Schriesheim im Bild 2023

12.01.2021

"Es geht nicht darum, was wir uns wünschen, sondern was wir uns leisten können"

"Es geht nicht darum, was wir uns wünschen, sondern was wir uns leisten können"

Vielleicht mal Zukunftsträume: ein neues Gewerbegebiet an der Mozartstraße in Richtung Autobahn. Foto: Dorn
Bernd Hegmann von den Freien Wählern mahnt zur Sparsamkeit. Beim Neubaugebiet ist er "hin- und hergerissen". Erst mal sollte es keinen neuen Kindergarten geben.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Bernd Hegmann übernahm 2019 die Führung der Freien-Wähler-Fraktion in schwerer Zeit: Denn seine Gruppierung gehörte mit einem Minus von knapp drei Prozentpunkten zu den großen Verlierern der Kommunalwahl, zudem verlor sie einen Sitz – und ist mit nun fünf Stadträten nur noch drittstärkste Kraft im Gemeinderat. Der 64-Jährige, der ein Freund deutlicher Worte ist, ist seit 2016 Stadtrat, zuvor war er 28 Jahre lang Polizist in Schriesheim – wie auch der langjährige Stadtrat Paul Stang, der aber Christdemokrat ist. Im Jahresgespräch bleibt Hegmann seinem Lieblingsthema treu: soliden Finanzen.

RNZ-Jahresgespräch

Herr Hegmann, das Jahr 2020 war von Corona dominiert. Gab es für Sie dennoch einen Höhepunkt?

Ja, vor allem zwei gute Nachrichten aus dem Baubereich: Erstens die Sanierung des Gymnasiums, die bisher im Kostenrahmen geblieben ist. Jetzt sind 70 Prozent der Ausschreibungen erreicht, da kommt wieder der Gemeinderat ins Spiel, und wir sollten wieder genauer hinschauen. Dass das so gekommen ist, ist auch ein Verdienst des ehemaligen Bauamtsleiters Markus Schäfer, der sich sehr intensiv mit der Sache beschäftigt hat, und der guten Arbeit des Architektenbüros. Von daher bedauere ich, dass Schäfer nicht mehr da ist und dass die Arbeit in seinem Amt nun auf drei Schultern lastet. Gleichzeitig bin ich der Meinung – im Gegensatz zu anderen Fraktionen – dass man für die Sanierung keinen Projektmanager braucht. Die großen Ausschreibungen sind alle draußen. Das sage ich als einer, der sich lange schwergetan hat, diesen Sanierungsweg mitzugehen. Zweitens freut mich die Großspende für die Pumptrack-Anlage. Da gibt es nichts mehr groß zu überlegen – auch wenn mich stört, dass die Stadt nun von Kosten von 100.000 Euro ausgeht statt der vorher anvisierten 80.000 Euro. Und als Standort kommt für mich nur das Push-Gelände in Frage.

Was waren für Sie die Tiefpunkte?

Ganz allgemein, dass Projekte sich über Jahre hinweg ziehen und haushaltsmäßig von einem ins andere Jahr wandern. Nur ein paar Beispiele: Der Hort in der Altstadt sollte im Oktober 2018 fertig sein, aber immer noch steht da ein Bauzaun. Die Haltestelle "Stammberg" sollte im Haushalt 2019 barrierefrei ausgebaut werden, aber passiert ist nichts. Und beim Kindergarten in der Hirschberger Straße hieß es ein halbes Jahr vor Bauende, dass wir mit vier Millionen Euro Umbaukosten hinkommen, was aber nicht stimmt.

Gibt es denn keine Schlussabrechnung?

Nein, immer noch nicht. Das gibt es öfters bei städtischen Projekten – oft verbunden mit Kostensteigerungen. Der Hort sollte 750.000 Euro kosten, jetzt liegt man bei 3,6 Millionen. Da fehlt mir die Transparenz. Der Steuerzahler, mit dessen Geld das alles gebaut wird, hat ein Recht darauf. Ähnlich mager sieht es auch bei den Flüchtlingswohnungen in der Carl-Benz-Straße aus.

Und wie?

Die Baukosten wurden erheblich überschritten, so weit ich weiß.

Was sollte man da tun? Denn Container sind doch immer nur Übergangslösungen – egal ob beim Gymnasium, bei Kindergärten, Flüchtlings- oder Obdachlosenunterkünften …

Beim Gymnasium ist es mit den Containern optimal gelöst worden. Bei der anstehenden Sanierung der Kindergärten muss man sich im Haushalt auf ein Minimum beschränken. Es geht nicht darum, was wir uns wünschen, sondern was wir uns leisten können. Ich sehe da keinen Spielraum.

Bleiben wir bei den Wunschprojekten: Wie sehen Sie den geplanten Bürgersaal?

Der ist für mich erledigt, ich war schon von vornherein skeptisch – und das sieht auch die Fraktion so. Es wurden auch manche Hoffnungen enttäuscht: Der Bürgermeister hätte sich stärker einbringen können; der Gemeinderat hätte das Projekt stärker unterstützen müssen; die Vereine meldeten zurück, dass es wenig Bedarf gebe; dann sprangen auch potenzielle Großspender ab.

Aber gibt es denn nicht einen Bedarf für Zusammenkünfte – vielleicht etwas innenstadtnäher?

Ich frage mich, wieso der Zehntkeller nicht besser vermarktet wird. Einen Bürgersaal im Schulzentrum können wir uns nicht leisten: Er kostet zu viel, und wir bräuchten eine neue Baugenehmigung.

Na gut, die Freien Wähler sind also die Partei der Sparsamkeit. Aber zugleich ist doch auch der Sanierungsdruck hoch.

Dazu brauchen wir einen längerfristigen Plan mit einer Prioritätenliste. Wir müssen die Bausubstanz von städtischen Gebäuden untersuchen und das gezielt angehen – und dann Schwerpunkte setzen. Wir müssen schauen, was wir uns leisten können. Das ist kein Wunschkonzert mehr.

Hat Schriesheim über seine Verhältnisse gelebt?

Wir müssen sparen, nachdem wir uns einige Großprojekte geleistet haben. Der Sanierungsstau steht außer Frage, deswegen bin ich auch für eine Instandhaltungsrücklage im Haushalt.

Sie haben eine Prioritätenliste gefordert. Was sollte auf ihr stehen?

Wo soll man da anfangen? Wir müssten neben dem Gymnasium auch die anderen Schulen im Schulzentrum sanieren – oder zumindest die Bausubstanz erhalten. Aber eigentlich hätte ich das ganz anders angepackt.

Und wie?

Man hätte das Gelände des Schulzentrums an einen Bauträger verkaufen sollen. Einen Neubau, den man für 38 Millionen hätte haben können, hätte man dann ins Neubaugebiet gesetzt. Aber diese Option wurde nie geprüft.

Andere Frage, was einen Neubau angeht: Schriesheim braucht einen Kindergarten. Die Grüne Liste liebäugelt mit einem Teil des Festplatzes dafür.

Das lehne ich vollkommen ab. Einen solchen Neubau müsste man mit einem Neubaugebiet koppeln.

Sie sprechen es gerade an: Was halten Sie vom Neubaugebiet Süd?

In unserer Fraktion sind in dieser Frage zwei Personen befangen – darunter ich. Mir persönlich ist es egal. Vor der Kommunalwahl 2019 hatte ich das Gefühl, dass es dafür eine Mehrheit geben könnte, aber die sehe ich nicht. Und vielleicht sollte man auch dem neuen Bürgermeister bei diesem Thema Beinfreiheit lassen. Meine Einschätzung: Das dauert noch zehn Jahre. Mindestens.

Sind Sie denn persönlich überzeugt, dass Schriesheim ein Neubaugebiet braucht?

Ich bin da hin- und hergerissen. Zumal wir immer noch genug Flächen haben.

Und wo?

Ich sehe große Potenziale auf dem Gärtner-Gelände. Oder in der Talstraße, siehe Edelstein-Areal, das ideal für eine Baugenossenschaft wäre. Oder auf dem Lüftomatic-Gelände. Und das gilt auch für das Gewerbegebiet, wo große Flächen leer stehen. Da müsste die Verwaltung viel größeren Druck auf die Eigentümer aufbauen. Vielleicht sollte man sich langfristig mit Dossenheim zur Entwicklung eines gemeinsamen Gewerbegebiets zusammentun.

Aber eigentlich liegt das bisherige Gewerbegebiet doch an der falschen Stelle, nämlich an der Bergstraße.

Ja, eigentlich müsste es an die Autobahn – wie in Hirschberg. Das war ein kluger Schachzug des damaligen Bürgermeisters Werner Oeldorf.

Glauben Sie, dass das neue Gewerbegebiet hinter der Mozartstraße jemals kommt – angesichts der momentanen Auseinandersetzungen in Hirschberg?

In absehbarer Zeit nicht.

Angenommen, eine gute Fee würde Ihnen einen Wunsch fürs nächste Jahr erfüllen: Was wäre der?

Dass es mit der Verlegung des Altenheims aufs Gärtner-Gelände klappt. Denn das würde die Lebensqualität der Senioren sehr verbessern – und der Talstraße als zukünftigem Wohngebiet einen gewaltigen Auftrieb geben.

Zum Schluss die Frage aller Fragen im Bürgermeister-Wahljahr: Was macht die Kandidatensuche?

Im Moment sind wir an Kandidaten dran, die dem Anforderungsprofil "Verwaltungsfachkraft" entsprechen. Ich bin da recht optimistisch.

Und an wie vielen Kandidaten sind Sie dran?

An zwei bis drei.

Wird es einen gemeinsamen Kandidaten des "bürgerlichen" Lagers geben?

Da gab es noch keine Gespräche oder Treffen. Aber die stehen bald an. Das ist aber im Moment noch zu früh, da gibt es noch Abstimmungsbedarf.

Rechnen Sie denn mit einem gemeinsamen Kandidaten?

Ich glaube schon, dass es einen gemeinsamen Kandidaten mehrerer Parteien geben könnte. Da gibt es schon Signale, dass man sich uns anschließen könnte, wenn wir einen Verwaltungsfachmann finden.

Aber mal ehrlich: Wieso sollte man sich von einer sicheren Position in einer Behörde auf einen Bürgermeisterposten bewerben? Man hat nur Stress – und in den nächsten zehn Jahren kann man haushaltsmäßig nichts bewegen, weil der Sanierungsstau so groß ist.

Das stimmt schon: Um eine solche Position reißt sich kaum jemand mehr. Andererseits hat Schriesheim eine gute Struktur, ein reges Vereinsleben und große Entwicklungspotenziale. Da kann man schon einiges bewegen. Ich sage nur: Gerade bei der Förderung unseres Einzelhandels brauchen wir dringend ein neues Konzept und neue Ideen. Das ist nicht alles eine Frage der Finanzen.

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Ein Ort, bei denen Bernd Hegmann noch Potenzial für Wohnbebauung sieht: das ehemalige Lüftmatic-Gelände in der Schmalen Seite . Fotos: Dorn

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Auch das Haus Edelstein in der Talstraße könnte Potenzial für Wohnbebauung haben, meint Hegmann. Fotos: Dorn

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung