Schriesheim im Bild 2023

19.08.2020

Wenn das "Herbsten" ein "Sommern" wird

Am Dienstag begann in Schriesheim die Lese, allerdings nur für den Federweißen - Winzer erwarten guten Jahrgang - Bisher wenig Schädlinge

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Eine Traubenlese ab Mitte August: Das scheint an der Bergstraße langsam die Regel zu werden. Gestern erntete die Winzergenossenschaft (WG) die ersten Trauben, allerdings noch nicht für den neuen Jahrgang, sondern für den Federweißen, bei dem es auf eine astreine Qualität noch nicht so sehr ankommt. Und doch, so fiel Christina Krämer auf: "Der Müller-Thurgau ist süßer und hat mehr Saft, als man denken könnte, die Trauben sahen auf den ersten Blick etwas unreif aus." Auch beim Oechsle-Grad ist man gut im Mitt-Sechziger-Bereich unterwegs.

Gestern startete die Wein- und Obstbäuerin gegen 7 Uhr mit ihrer Erntemaschine erst am Drachenfliegerplatz, dann ging es bei Leutershausen weiter, gut 2,5 Hektar wurden abgeerntet, insgesamt kamen rund 30.000 Kilo Trauben in vier Maischewagen zusammen, die im Kelterhaus abgeliefert und nach dem Keltern direkt zum Badischen Winzerkeller nach Breisach transportiert wurden. Während Krämer maschinell unterwegs war, lasen einige Kollegen mit der Hand – es war also schon etwas Betrieb in den Weinbergen.

Andere Winzer fangen später mit der Ernte an: Karl-Heinz Wehweck wird ab Montag beginnen, als erstes sind Müller-Thurgau und Dornfelder an der Reihe. Rund vier Wochen veranschlagt er für das Lesen, aber sagt auch: "Das kommt ja alles aufs Wetter drauf an." Ab Ende nächster Woche gibt es dann auch bei ihm den ersten weingutseigenen Federweißen, weiß und rot. Andere Weinbauern, die mit Federweißem weniger zu tun haben, lassen sich noch etwas mehr Zeit: Georg Bielig plant den Lesestart am Samstag nächster Woche, auch Max Jäck wird "vermutlich am letzten August-Wochenende" beginnen.

In einem sind sich alle einig: Das "Herbsten" wird immer mehr zu einem "Sommern" – und das liegt am Klimawandel mit seinen heißen und zunehmend trockenen Sommern. Für Jäck, der seinen ersten Jahrgang 2014 abfüllte, war das Straßenfest-Wochenende, also Anfang September, immer ein magisches Datum, da startete die Lese. Wehweck, dessen Familie schon seit 1955 Wein macht, hat einen größeren Überblick: Im Vergleich zu den achtziger Jahren sei man heutzutage im Schnitt drei Wochen früher dran: "Heute sind wir mit der Weinlese fertig, da haben wir vor 40 Jahren noch nicht einmal damit angefangen." Früher habe man oft bei der Ernte gefroren und sei nass geworden, "heute muss man aufpassen, dass man keinen Hitzeschlag bekommt". In seinem Herbstbuch ist auch fein säuberlich vermerkt, wann es mit der Lese losging – und in den letzten drei Jahren war das immer schon im August. Auch Christina Krämer ist dieser Trend längst aufgefallen, seit 2014 wird eher im August geerntet, nur 2016 sei man "sehr spät dran" gewesen.

Dieses Phänomen lässt sich auch anhand von RNZ-Artikeln verfolgen: "Kein Schriesheimer kann sich erinnern, dass die Ernte der Weintrauben schon mal im August begonnen hat. Aber, kaum zu glauben, gestern war es schon so weit." Das schrieb die RNZ am 26. August 2003, also im Jahr des Rekordsommers. In diesem Jahr ist man in Schriesheim sogar noch eine Woche früher dran.

Die heißen Sommer sorgen indessen für eine hohe Qualität bei den Jahrgängen, und so sind auch die Schriesheimer Winzer im Moment bester Dinge, zumal ihnen derzeit das Wetter in die Karten spielt: Das Ende der Hitze ist absehbar, denn allzu hohe Temperaturen mögen die Trauben kurz vor der Reife auch wieder nicht.

Wenn ab dem Wochenende die Tage, vor allem aber die Nächte, wieder kühler werden, sind das im Grunde optimale Bedingungen – auch wenn es in diesem Jahr natürlich wieder mal zu wenig geregnet hat: "Die Niederschläge der letzten Tage waren ein Segen", sagt Krämer, "und zum Glück ist es auch relativ spät erst so heiß geworden". Die Nässe habe vor allem den jungen Reben gutgetan. "Der Regen war Gold wert", meint auch Bielig, "man hat richtig gesehen, wie der den Reben noch einmal einen Schub gegeben hat. Aber jetzt darf nicht mehr allzu viel davon kommen. Und die angekündigte herbstliche Kühle wird für die Reife nur förderlich sein." Auch Jäck spricht von "relativ guten Bedingungen", er sei "ganz entspannt".

Und was den Winzern im Moment besonders gut gefällt: Schädlinge sind in diesem Jahr kein Thema: "Die Kirschessigfliegen wollen keine Hitze", weiß Wehweck, der wie Jäck im Moment bei den Trauben eher Sonnenbrand beobachtet hat. Nur eines ist Krämer aufgefallen: "In diesem Jahr sind die Wespen extrem aggressiv. Man sieht viel angestochene Trauben – wahrscheinlich, weil sie auf der Suche nach Flüssigkeit sind."

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung