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27.06.2021

Nayla Samina Shazi-König hat "Gesundheitswesen im freien Fall" veröffentlicht

"Schlimmer kann es nicht kommen" - Warnung vor Regress-Forderungen gegen Ärzte

Von Marion Gottlob

Schriesheim.Sie vereint Mitgefühl, Charme und Wissen: Dr. Nayla Samina Shazi-König hat Medizin studiert, um Menschen zu helfen. Nun hat die Ärztin ihr Buch mit dem Titel "Gesundheitswesen im freien Fall" veröffentlicht. Sie setzt sich für einen Wandel ein, damit Ärzte und Pflegepersonal ihrem Beruf treu bleiben statt aufzugeben oder ins Ausland abzuwandern. Die 40-Jährige warnt eindringlich: "Gesundheit ist kein Business."

Nayla Samina Shazi-König hat eine mehr als ungewöhnliche Biografie. Sie ist in Sialkot in Pakistan auf die Welt gekommen. Ihre Familie gehört der religiösen "Ahmadiyya"-Gemeinschaft an. Das ist eine islamische Reform-Bewegung, die sich für den Verzicht auf Gewalt und für Bildung für Männer wie Frauen einsetzt. Ihr Großvater wurde aufgrund der religiösen Orientierung erschossen, ihr Vater wurde von einem Arbeitskollegen absichtlich von einem Strommasten in die Tiefe gestoßen. Ihre Mutter flüchtete mit ihrem sieben Jahre alten Bruder und der sechs Jahre alten Tochter Samina.

Nachdem die Kleinfamilie in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt war, durfte Samina mit sieben Jahren in Mannheim die Schule besuchen. Sie wurde eine gute Schülerin und als Jahrgangsbeste für ihre Leistungen im Leistungskurs Latein ausgezeichnet. Sie lächelt: "Meine Mutter ist mein Vorbild. Sie hat immer ein Lächeln auf den Lippen."

Die Abiturientin entschloss sich zum Studium der Medizin in Heidelberg: "In meiner ursprünglichen Heimat habe ich erlebt, wie meine krebskranke Großmutter in einer Armenklinik behandelt wurde. Ich habe den Arzt bewundert – auch wenn meine Oma gestorben ist." Die Enkelin Samina finanzierte ihr Studium mit Nebenjobs und absolvierte die Promotion mit "magna cum laude". Es folgten Stationen an der Mannheimer Universitätsklinik. Heute arbeitet sie in der Privatpraxis König mit Schwerpunkt für Neuropädiatrie für Kinder und Jugendliche mit neurologischen Erkrankungen. In Mannheim setzte sie sich im Konversionsprojekt als Zukunftslotsin ein und war Bürgerredakteurin beim "Bürgerforum 2011". Für ihr bürgerschaftliches Engagement wurde sie 2012 von Oberbürgermeister Peter Kurz auszeichnet.

In ihrem Buch macht Shazi-König Insider-Wissen öffentlich: Es geht auch um Vorgaben der Krankenkassen (KK), welche Therapien oder Medikamente Ärzte ihren Patienten verschreiben dürfen. Die Kontrolle liegt bei den in der Öffentlichkeit fast immer unbekannten Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), deren Umgang mit Geld und den Beiträgen aus den Krankenversicherungen von niemandem geprüft oder kontrolliert wird. Shazi-König beschreibt an dem Beispiel eines Luxus-Büffets bei einem Klärungstermin den Missbrauch von Geldern. Shazi-König sagt: "Es ist genug Geld im Gesundheitssystem. Der Umgang ist fraglich, wenn so viel Geld beispielsweise für die Bezahlung von Funktionären, bürokratischen Verwaltungsorganen und Kontrollen der Ärzte verwendet wird."

Wenn ein Arzt einem Patienten nun ein Medikament verordnet, dem die KK nicht zustimmen, könne die KV bis zu vier Jahre rückwärts von dem Arzt die Erstattung des vollständigen Preises des Medikaments verlangen. Diese Regress-Forderungen treiben, so die Autorin, immer mehr Ärzte und Krankenhäuser in die Enge. Es kann passieren, dass Angst vor Regressen das medizinische Handeln bestimmt, so Shazi-König.

Es ist noch schlimmer: Patienten geraten in das bürokratische Räderwerk. Vor allem mehrfach behinderte und chronisch kranke Patienten sind betroffen, denn die KK weigern sich häufig, die hohen Kosten zu tragen. "Es geht zum Beispiel um Windeln", so Shazi-König. Die KK zahlten nur billige, nicht-saugfähige Windeln, so dass Betroffene ihre Rollstühle einkoten würden. Die Ärztin führt das Beispiel eines jungen Patienten auf, der sich nach der erzwungenen Absetzung eines Medikaments das Leben genommen haben soll. Die Forderung nach Regress gegen den Arzt laufen weiter, auch nach dem Tod des Patienten.

Eine von Shazi-König initiierte Petition wurde eingestellt mit der Begründung, dass 2019 die Möglichkeit der rückwirkenden Regress-Forderungen im Rahmen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes auf zwei Jahre begrenzt worden seien. Inzwischen haben die KV die Vereinbarung gekündigt und fordern erneut Regresse bis vier Jahre rückwirkend.

Aufgrund von Regress-Forderungen wurde die Praxis-Immobilie des Arzt-Ehepaars König gepfändet. Shazi-König sagt: "Was kann mir Schlimmeres passieren? Immerhin kann ich in Deutschland die Stimme erheben. Das Gesundheitssystem muss sich wieder am Wohl des Patienten ausrichten." Sie ist Vorsitzende des Vereins "Neurologisch erkrankte Kinder". Der Verein versucht, betroffenen Eltern unbürokratisch zu helfen. Unterstützt wird er von Radio Regenbogen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung