Schriesheim im Bild 2023

17.03.2020

Coronavirus: Wenn Schriesheim zur Online-Community wird (plus Livestream-Link)

Evangelische Kirche will vorerst weiter Gottesdienste abhalten - Die Mehrheit der Teilnehmer verfolgt das Geschehen aber auf YouTube

Von Frederick Mersi

Schriesheim. "Mal sehen, wie viele wir wegschicken müssen", sagt Hermann Best und schaut auf seinen Klicker. 46 Menschen sind laut seiner Zählung schon in der evangelischen Stadtkirche, knapp 30 von ihnen gehören zu einem Gospelprojektchor, der den Sonntagsgottesdienst mitgestalten soll. Mehr als 100 Menschen dürfen aber nach einem entsprechenden Erlass der baden-württembergischen Landesregierung nicht mehr in der Kirche zusammenkommen. Also steht Best mit dem Klicker an der Eingangstür.

Beim Mathaisemarkt-Festzug unter dem Motto "Schriesheim 2064" hat die Evangelische Kirchengemeinde noch scherzhaft den Gottesdienst der Zukunft mit Datenbrillen propagiert. Wegen der Corona-Krise ist sie diesem Szenario nur eine Woche später schon deutlich näher, als ihr lieb ist: Der Großteil der Gläubigen verfolgt den Gottesdienst am Sonntagmorgen per YouTube-Livestream auf dem Kanal "EKiSchri GD" übers Internet. https://www.youtube.com/channel/UCk_1n9TGkkSHbDGv06jpLfQ

Melissa und Ralf Herzog sind trotzdem zur Kirche gekommen. "Wir finden es einfach schön, vor Ort dabei zu sein", sagt Ralf Herzog. "Aber wir haben uns auch darauf eingestellt, wieder zu gehen." Sie könnten nicht einschätzen, wie viele Menschen kämen. "Uns war aber wichtig, dass die Kirche beim Auftritt des Projektchors nicht komplett leer ist", sagt seine Frau Melissa, seit Januar neu im Kirchengemeinderat.

Die beiden sind zwei von 83 Gottesdienst-Besuchern an diesem Sonntagmorgen – in einer Kirchengemeinde, die sonst einen Teilnehmerschnitt von mehr als 200 Menschen verzeichnet. Ein Großteil von ihnen sitzt stattdessen zuhause vor dem Bildschirm: 197 Geräte greifen in der Spitze auf den YouTube-Livestream zu. "Sonst sind es 25 bis 30", sagt Hermann Best.

Seine Frau Suse, Pfarrerin der Gemeinde, predigt an diesem Sonntag. "Eine Wahnsinnswoche liegt hinter uns", sagt sie, nachdem der Gospel-Projektchor unter Leitung von Christoph Georgii den Gottesdienst eröffnet hat. Jetzt wolle man sich auf Jesus Christus ausrichten. Doch die Corona-Krise bleibt allgegenwärtig – in Gebeten, den ausfallenden Ankündigungen und der Predigt.

Der Text dazu steht im neunten Kapitel des Lukas-Evangeliums, darin heißt es: "Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes." Best überträgt dieses von Jesus überlieferte Zitat auf die Situation in der Corona-Krise: "Beim Pflügen muss ich den kleinen Bereich vor mir im Blick haben", sagt sie. "Es gilt, Schritt für Schritt nach vorn zu schauen. Dann darf ich sicher sein, dass Jesus bei mir ist."

Für Best als Pfarrerin gleicht das Verhalten in der Corona-Krise einer Gratwanderung. "Es ist wichtig, dass man uns Christen in diesen Zeiten erkennt", sagt sie, "dass wir jetzt verantwortlich handeln, aber füreinander da sind – auch wenn wir uns nicht sehen können". Die Möglichkeiten mögen begrenzt sein. "Aber wir haben welche", so Best, die zum Schluss ihrer Predigt die "Blues Brothers" zitiert: "Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs."

Der Projektchor beschließt den Gottesdienst mit einer Gospel-Version von "Lobet den Herren", die wenigen Besucher applaudieren laut. Ein Kirchkaffee gibt es heute nicht, das Begegnungszentrum "mittendrin" bleibt ebenfalls geschlossen. Wie es in den kommenden Wochen weitergeht, ist unklar. Der Kirchengemeinderat will am Mittwoch eine Entscheidung über den weiteren Fortgang der Gottesdienste treffen – wenn die Behörden dem Gremium nicht bis dahin mit neuen Regeln zuvorkommen.

"Der Livestream ist da ein Segen", sagt Best nach dem Gottesdienst. "Mein Wunsch ist, dass wir in dieser Zeit weiter Gottesdienste feiern können – notfalls auch nur zu dritt vor Ort." Kirche dürfe sich gerade in Krisenzeiten nicht wegducken. "Aber wir müssen auch verantwortlich handeln." Das Kirchengebäude soll zunächst geöffnet bleiben, um Menschen in Zeiten der Unsicherheit einen Ort zur Einkehr und zum Gebet zu bieten.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung