Schriesheim im Bild 2023

23.03.2020

Bekenntnisse eines "neuen Alten": Schriesheim - eine Annäherung von Micha Hörnle

Bekenntnisse eines "neuen Alten": Schriesheim - eine Annäherung von Micha Hörnle

Was einem auffallen kann, wenn man lange weg gewesen ist

Der „Neue“ auf Erkundungstour in der neuen journalistischen Heimat: RNZ-Redakteur Micha Hörnle schaut sich in Schriesheim um. Vieles gefällt ihm, aber an die Gestaltung des Festplatzes samt des nutzlosen Fasses kann er sich – noch – nicht gewöhnen. Foto: Dorn

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Vielleicht zuerst: Ich mag Schriesheim sehr. Und, auch wenn ich in Handschuhsheim wohne (also immerhin an der Bergstraße), ist Schriesheim für mich immer Schriese, niemals Schriesheim. Ich gehörte vor fast 20 Jahren, von 2000 bis 2004, zur Bergstraßen-Redaktion der RNZ, war allerdings für Hirschberg zuständig. Damals die Kollegen in Schriese zu vertreten, war eine Königsdisziplin – und zugleich die härteste aller denkbaren journalistischen Aufgaben: dieser enorm streitbare Gemeinderat, dieser "knorrige" Bürgermeister, dieses enorme Selbstwertgefühl seiner Bürger.

Damals war noch Peter Riehl Bürgermeister – also musste man schon mal um 10 Uhr bei einem Termin im Rathaus einen Schluck Cognac vertragen (und "Kent" rauchen) können. Ach ja, und spätestens bei meinem ersten Mathaisemarkt lernte ich im Zehntkeller "Freund, ich bin vun Schriese!" zu singen. Die erste Strophe kann ich immer noch. Klasse, wie ein kleines, simples Lied Zusammengehörigkeit schafft! Das schafft sonst kaum eine Gemeinde.

Alles lange her. 16 Jahre war ich in der Stadtredaktion Heidelberg der RNZ, aber ich blieb Schriesheim immer verbunden – vor allem, weil ich gerne wandere (und weil es von Hendesse nicht weit ist). Nun kehre ich also nach Schriesheim als RNZ-Redakteur zurück. Darf ich Ihnen, ganz ehrlich, einmal sagen, wie ich Schriesheim heute empfinde? Na gut, fangen wir mal an.

> Wie wirkt Schriesheim? Für Außenstehende, man muss es so hart sagen: Erst einmal gar nicht! Denn wenn man von der B 3 kommt, sieht man das Ensemble am OEG-Bahnhof, das selbst in Dossenheim glücklicher gelöst scheint. Das sieht alles aus wie die Heidelberger Bahnstadt, die in der großen Nachbarstadt auch keiner mag. Dort gab es zwar keine Lokschuppen, aber immerhin Stellwerke.

Die hat man immerhin nicht abgerissen, den Lokschuppen in Schriesheim aber schon – und ich habe nicht das Gefühl, dass es dem Stadtbild gutgetan hat. Ein bisschen Erhalt der historischen Bausubstanz, ohne in Musealität zu erstarren (siehe unten, Stichwort: "Schwarzer Adler" weiter unten), hat bisher keiner Kommune geschadet. Ja, nun ist ja auch die "Pfalz" weg, ein Ärztehaus, von denen man in unserer Gegend eh zu wenig hat.

Alla gut, biegen wir ab in Richtung Wilhelmsfeld, wird schon besser werden. Nur, wird es nicht: zur Linken die massive Neubebebauung der einstigen Hübsch’schen Mühle. Hatte ja vor knapp 20 Jahren bestimmt seine Berechtigung, nur heute sieht das Ensemble etwas in die Jahre gekommen aus. Im Moment diskutiert man ja den Neubau des "Schwarzen Adlers" – eine der wenigen wirklich alten und "ortsbildprägenden" Gebäude an der Landstraße (das nehmen auch die Auswärtigen wahr), und man verlangt, er solle weniger zum "Klotz" werden. Ein etwas filigraneres Auftreten hätte der heutigen "Talstraße 1" auch gutgetan. Gleich dahinter der Festplatz samt Rathaus (siehe unten). Man fährt weiter, der Asphalt wird brüchig, links die "Goldene Rose", seit Ewigkeiten verlassen, woran auch Restaurantretter aus dem Fernsehen nichts ändern konnten. Und dann geht es Ewigkeiten bergan, aber alles wirkt ziemlich trist.

Der Branichtunnel ist längst eingeweiht, aber die Talstraße sieht immer noch aus, als gäbe es den Tunnel nicht. Überall klappernde Gullydeckel, Risse im Asphalt, das Auto holpert und stolpert. Sieht alles ein bisschen aus wie Bitterfeld anno 1990. Ist das also diese unfassbar tolle Stadt, über die man unbedingt schreiben muss? Aber gemach, die Umgestaltung der Talstraße soll ja kommen (was der Auswärtige aber nicht weiß, nur hoffen kann).

> Ist Schriesheim schön? Unbedingt. Aber das weiß man als Auswärtiger nicht. Wer weiß schon, wo es zur Heidelberger Straße geht? Da sollen ein tolles Café und ein altes Rathaus sein. Nur wo? Wo gibt es einen richtigen Gastro-Wegweiser, wenn man hungrig ist? Wer ahnt den Weg zur Strahlenburg? Und überhaupt: Was macht denn eigentlich Schriesheim aus? Wer erklärt das einem? Und wo?

Mir jedenfalls keiner, wenn einem nicht die noch relativ kleinen neuen und schon heftig beschmierten Innenstadt-Wegweiser auffallen sollten. Schon gar nicht kündet der Festplatz von Schriesheims Schönheit – und der ist und bleibt einer der anerkannt hässlichsten Plätze, die ich kenne. Gut für den Mathaisemarkt und gut zum innenstadtnahen Parken – aber sonst? Vom Rathaus will ich gar nicht erst anfangen, und auch das Fass hätte eine neue Nutzung verdient.

Besonders fies ist für Auswärtige das Schicksal des Schwarzen Adlers, der seit Jahrzehnten an der B3 vor sich hin rottete und nun abgerissen ist. Ich bin ein Freund alter Bausubstanz – und finde nicht, dass die immer unbedingt weichen sollte. Hätte es nicht Mittel und Wege gegeben, zumindest die Fassade an der Landstraße zu erhalten, die die unweigerlichen Neubauten vielleicht ein bisschen kaschieren? Ach ja, weiß man vielleicht: Da gibt es noch den Kanzelbach. Aber wo soll der sein? Wird der wieder freigelegt – sozusagen eine "Stadt an der Bach"?

Konnte ich bisher kaum entdecken. Als Auswärtiger denkt man sich: Schriesheim muss man so nicht gesehen haben: Sieht in Teilen so aus wie alles andere, nur ein bisschen verratzter. Für meine Nachbarn in Hendesse ist Schriese, bei aller geografischen Nähe, definitiv kein Punkt auf der Landkarte – was ein Fehler ist (und dabei ist Dossene keine richtige Konkurrenz). Wieso kümmert das so wenige?

> Ist Schriesheim eine Weinstadt? Ja, wenn man die Mathaisemarkt-Rundschau der RNZ liest. Da erfährt man wirklich eine Menge über die Weingüter, aber wenn man als zufällig Durchreisender durch das Städtchen fährt, ahnt man nichts davon, dass Schriesheim der einzige wirkliche Weinort der Badischen Bergstraße (wieso gibt es diesen Gebietsbegriff seit 45 Jahren denn nicht mehr?) ist.

Kein Schild kündet von den amtierenden Weinhoheiten. Kein Wegweiser existiert zu den Weingütern. Selbst die Winzergenossenschaft muss man kennen, um sie zu finden. Einmal abgesehen davon, gibt es auch keine weinrebenumrankten Gässchen, wie man sie aus der Pfalz kennt. Und hat das Fass auf dem Festplatz überhaupt eine Funktion? Wer will hier als Auswärtiger da schon verweilen? Und die würden fragen: Was ist denn dieser Kuhberg? Wie kommt man dahin? Und wieso bin ich der einzige in meinem Handschuhsheimer Haus, der mit diesem Namen etwas anfangen kann? Obwohl der Kuhberg nur fünf Kilometer weg ist ...

> Was macht Schriese aus? Sicher, ganz sicher, seine Leute – das rege Vereinsleben, das starke Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Bürger, wie es an der "verstädterten" Bergstraße so selten geworden ist. Wusste ich schon vorher, aber als jemanden "mit Distanz" langt das mir nicht – weil man es nicht im Stadtbild spürt. Wo kündet denn am Stadteingang, dass es hier eine Ringer-Hochburg gibt? Wo erfährt selbst der Auswärtigste das, was die Bürger der Stadt umtreibt, den Mathaisemarkt einmal ausgenommen?

Für mich ist Schriese schon immer seine grandiose Natur. Wo gibt es das, dass man an der Abbruchkante eines Steinbruchs entlang wandern kann? Wo gibt es einen Feldspatstollen? Wo gibt es überhaupt Hütten im Odenwald – seien es die Schriesheimer Hütte, der Kohlhof oder die auf dem Eichelberg? Und wie findet man dorthin? Es ist ein bisschen wie überall in der Kurpfalz (Heidelberg eingeschlossen): Wer es weiß, wird diese wunderbaren Plätze finden. Nur der Rest hat nie eine Chance.

Und noch ein wirklich anerkennendes Wort: Wer nicht aus Schriesheim kommt, ist verwundert, dass es – zumindest vor "Corona" – hier noch einen lebendigen Einzelhandel und auch eine, wenn auch mit einigen Verlusten der letzten Jahre, bemerkenswerte Gastronomie gibt. Vielleicht nicht mehr so glorios wie noch vor zehn Jahren, aber immerhin. Aber das gehört sich auch für die einzige Stadt an der Bergstraße zwischen Heidelberg und Weinheim.

> Was wünsche ich mir für Schriesheim? Natürlich, dass es erst einmal so bleibt, wie es ist: eine selbstbewusste Bürgerschaft, die sich gern streitet, aber das auch wieder vergisst. Es sind eben die Menschen, ihr ganz besonderer Schlag, den ich nach meinen ersten Terminen wieder zu schätzen gelernt habe – zumal die Heidelberger deutlich verschlossener sind als die Bergsträßer. Ich bin nicht hierhergekommen, weil ich alles besser weiß – woher auch? Aber mir ist einiges als Auswärtiger aufgefallen, von dem ich mir wünschte, es änderte sich – auch wenn die Kommunalpolitik gerade ganz andere Sorgen und Prioritäten hat (siehe Sanierung des Kurpfalz-Gymnasiums, aber das kennt man als Nicht-Schriesheimer nicht).

Ganz unvoreingenommen wünsche ich mir für die Stadt einen touristischen Aufschwung, wie man ihn in den letzten Jahren die Pfalz erlebt hat: eine hübsche Ortschaft, die den Anspruch hat, noch einladender zu werden – und die sich als "der" Weinort an der Bergstraße empfiehlt. Eine Stadt, in die man gerne kommt, weil man sich hier wohlfühlt – und weil es in die Pfalz dann doch etwas arg weit ist, zumal die meisten Brücken dorthin eh gesperrt sind.

Ich wünschte mir, dass meine Hendsemer Nachbarn mal zu mir sagten: "Nach Sankt Martin isses uns heute zu weit. Komm, mir gehen nach Schriese!" Und ich würde sagen: "Klar! Und jetzt zeig ich Euch das Weittal! Und vorher gehen wir schön was trinken und hinterher auch!" Mann, Schriesheim, denke ich manchmal bei mir: Du bist so unendlich reich beschenkt und so richtig schön. Mach noch mehr aus Dir!

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung