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28.12.2021

Die Bergstraße ist verhängnisvoll für Flugzeuge

Die Bergstraße ist verhängnisvoll für Flugzeuge

Diese Notlandung eines Leicht-Doppeldeckers am Kohlhof bei Altenbach ging im April 2008 noch glimpflich aus; der Pilot blieb unverletzt. Foto: Dorn
Nicht nur am Hohen Nistler stürzten Maschinen ab. Die RNZ rekonstruiert die Unglücksserie, die schon 1915 begann.

Von Micha Hörnle

Schriesheim/Bergstraße. Vor 30 Jahren ereignete sich das schwerste Flugzeugunglück an der Bergstraße, als eine "Classic Wings"-Maschine am Hohen Nistler bei Handschuhsheim abstürzte und 28 Personen ums Leben kamen. Allerdings gerät dabei in Vergessenheit, dass am Bergstraßenkamm relativ häufig Flugzeuge abstürzen, auch in jüngerer Zeit – wenn auch mit nicht ganz so hohen Opferzahlen. Der Wanderwart des OWK Schriesheim, Berthold Pasch, machte auf ein heute fast vergessenes Unglück am Staudenberg bei Leutershausen aufmerksam. Aber wenn man noch weiter im RNZ-Archiv gräbt, findet man mindestens sechs weitere Abstürze. Die häufigste Unfallursache war schlechte Sicht.

> 1915/16 (unbekannte Opferzahl): Über das früheste Unglück weiß man nur sehr wenig. In der RNZ vom 4. Januar 1997 wird nur sehr knapp der Absturz eines Doppeldeckers bei Leutershausen erwähnt, und zwar "1915 oder im Jahr darauf". Das Flugzeug soll an der Gemarkungsgrenze an einem Baum zerschellt sein, wie der Schriesheimer Martin Sander herausfand. Die Ursache war offenbar schlechte Sicht.

> 12. November 1937 (zehn Tote, zwei Verletzte): Am Nordosthang des Weißen Steins zerschellte eine aus Berlin kommende Heinkel-Maschine der Lufthansa im Anflug auf Mannheim. Zehn Personen kamen dabei ums Leben, zwei Personen überlebten schwer verletzt. Das Flugzeug war wegen schlechter Sicht direkt in eine Bergflanke geflogen. Unter den Opfern des Unglücks – bis dahin eines der schwersten in der noch jungen Luftfahrtgeschichte – war auch der jüdische Kaufmann Max Kornbaum aus Karlsruhe, der in die Maschine gestiegen war, um sein Karlsruher Kaufhaus zu retten. Als einziger der zehn Toten erhielt er nach der Bergung keinen Leichenmantel, sondern wurde nur in ein Tuch gehüllt, wie Stadtarchivar Dirk Hecht im Jahrbuch von 2012 schreibt.

> 12. Juni 1940 (fünf Tote): Die Bomberversion derselben Unglücksmaschine von 1937, eine Heinkel 111 des Kampfgeschwaders 53, flog an diesem Tag in den Schriesheimer Steinbruch. Zeitzeugen erinnerten sich auch nach fast fünf Jahrzehnten noch an einen "riesigen Knall vormittags gegen zehn Uhr", als die Maschine explodierte, wie es in der RNZ vom 4. Januar 1997 hieß. Alle fünf Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Auch hier die Absturzursache: "Schlechte Sicht infolge tiefhängender Wolken", heißt es in den Akten des Militärgeschichtlichen Archivs in Freiburg. Das Kampfgeschwader 53 erwarb sich als "Legion Condor" im spanischen Bürgerkrieg einen zweifelhaften Ruf wegen des rücksichtslosen Bombardements von Städten wie Guernica – Pablo Picasso widmete diesem Angriff eines seiner berühmtesten Gemälde.

> 23. Oktober 1973 (ein Toter): Am Morgen war der kanadische Starfighter mit seinem Piloten D.L. Mc Cullough vom Nato-Flughafen Söllingen bei Rastatt gestartet, um Richtung Norddeutschland Tiefflüge zu üben – weswegen auch kein Funkkontakt zu ihm bestand. Das erschwerte auch die Suchaktion der Bundesluftwaffe, die sich zunächst auf den Raum um Hameln konzentrierte, weil dort ein Autofahrer einen Absturz gemeldet hatte. Erst zwei Tage später fanden zwei Förster am Staudenberg bei Leutershausen die Trümmerteile des Starfighters. Etliche Leutershausener hatten zwar eine Detonation gehört, aber ihr keine weitere Bedeutung beigemessen. In der RNZ vom 27. Oktober hieß es (mit falsch geschriebenem Namen des Piloten): "Gegen Mittag sichteten Hubschrauber dann auch die Überreste des Piloten, des 32 Jahre alten Captains McCallaugh, die an einem Fallschirm im Baum gehangen haben sollen. Die Förster alarmierten zunächst die Weinheimer Polizei, die sofort Beamte zur Sicherung der Aufprallstelle – ein Waldweg, der durch eine Baumschule am Berghang entlang führt – abordnete.

Wenig später trafen dann Feldjäger der Bundeswehr und amerikanische Militärpolizei ein, die das riesige Gelände zum ,militärischen Sperrbezirk’ erklärten und den Vertretern der Presse das Fotografieren verboten. Hubschrauber kreisten über dem Wald und versuchten, für die Suchtrupps das Trümmerfeld abzugrenzen. An der Aufschlagstelle selbst ist nur wenig zu sehen: Die Maschine, die wahrscheinlich tief über das kleine, enge Tal ziehen wollte, konnte sich nicht sehr weit einbohren, da der Untergrund aus Fels besteht. Vermutlich hat auch eine Explosion stattgefunden." Die Weinheimer Nachrichten ergänzten am nächsten Tag, dass die Maschine mit 800 Stundenkilometern in den Berg geflogen sei, dabei seien etwa 4000 Liter Kerosin explodiert.

> 29. November 1996 (zwei Tote, ein Verletzter): Eine zweimotorige "Piper", die auf dem Weg von Prag nach Mannheim war, stürzte im Waldgebiet zwischen Dossenheim und Schriesheim ab. Der 42-jährige Pilot, ein Ingenieur aus Leimen, und sein 39 Jahre alter Freund, ein Mitarbeiter der Firma "Transavia" aus Speyer, der die Maschine gehörte, wurden getötet. Ein Passagier überlebte. Im Schriesheimer Feuerwehrhaus wurde unter dem damaligen Bürgermeister Peter Riehl eine Einsatzleitstelle eingerichtet, die die 200 Helfer koordinierte. Deren Arbeit war wegen des heftigen Schneefalls besonders schwer: Die Fahrzeuge kamen im aufgeweichten Boden kaum voran, auch Hubschrauber konnten nicht starten. Die Opfer wurden schließlich oberhalb der Schauenburg, am Ölberghang, gefunden. Die Ursache des Absturzes: Durch starke Windböen und Schneetreiben wurde das Flugzeug an den bewaldeten Hang gedrückt. Der Pilot, so hieß es in der RNZ vom 1. Dezember 1996, sei außerordentlich erfahren gewesen, habe aber möglicherweise die Orientierung verloren, weil er nichts mehr sehen konnte.

> 20. Oktober 2000 (ein Schwerverletzter): Eine zweimotorige "Cessna" zerschellte beim Weißen Stein. Der Pilot, ein 52-jähriger Unternehmer aus Bayern, überlebte mit schweren Verbrennungen. Er war am Morgen bei Regensburg mit Ziel Mannheim gestartet. Bei Heilbronn hatte er sich aus der Überwachung durch die Flugsicherung Frankfurt abgemeldet und war auf Sichtflug gegangen. Zur Zeit des Absturzes herrschte dichter Nebel.

> 5. April 2008 (keine Opfer): Ein 44-jähriger Pilot musste mit seinem Leicht-Doppeldecker am Kohlhof oberhalb von Altenbach notlanden. Der Mann war mit seiner 400 Kilogramm leichten Maschine aus Aluminium, Holz und Kunststoff unterwegs von Worms nach Mosbach, als sich nach dem Flug über die Rheinebene ein technischer Defekt abzeichnete. Die Landung endete in den Bäumen an einer Lichtung. Der Pilot blieb unverletzt und befreite sich selbst aus dem Cockpit.

> Weitere schwere Flugzeugunglücke der Region: Am 4. August 1993 stürzte ein Privatflugzeug unmittelbar nach dem Start vom Flugplatz Mannheim-Neuostheim in die benachbarten Kleingärten, weil die Triebwerke ausgefallen waren. Der Pilot der einmotorigen DO 27, seine Frau, die zweijährige Tochter und der vierjährige Sohn starben. Die Familie stammte aus Wiesloch. Am 24. November 1994 flog eine Cessna in einen Hang am Heidelberger Königstuhl: Drei Personen starben, eine weitere wurde verletzt; der Präsident der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar, Klaus O. Fleck, erlag zwei Wochen später seinen Verletzungen. Die Ursache des Unglücks waren schlechte Witterung und Sicht. Die Fachklinik Königstuhl entging bei dem Absturz nur knapp einer Katastrophe. Am 5. Dezember 1994 prallte ein Rettungshubschrauber gegen den Mannheimer Fernsehturm. Alle vier Insassen kamen dabei ums Leben.

Am schwersten hingegen war kein Flugzeug-, sondern ein Hubschrauberabsturz am 11. September 1982 in Mannheim, bei dem 46 Personen starben. Zum 375-jährigen Stadtjubiläum fanden auf dem Mannheimer Flugplatz in Mannheim-Neuostheim die "Internationalen Luftschiffertage" statt. Dabei wollten Fallschirmspringer aus Mannheim und den Partnerstädten Toulon und Swansea von einem Hubschrauber aus einen Rekord im Formationssprung aufstellen. Durch einen technischen Konstruktionsfehler kollidierten die beiden Rotorblätter des "Chinook"-Modells, der Hubschrauber stürzte auf die A656. Alle Insassen starben: 23 Franzosen, neun Briten, sechs Deutsche und acht Amerikaner, darunter die fünfköpfige Besatzung und zwei AFN-Reporter. An sie erinnert seit 1983 ein Denkmal am Flugplatz und ein weiteres in Toulon.

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Am Staudenberg erinnert dieses kleine Mahnmal an den Starfighter-Absturz von 1973. Foto: Dorn

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Im April 2000 stürzte eine Cessna am Weißen Stein ab – die Unglücksursache war wohl fehlende Sicht wegen dichten Nebels. Der Pilot überlebte schwer verletzt. Foto: Dorn

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung