Schriesheim im Bild 2023

21.08.2003

Auf Lunas Rücken in der Partnerstadt

Anna Waegner aus Schriesheim und ihr Pferd weilten im Trainingslager in Uzès bei einem berühmten Distanztrainer in Frankreich.

Von Katja Nicklaus

Schriesheim/Uzès. Ein Jahr Uzès, mit dem eigenen Pferd als Reisepartner. Die 20-jährige Schriesheimerin Anna Waegner ist gemeinsam mit ihrer Stute Luna aus der Partnerestadt zurückgekehrt - und sie hat viel erlebt.

Anna Waegner (20) sammelte in Uzès Erfahrungen. Fotos: Dorn

Luna ist gewachsen. Die gerade mal 1,66 m messende Hannoveraner Stute, die in Deutschland neben den mächtigen Warmblütern im Dressursport immer "die Kleine" war, ist während ihres Aufenthaltes in Frankreich die "große Braune" geworden. Denn neben den zierlichen Arabern des portugiesisch-französischen Distanztrainers Antonio Naguiera wirkte Luna plötzlich enorm. Erzählt Anna Waegner. Denn ohne ihre Besitzerin wäre Luna nie nach Uzès, der südfranzösischen Schriesheimer Partnerstadt, und damit auch nicht zu ihrem neuen Sport, dem Distanzreiten gekommen.

Ohne Luna wäre aber Anna Waegner wohl nie zu Antonio Naguiera gekommen. Denn eigentlich wollte die Abiturientin aus Schriesheim im vergangenen Jahr nur das machen, was so vielen Schulabgängern nach dem Abi vorschwebt: Ein Jahr Au-Pair, neues Land, neue Leute und neue Sprache. Eigentlich hatte die damals 19-jährige das englischsprachige Ausland ins Auge gefasst, doch das war mit ihrem liebgewonnenen Pferd nicht realisierbar. Dagegen drängte sich Frankreich als EU-, Nachbar- und Pferdeland par excellence geradezu auf.

Der Zufall und Horst Schütze halfen: Au-Pair-Stelle mit Pferd

Der Zufall half - und die lebendige Städtepartnerschaft zwischen Schriesheim und Uzès. Horst Schütze, der Vorsitzende des Partnerschaftsvereins, hatte die zündende Idee: Eine französische Künstlerin hatte Bilder in der Schriesheimer Sparkasse ausgestellt, auch ein paar Pferdebilder, schildert Anna: "Über 1000 Ecken hat sich dann der Kontakt zu Antonio Naguiera ergeben und Horst Schütze, hat uns dann Anfang 2002 zu einem Besuch bei seinem Sohn in Uzès mitgenommen und mich Antonio Naguiera vorgestellt, der die Pferde einer portugiesischen Besitzerin trainiert."

Über die Modalitäten war man sich schnell einig. Anna half gegen Kost und Logis und ein Taschengeld auf dem Hof und mit den Pferden, bekam ein Auto zur Verfügung gestellt und Stute Luna genoss die Zeit gemeinsam mit einem anderen Pferd in einem riesigen Paddock - und lernte das Distanzreiten kennen. Auch für ihre Reiterin erschlossen sich hier neue Welten.

Beim Distanzreiten kommt es darauf an, lange Strecken in gleichmäßigem Tempo zurückzulegen - in etwa wie beim Marathonlaufen, nur eben zu Pferd. Die "Königsdisziplin" geht dabei über 160 Kilometer - an einem Tag. Über diese Strecke werden Welt- und Europameisterschaften ausgetragen. Dabei werden heute Tempi von durchschnittlich bis zu 22 Stundenkilometer geritten!

Doch wie in jeder Sportart wird auch hier klein angefangen. Besonders in Frankreich ist der Einstieg für Pferd und Reiter streng kontrolliert. Zunächst muss sich das Team über 20 Kilometer bewähren. Dann kann man allmählich die 40, 60 und später auch mehr Kilometer angehen. Dabei heißt es nicht: Wer als erstes das Ziel erreicht, gewinnt. Vielmehr muss der Reiter sein Pferd so vorbereitet haben, dass es gesund und fit über die Strecke kommt. Tierärzte überwachen nicht erst nach, sondern schon während des Rittes den Zustand der Tiere im Wettkampf. Puls und Atmung werden kontrolliert, das Pferd auf eventuelle Lahmheiten untersucht.

Anna und Luna hatten absolutes Neuland betreten - und fingen auf Anhieb Feuer: "Nach sieben Monaten Training sind wir unseren ersten 20 Kilometerritt gegangen. Am meisten gefreut hat mich, dass Luna nach 20 Kilometern mit gespitzten Ohren über die Ziellinie geschritten ist. Und das, obwohl wir eigentlich die ganze Zeit nur galoppiert sind. Das hat mir gezeigt, dass sie gut trainiert war."

Jetzt nach einem Jahr ist Anna schon ziemlich zu Hause im Distanzsport. Und auch Luna hat sich gewandelt: "Ihre Muskeln haben sich sichtbar verändert. Vom Dressurreiten her war sie eigentlich ein sehr kompaktes Pferd, jetzt habe ich das Gefühl, sie ist länger geworden", beobachtet Anna. Aber auch charakterlich sei die Hannoveraner Stute cooler geworden: "Sie ist viel ruhiger geworden, ruht mehr in sich."

Neben dem Wissen über Pferde hat Anna auch sonst dazu gelernt, beobachtet ihre Mutter: "Anna hat viel an Lebenserfahrung dazu gewonnen." Wie während des Hochwassers in Uzès: "Die Pferde standen knietief im Schlamm, wir hatten 48 Stunden kein Wasser und keinen Strom", schildert Anna den Ausnahmezustand. "Abends haben wir bei Kerzenlicht gegessen, gekocht wurde mit Mineralwasser über der Gasflamme. Und trockene Schuhe hatte ich keine mehr."

Da zeigte sich, wie hilfsbereit die Schriesheimer sind. Bald fuhren Päckchen für Anna im Urlaubsgepäck verschiedenster Familien mit: Die Altenbacher Sänger brachten Mineralfutter für Luna mit, andere nahmen Kartons und eben auch trockene Schuhe nach Frankreich mit. Die Austauschschüler des Kurpfalzgymnasiums nahmen dafür dann Annas Weihnachtsgeschenke an ihre Familie mit zurück nach Schriesheim.

Austausch-Schüler sprangen als Weihnachtsboten ein

Nun ist Anna, die Tochter des Ex-Grünen-Stadtrates Heinz Waegner, 20 Jahre alt geworden und seit ein paar Wochen wieder zurück in Schriesheim. Sie hätte sich durchaus vorstellen können, bei Antonio weiterzuarbeiten. "Ich könnte in Frankreich leben. Gerade in Uzès sind die Leute super nett, sehr aufgeschlossen Ausländern gegenüber. Und Antonio meinte, er würde mich auch fest anstellen.", Wenn, ja, wenn Uzès nicht gar so weit von der Familie und Freundeskreis wäre. So plant Anna nun ein Studium in Stuttgart. Reiterlich will Anna Lunas Distanzkarriere fortsetzen, aber auch die Dressurarbeit nicht vernachlässigen. E- und A-Prüfungen werden anvisiert. "Ich halte es für sinnvoll, Dressur und Distanzreiten zu verbinden", betont Anna. Beim Klosterritt in Lorsch stehen nun Ende August einmal 60 Kilometer auf dem Programm.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung