Schriesheim im Bild 2023

03.04.2021

"Kindesmissbrauch ist erschreckend weit verbreitet"

Bei der Frauenunion diskutierten Experten, was getan werden muss. Jetzt schon gibt es eine Fülle von Präventionsangeboten, Beratung und konkreter Hilfe.

Schriesheim. (max) Harte Kost bei der Frauenunion: Kindesmissbrauch und wie er vermieden werden kann. Dass das Gespräch am Donnerstag im Internet stattfand, war durchaus symbolisch, denn digital bekommt dieses Verbrechen eine neue Qualität, weil die Inhalte elektronisch verbreitet werden – was die Aufklärung umso wichtiger macht. Dabei gibt es jetzt schon ein sehr breites Angebot an Anlaufstellen für Betroffene, aber die wenigsten wissen davon. Am Nachmittag desselben Tages hatte der Bundestag ein verschärftes Gesetz beschlossen, das Kindesmissbrauch grundsätzlich als Verbrechen einstuft und mit mindestens einem Jahr Haft ahndet.

Zwischen zehn und zwanzig Prozent der Kinder in Deutschland hätten schon sexualisierte Gewalt erfahren, "damit sitzt statistisch in jeder Schulklasse ein missbrauchtes Kind", moderierte die stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes Rhein-Neckar, Annette Dietl-Faude, die Gesprächsrunde an. Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Axel Müller, der als Richter über 15 Jahre in Jugendschutzkammern tätig war und sich auch in seiner parlamentarischen Arbeit mit der Thematik beschäftigt, hat sich das Jugendschutzgesetz durch die neue Medienlandschaft fundamental verändert. Tanja Kramper, Präventionsreferentin der Polizei Mannheim und Mitglied des Vereins für kommunale Kriminalprävention, stellte die Fülle der Aufklärungs-, Präventions- und Trainingsangebote dar, die bereits bestehen. Früher sprach die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft eine Altersempfehlung aus, so Müller. Das machte es für Eltern leichter, einzuschätzen, was sie ihren Kindern zumuten wollten. Durch die Nutzung von Smartphones und den uneingeschränkten Zugang zu Online-Inhalten wird ein Überblick für sie schwieriger. Deshalb seien Beratungsstellen unerlässlich. Hier gebe es sowohl ein Ost-West- als auch ein Stadt-Land-Gefälle, das beseitigt werden sollte. Es müsse flächendeckende Anlaufstellen für Missbrauchsopfer geben.

Kramper betonte auch, dass ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern enorm wichtig sei, um überhaupt über Missbrauch sprechen zu können. Da bis zu 70 Prozent solcher Fälle in der Familie lägen, seien außerdem Pädagogen und das soziale Umfeld gefragt. Das Prozedere müsse schlanker werden: Nachdem das Kind sich einer Vertrauensperson offenbart habe, könne es nicht sein, dass es seine Geschichte einer Beratungsstelle, der Polizei, dem Ermittlungsrichter und bei der Verhandlung erzählen müsse. Sie erläuterte das Modell des "Childhood-Haus" nach isländischem Vorbild. Das, berichtete Kramper gibt es bereits in Heidelberg. Dort sind Beratung, Strafverfolgung, psychologische und medizinische Unterstützung in einer Stelle vereint, um die Opfer weniger zu belasten.

Aktuell brisant ist das "Cyber-Grooming", also das Anbahnen von Kontakten im Internet mit dem Ziel von sexuellen Handlungen, aber auch der Austausch von Bildern und Videos. Vor allem werden in sozialen Netzwerken oft minderjährige Mädchen angesprochen und angelockt, was bis zum tatsächlichen Treffen und zur Vergewaltigung führen kann. Häufig werden die Betroffenen mit kompromittierenden Bildern erpresst. Da der Austausch solcher Aufnahmen wie auch von Kinderpornografie oft über Darknet-Foren erfolgt, liegt hier ein besonderes Augenmerk der Polizei.

Ein Problem sei laut Kramper auch, dass nur ein Bruchteil der tatsächlichen Missbrauchsfälle angezeigt würde – aus Scham, aus Unsicherheit und aus falscher Loyalität gegenüber Familienmitgliedern, von denen die Kinder abhängig sind. Es sei wichtig für Eltern, auf ihr Bauchgefühl zu hören und im Verdachtsfall genauer hinzuschauen und auch nachzufragen. Dabei müsse nicht die Polizei der erste Ansprechpartner sein, sondern es könnten zunächst anonym unabhängige Stellen wie im Internet www.beko-rn.de kontaktiert werden.

In der Fragerunde wurde später deutlich, dass sich viele ein klareres Angebot zu diesem Thema an Schulen und auch schon in der Lehrerausbildung wünschen. Außerdem seien qualifizierte Schulsozialarbeiter ein Schlüssel, um Missbrauchssituationen einzuschätzen und zu bearbeiten. Müller und Kramper betonten am Schluss, dass es darum gehe, die Wehrlosesten der Gesellschaft zu schützen und eine Kultur des Hinsehens zu etablieren.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung