Schriesheim im Bild 2023

26.08.2004

"In Schriesheim hat keiner die Macht"

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Liste, Gisela Reinhard, im Interview: "Sind relativ nah am Bürger"

Reinhard: "In den Anfängen standen wir fast immer allein da, wir haben gelernt, damit umzugehen." Foto: Dorn

Von Roland Kern

Schriesheim. Mit Gisela Reinhard von der Grünen Liste setzt die RNZ die Serie der Sommerinterviews mit den Fraktionsvorsitzenden der Schriesheimer Parteien fort. Reinhard spricht über die Kandidatur Wolf/Heuer, das Klima im Gemeinderat und die Bürgermeisterwahl.

Frau Reinhard, wen würden Sie als die Gefolgsleute von Bürgermeister Peter Riehl bezeichnen?

Dazu muss man sich anschauen , wie Kommunalpolitik gemacht wird. Die Verwaltung und der Bürgermeister fertigen Vorlagen an und bereiten Sitzungen vor, da ist die Richtung vorgegeben. Und es war so, dass der Gemeinderat in den drei Jahrzehnten der Ära Riehl in Mehrheit der Verwaltung gefolgt ist und wohl inhaltlich auch dazu steht. In dem Moment, in dem andere Meinungen auftauchen, entsteht ein Spannungsfeld. Wir Grüne sind in der Regel nicht gefolgt. Auch wenn ich dieses Wort nicht gebraucht hätte, so kann ich jetzt die Aufregung nicht ganz verstehen. Denn es beschreibt zunächst nicht mehr als einen Sachverhalt.

Wann kehrt der Schriesheimer Gemeinderat wieder zur Sachpolitik zurück?

Das hängt davon ab, wie der Chef des Gemeinderates die nächsten Sitzungen leiten wird. Das liegt gar nicht so sehr in unserer Hand. Herr Riehl wurde ja in der letzten Sitzung polarisierend, deshalb war es auch möglich, dass durch Herrn Stadtrat Stang eine sehr emotionale Debatte ausgelöst werden konnte.

Aber das Klima war doch eine Katastrophe?

Es ist zunächst ganz normal, dass nach einer Kommunalwahl, bei der sich die Kräfteverhältnisse verschoben haben, Bewegung in einem Gremium entsteht. Ich habe deshalb aber keine Befürchtungen. Das bessert sich auch wieder. Das kann im September schon wieder ganz anders sein. An uns soll es jedenfalls nicht liegen.


Haben die letzten Wochen der Grabenkämpfe dem Ansehen des Gremiums geschadet?

Dauerhaft nicht. Die aufgeregten Szenen hatten ja wenig innere Substanz und haben sich nur zwischen Einzelpersonen abgespielt, es gehen keine Risse durch die Fraktionen. Ich denke, das können auch die Bürger sehr gut auseinander halten.

"Unser Zuwachs an Stimmen hat die Kräfteverhältnisse verschoben"

Wie haben sich die politischen Machtverhältnisse nach der Kommunalwahl verändert und wie werden die Grünen damit umgehen?

In Schriesheim sollte man nicht von Machtverhältnissen sprechen, hier hat keiner die Macht.

Okay, sagen wir Kräfteverhältnisse.

Unser Zuwachs an Stimmen und Mandaten hat die politischen Gewichte verschoben. Und jede Verschiebung bringt eine Erschütterung. Dass wir jetzt ein Viertel der Wähler vertreten, heißt, dass man unsere alternativen Ideen und Konzepte nicht mehr als Minderheitenvotum abtun kann. Wir sind relativ nahe am Bürger. Beim Neubaugebiet Nord waren wir sicher näher am Bürger als die Mehrheit des Gemeinderates. Dann haben wir eine zweite große Veränderung bewirkt. Wir haben künftig mit Johannes Scharr einen von den ganz jungen kommunalpolitisch Aktiven am Ratstisch, das heißt, es gibt endlich einen Jugendlichen, der im Gemeinderat direkt für sich selbst sprechen wird.

Fühlen Sie sich im Gemeinderat isoliert?

Wir sind seit 1980 im Gemeinderat, in den Anfängen standen wir fast immer allein da, wir haben gelernt, damit umzugehen. Es ist für uns nichts Neues, dass man das Bewusstsein für Themen gut schärfen kann, auch wenn man sie zunächst allein vertritt. Heute ist es einfacher als zu Zeiten der grünen Anfänge. Die Fähigkeit zum gegenseitigen Zuhören ist gewachsen. Und der Gemeinderat lässt sich nicht so einfach spalten, auch nicht durch einen polarisierenden Bürgermeister. Ich persönlich fühle mich nicht isoliert und habe kein Problem, auf jeden einzelnen zuzugehen.

Wie beurteilen Sie das Zusammenrücken von CDU und FDP, steckt da mehr dahinter?

Zusammenrücken? Das suggeriert ja etwas beidseitiges. Das kann ich in diesem Fall aber nicht erkennen, die FDP-Stadträtin hat bisher in allen wesentlichen Fragen eher unsere Position geteilt. Wenn sich die FDP im Gemeinderat zum Anhängsel der CDU machen will, dann muss der FDP-Ortsverband überlegen, ob das Konsequenzen haben wird. Die FDP im Gemeinderat hat mit ihrem einzigen Mandat sowieso nur ein sehr geringes Gewicht.

Was halten Sie von der Forderung, das bürgerliche Lager müsse in Schriesheim einen Grünen-Bürgermeister verhindern?

Was heißt "bürgerlich"? Ich wüsste im gesamten Gemeinderat niemand, der nicht bürgerlich wäre. Der Begriff gibt jedenfalls keine soziale Wirklichkeit wieder. Aber davon abgesehen: Jemand, der sich über die Verhinderung eines anderen definiert, stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus. Das ist nicht nur schlechter Stil, das ist auch ein falscher Umgang mit allen potentiellen Kandidaten. Die Bürger haben hier das letzte Wort. Übrigens, egal wer gewinnt, in puncto Polarisierung kann es nur besser werden. Ich glaube, dass nach Riehl nur ein Kandidat Chancen haben wird, der zu integrieren versteht.

Wie werden sich die Grünen in der Bürgermeister-Frage verhalten?

Wir werden uns keinen Zeitdruck auferlegen. Für uns ist es entscheidend wichtig, dass nicht die politischen Gruppen und Parteien ihre Kandidaten küren. Es geht jetzt um Personen, die sich in ihrem eigenen Namen bewerben. Sie sollten für jeden Bürger wählbar und auch für alle da sein. Nicht wir stellen einene Kandidaten auf, sondern wenn sich einer von uns bewirbt, dann werden wir ihn natürlich unterstützen. Aber er wird sich wie jeder andere Kandidat auch um eine möglichst breite Akzeptanz bemühen.

Das Thema grüner Stellvertreter scheint ja abgehakt, werden Sie trotzdem einen Kandidaten stellen?

Vor fünf und vor zehn Jahren haben wir für den ersten Bürgermeisterstellvertreter symbolisch einen Kandidaten aufgestellt, um zu zeigen, dass wir nicht "Nein"-Sager aus Prinzip sind sondern bereit, politische Verantwortung zu übernehmen. Den zweiten Stellvertreter indessen haben wir immer mitgewählt und damit respektiert, dass dieser Posten der zweitgrößten Fraktion zusteht. Deshalb hätten wir das ja auch umgekehrt erwartet. Zu diesem Anspruch stehen wir immer noch, das hatte niemals etwas mit einer persönlichen Qualifizierung zu tun, und deshalb kandidieren wir auch.

"Die ganze Finanzpolitik muss künftig besser koordiniert sein"

Wenn Sie gewusst hätten, dass die Kandidatur Heuer/Wolf so große Diskussionen auslöst, hätten Sie sie dann zu verhindern versucht?

Zu dieser Kandidatur gibt es verschiedene Sichtweisen. Doch kann es nicht sein, dass jemand, der sich an bestehende Gesetze hält, an den Pranger gestellt wird. Einen großen Anteil an den Diskussionen hatte übrigens diese Zeitung selbst. Wenn etwas legal ist, kann man eigentlich keine unendliche Geschichte daraus machen. Die großen Fraktionen CDU und FVW haben sich offensichtlich bewusst nicht in diese Debatte geworfen.

Welches sind die kommunalpolitischen Themen der nächsten Zeit, gibt es angesichts der Finanzknappheit überhaupt noch Spielräume?

Je größer der Mangel, desto größer ist auch die Chance, mit knappen Mitteln intelligent umzugehen. Wenn man alles haben kann, was man haben will, braucht man sich nicht viele Gedanken zu machen. Die ganze Finanzpolitik muss künftig besser koordiniert sein, da darf es auch keine Prestigeobjekte geben wie einen teuren Bildband. Das Geld hätte man zum Beispiel besser in eine Anschubfinanzierung für den Jugendpark stecken können. Die Stadt muss auch dringend den Agenda-Prozess wieder aufleben lassen. Es ist ja nicht so, dass die Bürger nichts selbst in die Hand nehmen wollen. Die Stadt kann viel Geld sparen, wenn sie die Energie ihrer Bürger nutzt.

Welches sind die nächsten großen Themen der Grünen?

Wir müssen den Jugendpark voranbringen und es wäre gut, wenn sich dabei solche Synergieeffekte, von denen ich eben gesprochen habe, nutzen ließen. Außerdem steckt die offene Jugendsozialarbeit noch immer in den Anfängen. Und mit wenig Geld lässt sich die Verkehrssituation für Fußgänger und Radfahrer verbessern. Dann ist die Rebflurbereinigung für uns ein großes Thema. Diese Debatte darf am Gemeinderat nicht vorbeigehen, ein Gesamtkonzept zu finden, muss eine kommunale Aufgabe sein. Es kann nicht sein, dass dort oben eine nivellierte Monokultur herrscht und hinterher sind alle entsetzt.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung