat sie rund 1500 Quadratmeter ihres Grund und Bodens mit Fundament, also "katzensicher", einzäunen lassen. Das Grundstück ist ein Paradies für die Vierbeiner. Und für Nagelstein sowieso. Hier wachsen Tomaten, Paprika, Auberginen, Avocados, Zitronen, Mandarinen, Saftorangen, Feigen und Granatäpfel. Unter anderem. Zu jeder Jahreszeit ist etwas reif. Auch 23 Olivenbäume hat Nagelstein, aus deren Früchten sie jedes Jahr ihr eigenes Olivenöl pressen lässt: "Ich habe alles frisch, inklusive ,glückliche Eier’". Die bekommt sie von Freunden, die Hühner haben, und gibt im Gegenzug, was sie selbst erntet.

"Hier grünt und blüht es das ganze Jahr. Grau und trist gibt es hier nie", sagt Nagelstein und schwärmt von ihrem neuen Zuhause: "Heute bin ich 65 Jahre alt und jeden Morgen dankbar, wenn ich aufwache, dass ich hier leben darf."Alhaurín de la Torre hat 40.000 Einwohner und ist keine "deutsche Hochburg", wie Nagelstein sagt: "Hier leben Spanier und ich mit ihnen." Voraussetzung sei dafür natürlich die Sprache. Schon zu Schriesheimer Zeiten lernte sie Spanisch und nahm in Alhaurín sofort Unterricht, denn: "Ohne die Sprache hat man keine spanischen Freunde und bleibt Außenseiterin." Als sie die Finca erworben hatte, begann sie gleich damit, sich einen Freundeskreis in der neuen Heimat aufzubauen. Vergangenes Jahr musste Nagelstein geschäftlich für fünf Tage zurück nach Deutschland. Sie traf auch alte Freunde in Schriesheim und war in Heidelberg unterwegs. Die Bratkartoffeln im "Hackteufel" ließ sie sich nicht entgehen, und auch im "Weißen Bock" und im Stift Neuburg schaute sie vorbei. Alles in allem sei es für sie aber "furchtbar" gewesen.

Mit dem Abstand, den sie hat, empfindet sie hierzulande Ausländerfeindlichkeit, die sie schockiert. Ihr Land sei das jedenfalls nicht mehr. Auch ihr Gewerbeanwesen in Schriesheim hat sie inzwischen verkauft, und schon seit ihrem Aufbruch nach Andalusien hat sie in der alten Heimat keinen Wohnsitz mehr. Eine Rückkehr ist für Nagelstein ausgeschlossen: "Nach Deutschland werde ich nicht mehr kommen." Sie fühlt sich als "Alhaurína": "Hier bin ich daheim, hier fühle ich mich wohl."


Hintergrund: Es gibt Fallstricke

Wie viele deutsche Rentner leben im Ausland? Die Zahl steigt laut Daten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) stetig. 1992 gab es 115.000 Fälle, im Jahr 2000 rund 152.000, 2010 bereits 206.000 und inzwischen - Stand 2018 - mehr als 240 00. Einzig 2002 und 2005 gab es winzige Dellen in der Entwicklung.

Wohin zieht es die Senioren? Die zehn beliebtesten Länder sind aktuell die Schweiz (ca. 26.400 ), Österreich (25.000 ), USA (24.000 ), Spanien (21.400 ), Frankreich (17.700 ), Niederlande (10.400 ), Kanada (9500), Australien (8900), Großbritannien (7800) und Italien (7300).

Wird die Rente im Ausland in voller Höhe weiter gezahlt? Normale Altersrenten in der Regel ja. Allerdings gibt es ein paar Sonderfälle, in denen es zu Kürzungen kommen kann. Betroffen sind zum Beispiel Vertriebene und Spätaussiedler. Das Fremdrentengesetz sieht vor, dass Ansprüche, die sie in ihren Herkunftsländern erworben haben, ins deutsche System übernommen werden. Dies gilt aber nur bei einem Wohnsitz in der EU, in Liechtenstein, Norwegen, Island und der Schweiz. Wer woanders hinzieht, könnte also einen Teil seiner Rente verlieren.

Ähnliches gilt in Sonderfällen, in denen bislang eine volle Erwerbsminderungsrente gezahlt wird, obwohl der Empfänger nur teilweise erwerbsunfähig ist. Auch hier droht eine Rückstufung.

Brauche ich weiter ein deutsches Bankkonto? Nein, die Rente wird auch auf ein ausländisches Konto ausgezahlt. Bei der Umrechnung in die neue Landeswährung kann es natürlich zu Schwankungen kommen - außerdem zu höheren Bankbearbeitungsgebühren, betont die DRV. Es ist aber auch möglich, ein deutsches Konto weiterlaufen zu lassen.

Was ist noch zu beachten? Rentner im Ausland müssen einmal im Jahr bestätigen, dass sie noch am Leben sind. Dazu bekommen sie ein Formular zugeschickt, das an die DRV zurückgesendet werden muss. Diese rät dazu, einen Umzug rechtzeitig mit der Versicherung zu besprechen und spätestens zwei Monate vorher die neue Adresse und Bankverbindung anzugeben, damit nichts schiefgeht.

Zahlt die Krankenversicherung im EU-Ausland? Kassenpatienten bleiben bei ihrer deutschen gesetzlichen Versicherung und melden sich bei einer Krankenkasse im neuen Land. Damit haben sie Anspruch auf dieselben Leistungen wie dortige "Inländer" - die Versicherung des Gastlandes zahlt dafür und rechnet mit der deutschen Kasse ab. Für Privatversicherte kommt es auf die jeweiligen Bedingungen ihres Vertrages an. Für Pensionäre zahlt in der Regel die Beihilfe weiter - allerdings nur zu den in Deutschland üblichen Sätzen. Die Differenz zu den Kosten vor Ort bleibt am Patienten hängen.

Und im Pflegefall? Hier tun sich teils empfindliche Lücken auf: Anspruch gilt nur auf Leistungen, die das Sozialsystem des jeweiligen EU-Landes vorsieht. Mit Ausnahme der Niederlande und Österreichs ist aber die Pflegeversicherung selten so weit ausgebaut wie in Deutschland. Zugleich laufen die Beiträge weiter. hol

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung