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16.11.2004

"Ein Verwaltungskruschd, der nicht zu packen ist"


Auf seiner letzten Bürgerversammlung nahm der Schriesheimer Bürgermeister erst recht kein Blatt vor den Mund

Schriesheim. (ron) Am Freitagabend, zwei Stunden vor der letzten Bürgerversammlung in seiner 30-jährigen Amtszeit (wir haben am Samstag berichtet), hatte sich Peter Riehl trotz der Kälte zu einem Spaziergang aufgemacht, um seine Gedanken für den abendlichen Vortrag zu ordnen. Abends stellte er sich dann vor seine Bürger und bekannte: "Ich will aus dem Herzen heraus zu Ihnen sprechen." Und das schüttete er dann auch einige Male aus. Ein paar Beispiele.

Die Finanzen. "Es ist nicht mehr vertretbar, was Bund und Land mit uns Kommunen machen, man lässt die Gemeinden ausbluten", schimpfte Riehl in Richtung Stuttgart und Berlin. 1999 waren der Stadt noch 5,2 Millionen Euro an staatlichen Zuschüssen für ihre Aufgaben zur Verfügung gestanden, 2005 werden es nur noch 1,1 Millionen sein. "Das ist besonders sträflich, weil man damit die Kommunen straft, aus denen das Leben herauskommt." Eine Mitschuld an der Misere gab Riehl auch den hiesigen Abgeordneten, die sich seiner Meinung nach nicht ausreichend für die Städte und Gemeinden einsetzen. "Ich kann schimpfen, ich muss nicht mehr lobhudeln, weil ich keinen Wahlkampf mehr machen muss." Die Sorge über die Finanzen prägte Riehls Ansprache überhaupt.

Die Schulen. Der Ausbau des Kurpfalz-Schulzentrums steht noch auf Riehls Agenda der zu Ende gehenden Amtszeit. Ansonsten sieht er aber auch einen Sanierungsstau im Schulzentrum von drei Millionen Euro "bei keinem Pfennig Geld". Wenn die finanzielle Ausstattung der Schulträgerstädte nicht besser geregelt werde, "dann geht es bei uns so wie in den Großstädten": "Wenn dann zwei von vier Toiletten kaputt sind, heißt es einfach: dann bleiben sie eben zu, zwei müssen reichen." Die Schulen werden sich an den Sparkurs gewöhnen müssen. "Wer von einer Ganztagesschule in Schriesheim spricht, bringt den Eltern nur Flötentöne bei, wir können nur das machen, was wir auch finanzieren können. Auch eine Mensa "für 20 oder 30 Schüler, die das nutzen", könne sich die Stadt auf absehbare Zeit nicht leisten.

Die Bürokratie. Der private Kinderkrippenanbieter "Purzelzwerge" stößt auf große Resonanz, so dass die alte Hausmeisterwohnung der Mehrzweckhalle, die den Verein beherbergt, jetzt aufgestockt wird. Für Riehl war das am Freitagabend ein Anlass, die bürokratischen Hürden zu kritisieren. "Jetzt müssen wir da einen Fahrstuhl bauen, den ein zweijähriges Kind sowieso nicht benutzt", schüttelte er den Kopf. Ähnliches Beispiel: für den Abriss des alten Schulpavillons verlangte das land ein Gutachten zur Bestätigung des städtischen Urteils. Mehrkosten: 20 000 Euro. Riehl: "Wir stoßen auf einen Verwaltungskruschd, der nicht mehr zu packen ist".

Neubaugebiet Nord. Für Riehl liegen dort die Hoffnung darauf, dass sich die Stadt überhaupt noch etwas leisten kann. "Alle Unkenrufe sind nicht eingetroffen", betonte er. Die Bauplätze seien "fertig und begehrt", teilte er mit. Wenn alles gut läuft, dann erhofft sich Riehl im Jahr 2005 2,5 Millionen Grundstückserlöse - Geld, das er dringend braucht. Die Standortfrage ist übrigens klar: "Die Leute rufen erst an und fragen nach Schulen und Kindergärten und dann erst nach dem Bauplatz", erklärte Riehl und gestand erstmals ein: "Wegen diesem Neubaugebiet hatte ich schlaflose Nächte." Für das "Quartier Solaris" der Firma Conceptaplan sieht er größeren Integrationsbedarf ("die hängen völlig aufeinander"). Es müsse möglich sein, die neuen Bewohner in die Vereine und das kulturelle Leben hineinzubringen. "sonst kriegen wir ein Chaos".

Rebflurbereinigung II. Offenbar überschätzt auch die RNZ einmal den Bürgermeister in seiner Großzügigkeit. Riehl legt Wert darauf, dass er den städtischen Kostenanteil an der Rebflurbereinigung nicht auf 30 Prozent beziffert hat, wie es am samstag zitiert war. Der Bürgermeister gestern: "Ich spreche von einem Teil dieser 30 Prozent."

Bäume und Fluglärm. Nur zwei Bürger meldeten sich nach Riehls fast anderthalbstündigem Vortrag mit Fragen. Ein Bürger monierte die Baumfällaktion wegen der Verbreiterung an der B 3. "Eine wichtige Verkehrsmaßnahme, hinterher werden aber Bäume wieder dort gepflanzt, wo es möglich ist", erklärte Riehl. Ein Anwohner von Schriesheim Süd berichtete von steigender Fluglärmbelästigung von anfliegenden Maschinen auf Mannheim. Das werde immer mehr. Riehl: "Nach den uns bekannten Zahlen nicht, aber wir fragen noch mal nach."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung