Schriesheim im Bild 2023

18.07.2020

"Sprühattacke" in Dossenheim: Junge Landwirtin erhält (zu) viel Zuspruch (Update)

"Sprühattacke" in Dossenheim: Junge Landwirtin erhält (zu) viel Zuspruch (Update)

Attacke zieht weite Kreise - Große Resonanz in den Medien - Vorfall erreicht Landespolitik

Ann-Kathrin Haas in dem Wingert, in dem der Unbekannte sie angriff. Foto: Dorn

Von Micha Hörnle

Schriesheim/Dossenheim. Ann-Kathrin Haas, der am Montagmittag ein Mann in einem Weinberg bei Dossenheim eine unbekannte Flüssigkeit ins Gesicht spritzte, geht es wieder gut. Doch seit dem RNZ-Bericht am Mittwoch steht das Handy der Schriesheimerin nicht mehr still. "Ja, der Schock ist verdaut, aber die vielen Reaktionen überfordern mich schon ein bisschen." Der RNZ-Artikel wurde seither über 32.000 Mal aufgerufen und zieht immer noch weite Kreise.

Auch die Chefin der Auszubildenden, Christina Krämer, ist "überrascht, dass der Vorfall so einen Wirbel macht": Ständig melden sich bei ihr Berufskollegen aus der Pfalz, Südbaden oder dem Heilbronner Raum. Einer will sich sogar für die Arbeit im Feld ein T-Shirt mit der Aufschrift "Spritzschlampe" drucken lassen.

Mit diesem Wort hatte der bislang unbekannte Mann am Montagmorgen die 20-Jährige im Weinberg zunächst angepöbelt. Sogar die Landesschau des SWR will am Samstag vorbeikommen, um sich mit Krämer über Probleme zu unterhalten, mit denen die Landwirtschaft zu kämpfen hat. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl A. Lamers hat Ann-Kathrin Haas und Christina Krämer noch am Mittwoch angerufen und dabei den Angriff scharf verurteilt – und er hoffte zugleich, dass der Täter bald gefunden wird.

Tatsächlich liegt der Polizei nun die Anzeige vor. Die Beamten ermitteln wegen des Verdachts auf Körperverletzung und Beleidigung. Zugleich ruft die Polizei Zeugen auf, sich beim Polizeirevier Heidelberg-Nord (Telefon 06221 / 456 90) zu melden. Gesucht wird ein etwa 60 Jahre alter Mann mit grauen Haaren. Auffällig an ihm waren seine runde Nase und ein ausgefranster Strohhut. Zur Tatzeit im Dossenheimer Gewann Neuewingert/Augustenbühl trug er ein blau-weiß-rot-gestreiftes Polohemd, Bermudashorts und Sandalen mit Socken.

Auch Ariane Amstutz vom Landesbauernverband in Stuttgart hatte längst von dem Vorfall in der Kurpfalz gehört: "Ich bin maximal schockiert." Für sie war es das erste Mal, dass sie von einem tätlichen Angriff auf einen Landwirt gehört hat. Es gebe immer wieder kritische Bemerkungen oder Kopfschütteln, wenn Bauern ihre Felder oder Weinberge spritzen – wobei Haas am Montagmorgen ja gar nicht spritzte, sondern junge Rebstöcke festband. "Da ist eindeutig das Verständnis weniger geworden. Selbst wenn jemand nur Blattstärkungsmittel anwendet, denken viele, er spritze gleich Gift." Die meisten empörten sich nur, fragten aber sehr selten nach, warum die Landwirte das tun: "Da gibt es kaum Gesprächsbereitschaft."

Die Konflikte mit Fußgängern und Freizeitsportlern hätten sich gerade in der Coronazeit spürbar verschärft, weil die Leute mehr draußen seien: "Die meisten Konflikte gibt es auf den Feldwegen, wenn die von den Bauern blockiert werden. Dabei handelt es sich eindeutig um Arbeitswege, die Fußgänger und Radfahrer mitbenutzen dürfen." Deswegen hat der Bauernverband auch einen Handzettel vorbereitet, was hier alles zu beachten ist.

Der, so meint Amstutz, könnte auch hin und wieder in den Mitteilungsblättern der Gemeinden abgedruckt werden, damit die Bürger wissen, dass Feldwege mitnichten allein den Fußgängern und Radlern dienen. Überhaupt sieht sie auch die Kommunen in der Pflicht: "Die Einhaltung der Regeln wird nicht mehr durchgesetzt. Früher gab es oft einen Feldschütz bei den Gemeinden, aber der wurde in den letzten Jahren meist eingespart."

Und so sieht sie die Landwirte oft alleingelassen bei ihren Problemen: beim Felddiebstahl ("Da regen sich die meisten schon nicht mehr auf"), beim unbefugten Betreten der Felder ("Moutainbiker fahren völlig schamlos durch") illegalen Müllablagerungen bis hin zum Mobbing ihrer Kinder ("Da heißt es manchmal ,Tierquäler, Wasser- und Umweltvergifter’"). Immerhin können Bauern jetzt beim Landesbauernverband Schilder mit Verhaltenstipps bestellen, die sie dann auf ihren Flächen aufstellen können.

Und was rät die Expertin gerade jungen Frauen, die allein in Flur und Feld jetzt um ihre Sicherheit fürchten? "Ehrlich gesagt, habe ich keine Antwort, ich bin das erste Mal mit solch einem Vorfall konfrontiert. Spontan würde ich sagen: möglichst eine zweite Person mitnehmen, auch um einen Zeugen zu haben."

Bisher ist Gewalt gegen Frauen in der Landwirtschaft kein Thema, berichtet Birgit Rinklef vom Landfrauenverein Mannheim. Aber meist seien es auch nicht sie, die spritzen, das machten meist die Männer. Aber die ernten oft kritische Blicke von Bürgern. Deswegen hofft auch Christina Krämer: "Wenn der ganze Wirbel einen Sinn gehabt haben soll, dann den: Dass die Leute uns einfach mal fragen, was und warum wir das tun."

Update: Freitag, 17. Juli 2020, 18.15 Uhr

Hintergrund: Vorfall erreicht Landespolitik

Nun schaltet sich auch die baden-württembergische Landespolitik in die Debatte um die "Sprühattacke" gegen eine junge Schriesheimer Landwirtin ein. Dieser war am Montag von einem Unbekannten mit einer Flüssigkeit ins Gesicht gespritzt worden, nachdem er sie Stunden zuvor mit den Worten "Du bist auch so eine Spritzschlampe" verbal angegangen hatte.

Auf RNZ-Anfrage sagte Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU): "Unsere Bauern im Land stellen mit ihrer Arbeit unter Einhaltung höchster Umweltstandards täglich unsere Versorgung mit hochwertigen und heimischen Lebensmitteln sicher und pflegen unsere einmaligen Kulturlandschaften. Dafür haben sie unsere Wertschätzung und Anerkennung verdient, was wir mit unserer Kampagne ’Wir versorgen unser Land’ unterstützen. Ich habe kein Verständnis für jegliche Anfeindungen gegen unsere Bauern oder gar militante oder kriminelle Handlungen einzelner Personen." Ein Sprecher seines Ministeriums erklärte gegenüber der RNZ, dass zwar immer wieder von Anfeindungen gegenüber Landwirten berichtet werde. "Konkrete Zahlen liegen dem Ministerium jedoch nicht vor. Insofern können wir nicht von einer Häufung berichten." Konkrete Tätlichkeiten gegen Bauern seien auch nicht Sache dieses Hauses, das sich vor allem um Aufklärung der Bürger bemühe. Der Ministeriumssprecher weiß über die Grenzen solcher Information: "Klar ist allerdings auch, dass eine solche Kampagne militante oder gar kriminelle Handlungen Einzelner nicht verhindern kann."

Kämpferisch gibt sich der Grünen-Landtagsabgeordnete Uli Sckerl aus Weinheim. Er sieht durch den Angriff im Weinberg keine Gefahr für den regional angestoßenen Dialog: "Ich habe mich seit Start des Volksbegehrens ’Pro Biene’ sehr um eine Verständigung zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Verbrauchern hier an der Bergstraße bemüht, unter anderem mit drei ’Runden Tischen’ und jeweils an die 100 Teilnehmenden. Der Prozess wurde dann durch Corona unterbrochen. Solche Leute wie der Sprüher, der mit der Umweltbewegung nichts zu tun hat, können das nicht aufhalten." (hö/cab)

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung