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21.01.2020

Feuerwehr sieht "für diesen Standort keine Zukunft"

Feuerwehr sieht "für diesen Standort keine Zukunft"

Feuerwehr-Kommandant Oliver Scherer spricht im RNZ-Interview über Gebäudemängel und Anfeindungen nach der Festzug-Verlegung

„Es gibt immer Höhen und Tiefen“, sagt Kommandant Oliver Scherer. „Nach dem Mathaisemarkt hatte ich einen Moment, an dem ich kurz davor war, einfach hinzuschmeißen.“ Foto: Dorn

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Oliver Scherer, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr, blickt auf ein schwieriges Jahr zurück. Obwohl die Einsatzkräfte seltener als in den vergangenen acht Jahren ausrückten, sind die Herausforderungen groß. Im RNZ-Interview spricht Scherer auch über persönliche Höhen und Tiefpunkte.

Herr Scherer, tropft es in Ihrem Büro immer noch von der Decke?
Es hat im vergangenen Jahr Gott sei Dank nicht so stark geregnet, daher hat es auch nicht getropft. Aber behoben worden ist der Schaden noch nicht. Es waren mal Mitarbeiter vom Bauamt da, aber danach ist nicht viel passiert. Das ist symptomatisch für den Zustand des Gebäudes.

Ist der Feuerwehrbedarfsplan denn inzwischen fertig?
Der erste Entwurf des Sachverständigen ist fertig. Im Feuerwehrausschuss wird das jetzt beraten. Einige Dinge sind noch innerhalb der Wehr zu klären, aber wir arbeiten dran. Dieses Jahr werden die Ergebnisse auf jeden Fall noch im Gemeinderat vorgestellt. Ich weiß, dass einige Stadträte da schon mit den Hufen scharren. Aber wir wollen, dass der Text Hand und Fuß hat, bevor wir ihn veröffentlichen.

Sind Sie zuversichtlich, dass bald ins Haus der Feuerwehr investiert wird?
Das ist eine gute Frage. Es muss etwas getan werden, das ist vollkommen klar. Als die Stadt das Gebäude von TÜV-Gutachterinnen untersuchen ließ, waren die – vorsichtig ausgedrückt – leicht erschüttert. Aber es wird ja auch nichts verbessert. Im Januar 2019 haben sich mit einem Riesenschlag einige Bodenfliesen gelöst, die sind uns teilweise um die Ohren geflogen. Das ist eine Gefahrenquelle. Es ist uns zugesagt worden, dass das zügig beseitigt wird. Ein Jahr später ist noch nichts passiert.

Wie macht sich das im Alltag der Feuerwehr bemerkbar?
Wir sind diese Zustände ja gewöhnt. Ein neuralgischer Punkt ist aber zum Beispiel der Aufzug. Viele unserer Gerätschaften lagern im Keller. Wenn der Aufzug ausfällt, sind wir nur noch bedingt einsatzbereit. Deshalb ging im vergangenen Jahr auch zwei Tage lang mal gar nichts mehr. Im Februar wird der Aufzug vom TÜV überprüft. Wenn bis dahin nicht nachgerüstet worden wäre, hätten wir ihn stilllegen müssen.

Bürgermeister Hansjörg Höfer hat gesagt, dass sich eine Sanierung nicht mehr rechne. Sollte ein Neubau auch mit einem Umzug verbunden werden?
Auf jeden Fall. Dieser Standort ist ausgereizt. Wir haben hier keine Möglichkeiten mehr, bei einem Neubau auch die Fläche zu erweitern. Das ist schade, weil die Lage innerorts eigentlich Vorteile mit sich bringt. Aber beim Landratsamt hält sich die Begeisterung bezüglich einer Überbauung des Kanzelbachs sehr in Grenzen. Ich sehe dafür keine Chance. Auf der anderen Seite ist die Talstraße, und die Feuerwehrautos hintereinander parken wollen wir auch nicht. Ich sehe für diesen Standort keine Zukunft – so traurig, wie das ist.

Werden die Kameraden in Altenbach auch langsam ungeduldig, was ein neues Gerätehaus angeht?
Das kann ich mir gut vorstellen. Aber bei diesem Thema sind wir schon ein gutes Stück weiter als in Schriesheim. Wir wissen zumindest, wo wir ein Gerätehaus bauen könnten: an der Hauptstraße. Das ist zwar nicht hundertprozentiger Konsens, aber alle anderen Möglichkeiten sind meiner Meinung nach nicht kurzfristig umsetzbar. Einsatztaktisch ist das schwierig, daher sollte das aber auch nur eine vorübergehende Lösung sein. Langfristig bräuchte die Feuerwehr eigentlich einen Standort, an dem alles gelagert werden kann.

Ein Nachbar an der Hauptstraße hat schon erklärt, gerichtlich gegen den Bau eines Gerätehauses vorgehen zu wollen. Was sagen Sie dazu?
Als Kommandant werde ich mich dazu öffentlich nicht äußern.

Im Mai musste die Feuerwehr wegen einer dauerroten Ampel an der B3 ausrücken, Sie haben sich daraufhin beim Landratsamt beschwert. Wie ging es in dem Streit weiter?
Ich habe danach nichts mehr gehört. Wir sind aber auch nicht mehr wegen roten Ampeln alarmiert worden. (lacht)

In Schleswig-Holstein wurden dieses Jahr erstmals Einwohner zwangsverpflichtet. Gehen der Feuerwehr in Schriesheim auch die Freiwilligen aus?
Jein. Wir stehen noch recht gut da. In Schriesheim-Stadt haben wir 68 Mitglieder, drei weniger als im vergangenen Jahr. 46 sind es in Altenbach, zwei mehr als 2019. Aber das sind die Zahlen auf dem Papier. Wenn es darauf ankommt, bekomme ich in Schriesheim-Stadt 35 bis 40 Leute zusammen. Deshalb bauen wir auch die Zusammenarbeit mit den umliegenden Wehren aus. Es ist ja nie jeder da, viele arbeiten im Schichtdienst. Die Situation könnte also besser sein. Die Frage nach der Pflichtfeuerwehr stellt sich nicht, wir wollen aber dieses Jahr mehr in Mitgliederwerbung investieren. Wenn wir dadurch nur ein, zwei neue Leute bekommen können, bringt uns das schon viel. Manche Menschen denken ja, wir würden das hauptamtlich machen.

Im Juni ignorierten Radfahrer die Sperrung nach einem Unfall auf der L?596a bei Altenbach. Sie haben damals wenig überrascht reagiert. Fehlt in Deutschland der Respekt vor Rettungskräften?
So pauschal kann man das nicht sagen. Es gibt immer ein paar Idioten. Und in Deutschland darf man alles, aber offenbar keine Straßen sperren. Da werden manche wirklich aggressiv. Aber es gibt auch positive Beispiele: Kurz vor Weihnachten hat uns eine ältere Dame einen riesigen Mohnkuchen und Kaffee gebracht, um sich bei uns für unsere Arbeit zu bedanken – auch wenn sie uns in dem Jahr nicht gebraucht hat.

Das Jahr 2018 haben Sie als abwechslungsreich bezeichnet. Welches Attribut würden Sie 2019 zuschreiben?
Schwierig. Wir haben im Februar unseren Ehrenkommandanten Georg Weber zu Grabe getragen, im Dezember ist mit Manfred Ortmann ein verdienter Alterskamerad gestorben. Das waren die Tiefpunkte. Schöne Erlebnisse waren die Besuche in St. Margarethen und in Uzès. Was die Einsätze anging, war es zum Glück ein völlig unspektakuläres Jahr. Die Abteilung Stadt musste 199 Mal ausrücken, damit sind wir zum ersten Mal seit acht Jahren unter der 200er-Marke geblieben. Es gab kaum Brände und keine größeren Unwetterlagen. Allerdings hatten wir bei Türöffnungen im vergangenen Jahr mit fünf Toten zu tun.

Ist Ihnen ein Erlebnis besonders in Erinnerung geblieben?
An einem Tag sind wir mittags zu einer Türöffnung gerufen worden, da lag ein Toter im Bett. Zwei Stunden später haben wir einen Schwerverletzten aus dem Steinbruch geholt und sind während des Einsatzes wieder zu einer Türöffnung gerufen worden. Auch dort hatten wir mit einem Toten zu tun. Diese Häufung ist ungewöhnlich.

Was machen Sie nach so einem Tag, um sich zu erholen?
Ich habe mir im Laufe der Jahre eine Art inneren Schutzmechanismus aufgebaut. Tote versuche ich als Objekte zu sehen, um das nicht an mich ranzulassen. Das hört sich blöd an, aber sonst geht man kaputt. Was uns aber auch hilft, ist die Floriansstube im Haus der Feuerwehr. Nach Einsätzen mit den Kameraden zusammenzusitzen und zu reden, ist wichtig.

Warum sind Sie immer noch gern Feuerwehr-Kommandant?
Es gibt überall und immer Höhen und Tiefen. Nach dem Mathaisemarkt hatte ich im vergangenen Jahr einen Moment, an dem ich kurz davor war, einfach hinzuschmeißen. Nach der Verlegung des Festzugs haben die persönlichen Anfeindungen gegen mich eine Dimension angenommen, die mich sehr überrascht hat. Das war übel und beschäftigt mich heute noch. Da fragt man sich schon: Warum gibt man sich das als Ehrenamtlicher? Aber es gab auch viele positive Erlebnisse mit den Kameraden und bei Einsätzen, wenn wir wirklich helfen oder Schlimmeres verhindern konnten.

Was wünschen Sie sich für das Jahr 2020?
Dass der Feuerwehrbedarfsplan verabschiedet wird, das Thema Gerätehäuser effektiv angepackt wird, das Ehrenamt gestärkt und der Nachwuchs gefördert wird. Es sei denn, es kommt noch was Kurzfristiges. Das kann ja immer passieren. (lacht)

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung