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09.03.2020

Mathaisemarkt Schriesheim: Visionär, vergnügt und ein bisschen verrückt war der Festumzug

Mathaisemarkt Schriesheim: Visionär, vergnügt und ein bisschen verrückt war der Festumzug

Unter dem Motto "Schriesheim im Jubiläumsjahr 2064" thematisierte der diesjährige Mathaisemarkt-Festzug humorvoll Klimawandel, Überalterung und Digitalisierung

Allen Diskussionen um Großveranstaltungen zum Trotz: Die Weinhoheiten Fabienne Röger, Sofia Hartmann und Lena Meyer (hinten stehend, v. l.) grüßten etwa 15 000 Besucher entlang der Wegstrecke des Mathaisemarkt-Festzugs. Foto: Peter Dorn

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Raumschiffe, Seilbahn-Verbindungen und eine Glaskuppel für die Strahlenburg: Unter dem Motto "Schriesheim im Jubiläumsjahr 2064" sind am Sonntagnachmittag 48 Fußgruppen und Vereinswagen durch die Schriesheimer Kernstadt gezogen – gesäumt von zahlreichen Zuschauern, trotz der Debatte um Großveranstaltungen wegen des neuartigen Coronavirus. Dabei widmeten sich die Teilnehmer humorvoll Zukunftsthemen wie dem Klimawandel, Überalterung oder Digitalisierung.

Die Interessengemeinschaft zur Erhaltung des Waldschwimmbads (IEWS) zum Beispiel machte sich bereit für den Umzug auf den Branich, "weil bis 2064 die Talstraße gesperrt und ein Staudamm für den Kanzelbach errichtet wird", sagte Jochen Wähling, Fahrer des im doppelten Sinne Umzugswagens und stellvertretender Vorsitzender der IEWS. Der Obst-, Wein- und Gartenbauverein konnte der globalen Erwärmung etwas Positives abgewinnen, schließlich könnten dann Ananas, Papayas und Mangos in Schriesheim wachsen.

Der Odenwaldklub machte sich dagegen Sorgen, bis 2064 zum "Ohne-Wald-Klub" zu werden – auch wenn ein kleiner "Hoffnungswagen" mit grünen Nadelbäumen zum Festzug-Beitrag gehörte. Besonders optimistisch präsentierte sich der Verein der Hundefreunde, der im vergangenen Jahr nach einer sturmbedingten Festzug-Verlegung und eines Parallelwettkampfs gefehlt hatte: mit der ersten "Schlittenhundefahrt" von Altenbach nach Wilhelmsfeld.

Dass bis dahin die jetzigen Festzug-Teilnehmer deutlich älter sein werden, thematisierte unter anderem der Push-Verein, der seinem Festwagen nach zu urteilen bis dahin zum Seniorentreff mutieren könnte. Der Gesangverein Liederkranz hofft dagegen auf viel Durchhaltevermögen bei den "Ü 100-Jungsängern" – ein Motto, das auch auf den Mitgliedermangel aufmerksam machen soll. Eine ähnliche Motivation hatte auch die Jugendfeuerwehr bei der Gestaltung ihres Festwagens: Roboter wurden dort als Zukunft der Brandbekämpfung gezeigt.

"Aber mit WLAN-Wasser statt Schlauchgewirr können wir der Digitalisierung auch etwas Positives abgewinnen", sagte Zugwagen-Fahrer Nicolas Spatz. Die Technik für sich nutzen will auch die Evangelische Kirchengemeinde, die ihre Predigten per Datenbrillen zu den Schriesheimern bringen könnte. Der Männergesangverein Eintracht blickte auf digitale Chorproben voraus.

Ganz so große Hoffnungen wollte der Sängerchor Ursenbach dagegen nicht in die Digitalisierung setzen. Stattdessen warb die Fußgruppe für "schnelles Seilbahn-Net", das CO2-neutral mit Windrädern betrieben werden könne, wie Hannelore Bretschi erklärte. Allerdings sind dafür dann Messengerdienste wie "Wart’s abb" nötig.

In ungeahnte Sphären aufsteigen wollen bis zu diesem Zeitpunkt gleich mehrere Schriesheimer Vereine. Die Handballer des Turnvereins befanden sich mit ihrem an vier Samstagen zusammengebauten Raumschiff "S.C.H.R.I.E.S.S. Mathaisia" auf dem Weg zum ersten Auswärtsspiel beim TV Venus – samt Jetpacks, ausklappbaren Flügeln und Nebelmaschine. Die Fußballer des SV Schriesheim träumten derweil von der ersten "Milchstraßen-Meisterschaft" und kostümierten sich als Aliens. Die Floorballer des Turnvereins setzten sich dagegen ein vergleichsweise realistisches Zwischenziel: den Gewinn der Champions League.

Ob Forellenplage im Kanzelbach bei den Sportanglern, Strom aus Wein bei den Raubrittern oder die erste Außengruppe über den Wolken beim Kindergarten "Wolkenschloss": Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Und so kam es, dass die Weinhoheiten Sofia Hartmann, Fabienne Röger und Lena Meyer im Jahr 2064 Konkurrenz bekamen – durch Johannes Schwegele, von der Jagdhornbläsergruppe zum ersten Schriesheimer Weinkönig gekrönt.

Bei aller Freude blieb die Diskussion um Großveranstaltungen wegen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus dennoch präsent. "Sie sind der beste Beweis, dass es richtig war, dass wir das hier durchziehen", sagte Bürgermeister Hansjörg Höfer während des Umzugs ans Publikum gerichtet und erhielt dafür spontanen Applaus – wenige Minuten bevor Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erstmals öffentlich dafür plädierte, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern vorerst abzusagen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung