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10.09.2003

Alois S: Kein Feuer- , sondern ein ganz "armer Teufel"

44-jähriger Altenbacher hat gestern alle Brandstiftungen der letzten vier Jahre gestanden und kann nun auf eine Bewährungsstrafe hoffen

Von Roland Kern

Schriesheim/Mannheim. "Ich gebe alles zu." Mit diesem Satz, leise, fast unverständlich ausgesprochen, hat Alois S. aus Altenbach gestern vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichtes Mannheim alle Brandstiftungen gestanden, die er in den letzten vier Jahren begangen hat. "Stimmt das auch?", bohrte der Vorsitzende Richter Rolf Glenz nach. "Ja", presste der 44-jährige gelernte Gipser hervor. Mit diesem Geständnis, das ihm sein Mannheimer Verteidiger Ekkart Hinnay ans Herz gelegt hat, kann sich Alois S. nun Hoffnung auf eine Bewährungsstrafe machen. Die Eckpunkte einer tragischen Geschichte:

Die Taten. Zwölfmal hat Alois G. in der Gegend zwischen der Oberen Kippstraße, wo er bis zu seiner Verhaftung wohnte, und dem Sportplatz auf der Kipp Feuer gelegt. Dort wachsen Büsche, der Wald beginnt. Altenbach hat zwölfmal Glück gehabt. Und zwölfmal eine fixe Feuerwehr. Die ersten Einsätze werden auf das Jahr 1999 datiert. "Von einer Serie konnte man am Anfang nicht reden", sagt Altenbachs Kommandant Erwin Sommer in der Hauptverhandlung. Später hat es sich gehäuft. Im Sommer 2002 und im Frühjahr 2003 hat Alois G. fast alle zwei Wochen gezündelt. Einmal wagte er sich an eine verlassene Waldhütte und erschrak selbst, als plötzlich der Deckel einer Gasflasche wie eine wild gewordene Diskusscheibe aus der Hütte torpediert wurde - und 160 Meter weiter in ein Hausdach einschlug. Es hätte jemand sterben können. Einmal brannte eine Wiese auf 100 Quadratmetern. Im Hitzesommer 2003 hätte das einen verheerenden Waldbrand verursacht.

Der Täter. Alois S. ist 14 Jahre alt, als sein Vater starb. "Irgendwas mit dem Herz", erinnert er sich vage. Nach der Hauptschule lernt er Gipser in Oftersheim, wie der Vater, dann nimmt er eine Stelle als Maurergehilfe in einem Altenbacher Betrieb an. Dort kündigt er, wie er sagt, "weil der Chef immer die Ausländer bevorzugt". Danach bekommt er nur noch Hilfsjobs, erst in einem Ursenbacher Zimmereigeschäft, dann bei einem Spengler. Auch sein letzter Job, als Gärtnergehilfe in einem Betrieb bei Bensheim, wird gekündigt, das war vor drei Jahren. Auto fährt er nicht, den Führerschein hat er sich nie zugetraut. Der Arzt und Psychiater Dr. Hartmut Pleines hat sich als Sachverständiger mit der Person Alois S'. während der letzten drei Monate seiner Untersuchungshaft beschäftigt. Über seine Erkenntnisse legt er unter Ausschluss der Öffentlichkeit Rechenschaft ab. Man will gar nicht wissen, was noch alles herauskommt.

Die Familie. Nach dem frühen Tod des Vaters hat die Mutter die fünf Kinder alleine großgezogen. Sie ist putzen gegangen, damit die Kinder satt werden. Aus Altenbach ist Alois S. nie fortgewesen. Er wohnt in einer Einzimmer-Wohnung in der Nachbarschaft der Mutter. Während seiner Zeit als Hilfsmaurer hat er geheiratet. Die Ehe hielt nicht viel länger als fünf Jahre. "Meine Frau hat einen anderen gefunden", erklärt Alois S. tonlos. Jetzt lebt sie mit den zwei gemeinsamen Söhnen, 16 und 18 Jahre alt, in Würzburg. Der Vater weiß nicht, wo genau. Um die Adresse hat er sich nie gekümmert. Seit Alois' Festnahme hat sich seine Mutter nicht mehr gemeldet. "Ich kann das verstehen", erklärt er. "Die Mutter leidet", sagt der Anwalt, "Altenbach ist ein Dorf". Und er fragt: "Welche Menschen spielen in ihrem Leben eine wichtige Rolle?" Alois S. versteht nicht. "Wer steht Ihnen nahe?" Keine Antwort.

Das Dorf. "Nach Altenbach können Sie nicht mehr zurück", hat ein Polizist schon bei der ersten Vernehmung Alois S. geraten, "dort sind Sie abgestempelt". Das glaubt er nicht. "Es tut mir doch leid", stammelt er, "ich werde es nie mehr tun". Beim Fußballverein durfte er zweimal in der Woche die Linien auf dem Platz ziehen. Ehrenamtlich. Seine Stammkneipe war das Bistro des "Move". Dort saß er immer alleine am Tisch, und auf dem Heimweg gebrauchte er sein Feuerzeug. Man kannte ihn. "Von der Person her", wie ein Zeuge aussagt. Aber nicht näher. Um Himmelswillen.

Die Feuerwehr. Sie hat ihm etwas bedeutet. Als Jugendlicher wurde er schon Mitglied, war engagiert, galt etwas. Anfangs. Später begann er, sich merkwürdig zu verhalten, wurde zum Sonderling. 1986 wurde die Altenbacher Feuerwehr durch eine Reihe von Fehlalarmen genervt. Tonbandprotokolle entlarvten Alois S. Er wurde unehrenhaft entlassen und hat das nie verkraftet.

Der Alkohol. Zuhause habe er nie getrunken, und auch im "Move-Bistro" nur abends. Und nie mehr als drei Weizenbier, behauptet Alois S. Aber ein Zeuge sagt aus, dass es "so um die acht Weizen" waren, die er alleine an seinem Tisch hinunterkippte. In der Nacht, als er festgenommen wurde, nahm der Arzt Alois S. drei Stunden später eine Blutprobe: 1,71 Promille. Aber er trank nicht immer in Unmaßen. "Seine Wohnung war halbwegs zivilisiert, keine Bierflaschen, nichts", sagt der Polizist. "Saufgelage sieht anders aus."

Der Aufdecker. Frank Wittmann (35) ist Feuerwehrmann von Beruf und verdient sich abends im "Move" ein paar Mark dazu. Alois S. war sein Stammgast. Manchmal, wenn es wieder mal ein paar Biere zuviel waren, hörte er ihn grummeln und über die Altenbacher Feuerwehr schimpfen. "Die kriegen kein Feuer aus", schnaubte er einmal, bevor er sich auf den Nachhauseweg machte. Wittmann wurde hellhörig, informierte Erwin Sommer, den Altenbacher Kommandanten.

Der Polizist. Gerhard Adrion (43) legt viel Ehrgeiz und Einsatz in die Ergreifung des Mannes, den man den "Altenbacher Feuerteufel" nannte. Wittmann und Sommer stoßen auf offene Ohren. Adrion entschließt sich zur Observation des Verdächtigen, legt sich nachts auf die Lauer. Nach drei Tagen geht Alois S. ins Netz. Die Feuerwehrleute beobachten ihn auf frischer Tat, treten das Feuer mit den Füßen aus, der Polizist wartet zuhause und lässt die Falle zuschnappen. "Du kannst mir gar nichts beweisen", grinst Alois S. ihn erst noch an. Bald schon, auf dem Rücksitz des Streifenwagens, gesteht er einen Teil der Brandstiftungen. "Der Mann ist ein armer Teufel", sagt der Ermittler, "kein wirklich Krimineller". Ins Gefängnis? "Eigentlich bräuchte er eine soziale Betreuung."

Der Prozess. Rolf Glenz ist ein feinfühliger Richter. Kein lautes Wort, auch wenn sich Alois S. die Würmer aus der Nase ziehen lässt. Er behandelt den einfachen Mann nie überheblich, immer höflich. Die Beweisaufnahme ist akribisch. Welcher Baum hat gebrannt, wie groß war das Wiesenstück? Die Zielrichtung ist klar: wie gefährlich ist Alois S. wirklich? Hätte ihm ein spektakulärer Waldbrand gerade gepasst? Oder gar der Tod eines Menschen?

Die Strafe. Mit seinem vollständigen Geständnis ist Alois S. der Kammer entgegen gekommen. Eine kluge Entscheidung seines Verteidigers. "Alles hätte man ihm nicht nachweisen können", erklärt ein Polizist. Außerdem zeigt er Reue. Das könnte auf eine Bewährungsstrafe hinauslaufen. "Ich werde auf Bewährung plädieren", verrät Verteidiger Hinnay, "schließlich bin ich sein Anwalt". Staatsanwalt Stephan Ullrich, der viel zum höflichen Ton der Verhandlung beiträgt, schließt nicht aus, diesen Weg mitgehen zu können. Genau weiß er es noch nicht. "Mit Brandstiftung ist nicht zu spaßen, was da alles passieren kann", gibt er zu Bedenken. Vielleicht fordert er ein Strafmaß knapp über der Bewährungszeit. Am Ende entscheidet die Kammer. Man kann davon ausgehen, dass es ein gerechtes Urteil wird.

Der Prozess wird am nächsten Mittwoch, 17. September, fortgesetzt.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung