Schriesheim im Bild 2023

22.09.2021

Lese bei der Winzergenossenschaft hat begonnen

Lese bei der Winzergenossenschaft hat begonnen

Manuel Bretschi, der neue Geschäftsführer der Winzergenossenschaft (links), und Tobias Rell vom Kelterhausteam prüfen vor Ort die Qualität des Leseguts. Foto: Dorn
Mit der Qualität ist man zufrieden. Die große Frage: Wird der Wein weiterhin in Breisach ausgebaut?

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Im letzten Jahr war das Herbsten noch ein "Sommern", die Traubenlese begann bereits Mitte August. Nun ist es fast so wie noch vor 30 Jahren: Herbsten im Herbst. Allerdings ist der aktuelle Jahrgang nicht ganz ohne: Fäulnis und Falscher Mehltau machten den Winzern in Schriesheim das Leben schwer, immerhin wurde man von Hagel oder Nachtfrost wie andernorts verschont. Und so ist der neue Geschäftsführer der Winzergenossenschaft (WG), Manuel Bretschi, doch ganz zufrieden: "Das Wetter in diesem Jahr hat uns die Qualität gebracht, die wir wollen: Frucht und Frische zeichnet die Bergstraße aus."

Gerade liefert Christina Krämer in einem 500-Kilo-Bottich Spätburgunder an, der am Ortsrand von Dossenheim gelesen wurde: Mit 84 Grad Oechsle ist "der genau das, was wir wollen". Arg groß sind die Beeren nicht, aber Bretschi ist das recht: Große Trauben haben mehr Saft, aber die kleinen haben mehr Schale, und in der stecken die Tannine, die für den typischen Rotweingeschmack so wichtig sind. Fast noch wichtiger ist, wie gut die Trauben sind, denn der Spätburgunder neigt zur Fäulnis, "er ist eine Diva im Weinberg", so Bretschi. Bei der Ablieferung schaut das Kelterteam – das sind seit 30 Jahren die Rell-Brüder Thomas und Tobias aus Leutershausen – in die Bottiche, der Oechsle-Grad wird automatisch gemessen. In den Edelstahl-Bottichen ist das, was vorher per Hand gelesen wurde.

Aber in den Wingerten, zumindest den nicht so steilen, wird immer mehr ein Vollernter eingesetzt. Bevor der durch die Rebzeilen fährt, kontrolliert Peter Haas die Traubenqualität. Auch wenn diese Erntemaschinen bei manchen noch verpönt sind, arbeiten die mittlerweile "sehr präzise" (Bretschi). Vor allem sind diese Maschinen, die die Beeren von den Reben rütteln, viel wirtschaftlicher als die Handlese, zumal, so Bretschi: "Wir bekommen heute oft nicht mehr genug Leute zur Lese, das wird immer schwieriger." Einen eigenen Vollernter hat die WG nicht, der wird vom Weingut Bauer aus Heidelberg angemietet.

95 Tonnen wurden am Sonntag verarbeitet, im Moment sind die Reste vom Müller-Thurgau, Spätburgunder (aber nur für Rosé), Sauvignon Blanc und Cabernet Mitos (eine pilzwiderständige Rotweinsorte) an der Reihe, am Samstag folgt der Silvaner, in der nächsten Woche dann Riesling und Weißburgunder. Mit dem Spätburgunder will sich die WG noch Zeit lassen, denn je länger die Trauben noch hängen, desto besser – nur muss eben das Wetter mitspielen (und danach sieht es auch aus).

Im Kelterhaus im Porphyrweg werden die Weine entrappt, also Beeren von Stängel und Stiel getrennt. Dann kommt das Lesegut in die Keltern, aus denen der Most in die Tanks gepumpt wird. Das gilt zumindest für die Weiß- und Rosé-Weine. Die Rotweine hingegen werden hier als Maische gelagert – man ahnt es schon, wegen der Tannine. Aber beide bleiben nicht lange vor Ort, sie werden einmal pro Tag per 25.000-Liter-Tankwagen zum Badischen Winzerkeller (BWK) in Breisach gefahren, wo sie ausgebaut und abgefüllt werden.

Eine eigene Kellerei hat die WG seit 1970 nicht mehr, sie befand sich bis dahin in der Innenstadt (zuletzt unter der Schulturnhalle), dann schloss man sich dem 1951 gegründeten BWK an, zu dem heute 51 Winzergenossenschaften gehören. Der Beschluss, dem BWK beizutreten, war schon vor über 50 Jahren umstritten: Man fürchtete, dass der Schriesheimer Wein seinen Charakter verlieren würde. Die ganz große Liebe zu den 200 Kilometer entfernten Südbadenern ist immer noch nicht ausgebrochen – was auch an den Turbulenzen der jüngsten Zeit liegt: Dem langjährigen Kellermeister Jörg Wiedemann wurde Ende 2020 nach 35 Jahren gekündigt. Dahinter steht offenbar die Absicht, den Kleingebindekeller, für den Wiedemann verantwortlich war, mit dem Großgebindekeller (der beliefert die Supermärkte mit "Massenweinen") zusammenzulegen. Der hoch spezialisierte Kleingebindekeller mit gut 500 unterschiedlichen Weinen ist für Schriesheim und sein breites Sortiment besonders wichtig. Zudem gibt es regelmäßig Ärger um das vom BWK ausgezahlte Traubengeld, das manche WG-Ablieferer für zu niedrig halten. Wäre es nicht an der Zeit, sich nach einer anderen Kellerei umzusehen, die vielleicht etwas näher liegt, also beispielsweise Heppenheim? Mal schauen, sagt Bretschi. Klar ist nur, dass eine eigene Kellerei für die WG mit ihren 130 Hektar Anbaufläche nicht wirtschaftlich wäre.

Ein neuer Kellerei-Partner ist noch Zukunftsmusik, jetzt kümmert sich Bretschi erst mal um neue Absatzkanäle für den Schriesheimer Wein: Die Verbindung in die Tourismusmetropole Heidelberg soll ausgebaut werden – hier ist die WG erstmals beim Weindorf auf dem Schloss vertreten. Zum ersten Mal verkaufte die WG ihre Produkte in die Karibik, und mit China laufen die ersten Gespräche.

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Gerade liefert Christina Krämer am Kelterhaus der Winzergenossenschaft Spätburgundertrauben an, die sie zuvor am Ortsrand zu Dossenheim gelesen hat. Foto: Dorn

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung