Schriesheim im Bild 2023

28.10.2020

Von neun Deportierten nach Gurs überlebten nur drei

Professor Joachim Maier zeichnete bei seinem Vortrag in der Volkshochschule das Schicksal der Schriesheimer Juden nach, die nach Gurs kamen.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Ins französische Lager Gurs wurden vor 80 Jahren neun Juden, die aus Schriesheim stammten, deportiert. Zu diesem Zeitpunkt lebten keine Juden mehr im Ort. Über sie gab Professor Joachim Maier in der Volkshochschule Auskunft: Zwei Schriesheimer Juden starben in Gurs, zwei weitere in anderen Lagern in Frankreich, zwei in Auschwitz, nur drei überlebten.

Die Deportation

Entgegen mancher Ansicht war der Transport der Juden nach Frankreich "nicht von langer Hand geplant" (Maier). Nachdem die Wehrmacht nach einem unerwartet kurzen Feldzug Frankreich besiegt hatte, wurden Elsass und Lothringen an das Deutsche Reich angegliedert und unterstanden als Reichsgaue den NS-Gauleitern von Baden und der Saarpfalz. Im Herbst 1940 wurden aus diesen nun "neu-deutschen" Gebieten Juden in den unbesetzten Teil Frankreichs abgeschoben. "Diese Gelegenheit nutzten die Gauleiter, um auch bei sich aufzuräumen", so Maier, "und Baden sowie die Saarpfalz ,judenfrei’ zu machen." Am Morgen des 22. Oktober 1940 wurden 6504 Juden unterrichtet, dass sie sich sofort in den großen Bahnhöfen der Gaue einzufinden hatten, die überfüllten Züge – übrigens Personen-, nicht Viehwaggons – gingen aber erst abends. Die Deportierten waren in großer Angst, denn sie fürchteten, in den Osten zu kommen, und so waren die meisten erst einmal erleichtert, als es über den Rhein Richtung Grenze ging. An der Demarkationslinie zum unbesetzten Frankreich wurden die acht Personenzüge den Behörden übergeben, die darauf nicht vorbereitet waren. Die Juden kamen daraufhin in ehemalige Internierungslager, darunter Gurs am Fuß der Pyrenäen, in denen vorher Kämpfer des Spanischen Bürgerkrieges untergebracht waren. Zu diesem Zeitpunkt waren diese Lager aber noch nicht ganz leer.

Das Lager Gurs

Die Deportierten hausten in Baracken ohne Fußboden oder Betten. Frauen und Männer waren getrennt, Besuche von außen waren nur mit Passierschein möglich. Auch wenn es sich dabei nicht um Konzentrationslager handelte, waren "die Lebensverhältnisse katastrophal", so Maier. Die Verpflegung war karg, meist gab es nur eine dünne Suppe. Eine Möglichkeit, sich selbst zu versorgen, bestand nicht – es gab auch keine Herde, auch wenn Feuerstellen improvisiert wurden. Gelegentlich wurden Pakete von Hilfsorganisationen übergeben. Insgesamt 500 Personen starben in den ersten Monaten. Im Frühjahr 1942 verteilten die französischen Behörden die nach Gurs Deportierten auf eine Handvoll meist kleinere Lager. Einigen Verschleppten gelang die Emigration, viele wurden aber im Laufe des Sommers 1942 nach Auschwitz und damit in die Vernichtung deportiert.

Die Schriesheimer Deportierten

Ludwig Oppenheimer (1893-1940): Sein Vater Simon Oppenheimer gehörte zu einer der wohlhabenden Familien in Schriesheim, sie wohnte in der Heidelberger Straße 8, wo sie auch ihren Konfektionswarenhandel betrieb. Ludwig Oppenheimer war geistig behindert, arbeitete aber im Geschäft seines Vaters mit. Als die Familie 1938 in die USA flüchten wollte, wurde Ludwig Oppenheimer die Einreise verweigert. Er kam in das Jüdische Altenheim in Gailingen am Bodensee. Von dort wurde er 1940 nach Gurs deportiert. Er starb dort bereits nach einem Monat, am 21. November 1940.

Daniel Marx (1860-1941): Über ihn gibt es relativ wenige Informationen. Wohl durch einen Unfall war er Invalide und arbeitete zunächst in einer Eisenwarenhandlung. Ab 1923 lebte er in der Kreispflegeanstalt in Weinheim. Ab und an war er in der Jüdischen Gemeinde in Birkenau zu Gast, damit diese auf die zum Gottesdienst nötigen zehn Männer kam. Im Grunde war er allein, nur seine nach Amerika ausgewanderte Schwester unterstützte ihn finanziell. Nach zweieinhalb Monaten in Gurs starb er am 3. Januar 1941 – wahrscheinlich an Hunger und Kälte. Mit Ludwig Oppenheimer ist er der zweite Schriesheimer, der im Lager Gurs ums Leben kam.

Betty Marx (1867-1943): Sie stammte aus Schriesheim, heiratete aber bereits 1892 nach Mosbach. Auch von ihr gibt es recht wenige Informationen, immerhin ist ihre Kennkarte von 1939 aus dem Mosbacher Rathaus erhalten. Sie kam in Frankreich in mehrere Lager, dort starb sie 1943.

David Oppenheimer (1863-1942): Er stammt aus der Herrengasse, sein Vater war Metzger, er selbst Kaufmann. Schon früh ging er nach Mannheim, wo er heiratete. Auch er wurde nach Gurs deportiert. Mit Betty Marx gehört David Oppenheimer zu denjenigen Schriesheimer Juden, die in einem anderen französischen Lager starben.

Klara Oppenheimer (1886-1942): Auch sie lebte nicht lange in Schriesheim, sie stammt vermutlich aus der Heidelberger Straße 29. 1910 heiratete sie nach Dossenheim, ab 1937 wohnte sie in Heidelberg. Von ihrer Familie ist ein fast schon makabres Dokument erhalten: Im März 1939 wurden alle Juden gezwungen, ihren Schmuck abzugeben, damit sie den nicht heimlich verstecken oder für die Flucht bunkern können. Im Falle der Familie Oppenheimer beschlagnahmten die Behörden "2 Armbanduhren, 4 silberne Kaffeelöffel, 1 Schöpflöffel", die erst ins städtische Leihamt kamen, das die Ware dann an Juweliere weiterverkaufte. Bei ihrer Deportation nach Gurs durften die Juden nur 100 Reichsmark mitnehmen. Nach ihrer Zeit dort kam Klara Oppenheimer am 6. August 1942 ins Umschlaglager Drancy bei Paris, von dort am 10. August 1942 nach Auschwitz. Zwei Tage später wurde sie ermordet.

Mathilde Strauß (1862-1942): Ihr Vater war Jüdischer Gemeindevorsteher, die Familie wohnte im späteren Gemeindehaus in der Lutherischen Kirchgasse. Sie heiratete nach Mannheim, ihr Mann starb früh. Ihre Tochter Hedwig, die Psychologie studiert hatte, heiratete den Gründer der Mannheimer Abendakademie, Paul Eppstein. Beide gingen nach Berlin und organisierten die Auswanderung von jüdischen Jugendlichen. Sie setzten alle Hebel in Bewegung, um Mathilde Strauß aus dem Lager Gurs herauszuholen; dorthin war sie mit ihrer Tochter Friedel deportiert worden. Aber aus Gurs schrieb diese: "Nach Amerika will ich nicht." Beide kamen, wie Klara Oppenheimer, am 7. August 1942 nach Drancy, von dort am 12. August 1942 nach Auschwitz. Sechs Tage später wurden sie ermordet. Auch Hedwig und Paul Eppstein erlitten im Herbst 1942 dasselbe Schicksal in diesem Vernichtungslager.

Max Weinberger (1868-1952): Ursprünglich aus Schriesheim stammend, hatte er in Mannheim ein florierendes Geschäft für Mühlenprodukte. 1938 musste er seine Villa in der Oststadt an den Zigarrenfabrikanten Richard Greiling verkaufen, der sie vier Jahre später für den doppelten Preis an die Firma BBC weiterveräußerte. Später entstand dort der Sitz des Gerling-Konzerns. Während seiner Lagerhaft erblindete er, überlebte aber mehrere Lager. 1945 reiste er zu seinem Sohn nach England aus.

Mina Fuld (1872-1959) und Julius Fuld (1871-1943): Das Ehepaar gehörte zu den letzten Juden, die noch 1938 während der Pogromnacht in Schriesheim lebten (RNZ vom 22. Oktober). 1939 zogen sie nach Feudenheim, auch sie kamen nach Gurs. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihnen 1941, nach Amerika, zur Familie ihrer Tochter, zu fliehen. Max Weinberger und das Ehepaar Fuld sind die drei Schriesheimer Juden, die als Gurs-Deportierte überlebten.

Hintergrund: Wie der Verschleppten heute gedacht wird

Der zentrale Gedenkort für die Schriesheimer Juden, die nach Gurs deportiert wurden, ist das 2004 errichtete Mahnmal auf dem Jüdischen Friedhof. Das trägt nur drei Davidsterne, denn damals waren nur drei (und nicht, wie heute neun) Verschleppte bekannt. Die Initiative ging damals von den Kirchengemeinden aus; Schüler des Kurpfalzgymnasiums waren für den Entwurf verantwortlich.

Zudem wurden seit 2012 in Schriesheim fünf Mal insgesamt 37 Stolpersteine verlegt. Allerdings konnten nicht alle Schriesheimer Adressen der nach Gurs Deportierten eindeutig ausfindig gemacht werden. Bisher erinnert nur ein Stolperstein an Ludwig Oppenheimer; die beiden für Mina und Julius Fuld sollten eigentlich in diesem Mai verlegt werden – aber coronabedingt wurde das abgesagt. Ähnlich ist es im Fall von der gebürtigen Schriesheimerin Klara Oppenheimer, die nach Dossenheim geheiratet hatte. Für sie und ihren Mann Simon gibt es in Dossenheim bereits Stolpersteine – die ersten in der Kommune –, aber auch diese Verlegung musste abgesagt werden.

An die gebürtige Schriesheimerin Klara Oppenheimer erinnert am Alten Synagogenplatz in Heidelberg seit 2001 eine Inschrift. Ähnlich ist es bei den drei Schriesheimern, die nach Mannheim gezogen waren: Mathilde Strauß, Betty Marx und David Oppenheimer. Ihre Namen sind in den 2003 auf den Mannheimer Planken errichteten Glaskubus eingraviert. (hö)

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung