Schriesheim im Bild 2023

30.08.2004

Dabei sein war längst nicht alles

"Kultursommer": Jazz-Pianistin Anke Helfrich glänzte auf der Studiobühne der Stadthalle auch mit bandagiertem Arm

Von Reginald Dehoff

Schriesheim. Als die viel zitierte Stunde Null die Nazi-Diktatur endgültig beendete, durfte Deutschland auch seine politisch verordneten musikalischen Scheuklappen abnehmen ("Jazztanzen verboten") und sich ungehemmt der verpönten "Negermusik" hingeben. Besonders für die junge Generation war der Jazz "Widerstandsmusik" gegen Spießertum und Establishment (wie später Rock'n'Roll oder die Stones). Daher nimmt es auch nicht Wunder, wenn in heutigen Jazzkonzerten überwiegend die (jetzt) reiferen Jahrgänge sitzen. Der Rezensent, selber kräftig bei Jahren, freut sich daher wie ein Schneekönig, wenn er auch jüngere Gesichter in den Zuschauerreihen entdeckt. Und vor allem natürlich auf der Bühne.

Eine dieser jungen Begabungen, bereits heftig mit Preisen dekoriert (wie Ende 2003 mit dem frisch ausgelobten Wormser Jazzpreis, wir berichteten), ist die in Weinheim mit Heimatbonus gehandelte Ausnahmepianistin Anke Helfrich. Die trotz allen Erfolgs ungekünstelte und erfrischend natürliche Künstlerin gab Freitagabend auf der Studiobühne der Stadthalle mit ihrer Trio-Formation ein musikalisch bemerkenswertes Konzert mit vielen neuen Titeln.

Zunächst aber begrüßte Gunnar Fuchs als Veranstalter das ordentlich, aber nicht üppig besetzte Auditorium und entschuldigte den ungewohnten Zustand der Bühne mit den gerade laufenden Umbaumaßnahmen (elektrische statt der bisherigen Handzüge, fehlender schwarzer Aushang). Im Hinblick auf die gerade zu Ende gehende Olympiade in Athen meinte er weiter, man müsse eigentlich das Konzert wegen Dopings der Pianistin stoppen, aber andererseits könne man nicht erwarten, das Anke Helfrich mit ihrem heftig schmerzenden und dick bandagierten rechten Arm ohne Schmerzmittel spielen könne. Nun, die Devise "Dabei sein ist alles" kam nicht zum Greifen, denn Anke Helfrich spielte wie gewohnt vorzüglich und ohne wahrnehmbare Einbuße.

Sie plauderte in ihrer unverstellten Art mit den Zuschauern, witzelte über die Kollegen, die beide gerade aus dem Urlaub kommen, während sie mal wieder krank war und jetzt auch noch gehandicapt wäre. Ihre renommierten Kollegen sind wie stets Martin Gjakonovski (Bass) und Dejan Terzic (Schlagzeug) - Letzterer trug auch als Komponist zum Programm bei.

Die Eröffnungsnummer stammte aber aus der Feder von Helfrich: "Moovin' In", anlässlich ihres privaten Umzugs entstanden, mit seiner elegischen klaviersolistischen Einleitung und den swinghaften Rückungen beim Hinzustoßen von Schlagzeug und Bass, ist ein stimmungsvoller Opener im 5/4-Takt.

Der Rezensent gesteht, dass er Kurt-Weill-Titel innerhalb des Jazz meist problematisch findet (die abgrundtiefe Traurigkeit geht verloren), aber Helfrichs Arrangement über "My Ship" kann man nur begeistert zustimmen. Ein verhangenes Klaviervorspiel, ein nicht überhastetes, aber rhythmisch dennoch zupackendes Miteinander im Trio, bewiesen Fingertechnik und hohe Musikalität der Helfrich. Danach witzelte sie, sie habe sich überwinden müssen zum Konzert zu erscheinen, nicht wegen der Entzündung im Arm, sondern wegen einer entsetzlichen Fotografie, die ein Anzeigenblatt unlängst von ihr veröffentlicht habe, so dass ihre Fans sie fragten: Anke, hast du Feinde? Sie sei nun nicht schlüssig ob die Zuschauer wegen ihr gekommen seien, oder um sich über den Wahrheitsgehalt des Fotos zu informieren.

Sprach's und griff wieder in die Tasten zu einer eigenen Komposition "Upper West Side", in der sie ihre Erfahrungen in New York verarbeitet hat. Das Publikum schwankte zwischen andächtigem Zuhören und (eher überwiegend) dem Mitwippen von Kopf, Schultern, Knie oder Füßen. "Ask Me Now" (Thelonious Monk) und die Uraufführung von "Trust and Faith" folgten (mit riesigem Applaus und Bravos).

Nach der Pause folgten "Hack in Stack" (Monk), "Childish Things" (Dejan Terzic) und wieder Eigenes wie "Better Times". Drei hochkarätige und absolut aufeinander eingespielte Musiker und ein wundervolles, sowohl stimmiges wie abwechslungsreiches Konzert. Ein weiter Weg, den der Jazz da in den letzten sechzig Jahren in Deutschland zurückgelegt hat. Und so ganz nebenbei und wie selbstverständlich mit Anschluss an den Weltstandard.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung