Schriesheim im Bild 2023

22.09.2003

Der Himmel war ein Tag auf Erden

Schriesheimer Weinwanderung war im siebten Jahr endgültig der große Knaller - Tausende von Menschen in den Weinbergen.
Von Roland Kern

Schriesheim. Ein Wunder in Grün: Die Schriesheimer Weinwanderung war gestern bei strahlendem Sonnenschein ein wunderschönes Spätsommererlebnis. Tausende von Menschen wanderten entlang der Bergstraße und ließen die Seele baumeln.

Es war am Abend kurz vor halb acht Uhr am Stand des Verkehrsvereins. Karl-Heinz Schulz und Joachim Müller versuchten, Bilanz zu ziehen. Das war schwierig, weil der Ansturm der Kundschaft noch immer enorm war. Zwischen dem Ausschank von zwei Rieslingschorle japste Schulz begeistert: "So gut war es noch nie." Dann waltete er weiter seines Amtes. "Mehr als 3000 Menschen", so schätzte Müller gestern Abend, "marschierten bei bester Laune, Durst und Appetit durch Schriesheims Weinberge. Aber wer will die Menschen zählen?

Jedenfalls war die jetzt siebte Schriesheimer Weinwanderung am gestrigen strahlenden Sonntag rekordverdächtig. Keiner kann genau bestimmen,wie viele Leute gestern die Schriesheimer Weinlagen durchwanderten. Tausende waren es in jedem Fall. Die Wanderung ist mittlerweile der absolute Knaller. Es gibt schon Stimmen, die alten und ruhigeren Zeiten nachtrauern. Aber spätestens in diesem Jahr ist die Weinwanderung zu einem kleinen Volksfest geworden.

Der Reihe nach. Die rührigen Mitarbeiter des Verkehrsvereins haben auf dem Festplatz ihren Begrüßungsstand aufgebaut. Ein wunderbarer Auftakt am "Lehr-Buckel" vor dem Gästehaus "Hauser". A propos. Käthe und Georg Hauser gehören mit ihrem Schäferhund zu den ersten Wanderern. Stolz begutachtet der "Hausers-Schorsch", was mittlreweile Georg Bielig aus seinen Weinbergen gemacht hat. Der alte Hauser ist sehr zufrieden.

Georg Bielig, der auch Vorstand der Jagdhornbläser ist, hat für seinen Stand einige Bläserkollegen engagiert, die ihm gerne helfen. Neben den ausdrucksstarken Gereiften, rot oder weiß, gibt es Neuen. Bieligs Vater Erhard, ein Hobby-Metzger, hat für Hausmacher und frische Bratwürste gesorgt, die trotz der frühen Tageszeit ein Viertel Riesling angemessen erscheinen lassen. Um es unumwunden zu sagen: der Aufbruch von diesem schönen Flecken Erde war schon eine harte Gewissensentscheidung. Man hätte auch ohne einen Moment Langeweile bis abends dort verharren können. Dies taten einige sitzfleischige Wandergesellen auch.

Aber laut Plan ging die Tour ja erst los. Ziemlich steil bergauf ging's , bis kein Geringerer als CDU-Stadtrat Paul Stang im Namen der Winzergenossenschaft die Wanderer unterhalb des Madonnenbergs empfing. Und es gibt an der Bergstraße wenig Menschen, die netter sind als der ehemalige Polizeipostenchef. Auf dem Weg hinunter in die Stadt lag der Stand des Weingutes Majer oberhalb des Friedhofs auf dem Weg. Ein Ziegenkäse-Potpourrie aus der bekannten Nusslocher Farm schmeckte zum spritzigen Weißwein des Hauses prächtig. Übrigens: ein Apfelcidre, der weit weniger Alkohol aufweist als ein Wein oder Sekt, schmeckte dort hervorragend und belebte die Sinne für die nächsten Etappen.

Wer auf der anderen Seite des Schriesheimer Tals auf der Strahlenburg ankam, wusste, dass er - trotz aller Erlebnisse bislang - das Beste noch vor sich hatte. Hochsommerlich heiß brannte die Sonne vom stahlblauen Himmel. Schweißtreibend war der Spaziergang zwischen den Reben; aber gibt es einen schöneren Sport? Die renommierte Gastronmen-Familie Krämer vom Neuen Ludwigstal hatte sich mal wieder so richtig ins Zeug gelegt und Pilz- und Wildragout mit Semmelknödel gereicht. Dazu den Wein eines bislang eher unbekannten Winzers: Reinhard Schmitt heißt der Freund des Ladenburger Gartenbau-Unternehmers Andreas Huben, der einige Hektar der Schriesheimer Erde annektiert hat. Der Mann versteht sein Handwerk.

Für die Bohnensuppe der Winzergenossenschaft ist es bei fast 30 Grad eigentlich zu heiß, trotzdem nutzen viele Wanderer die Stärkung inmitten des Kuhbergs. Genossenschafts-Geschäftsführer Harald Weiss lässt es sich nicht entgehen, selbst am Stand auszuschenken. Zu Recht genießt er den Erfolg: er ist der Erfinder dieser Weinwanderung, die von Jahr zu Jahr erfolgreicher wird. Wer keine Erbsensuppe will, dem stehten "Rauchpeitschen" zur Verfügung, das sind kleine Samali-Knacker, die zu einem Vollkorn-Brötchen besonders gut passen.

Etwas weiter in der Ebene eröffnet sich ein Kleinod: das Revier von Wilhelm Müller. Schöner kann das Leben eigentlich nirgends sein. Ludwig Jäck und Karl Pfeiffer hauen in die Tasten. "Ich weiß nicht", sagt Schriesheims SPD-Chefin Irmgard Mohr, "was meine Parteifreunde immer mit der Toscana haben, hier ist es viel schöner." Dem bleibt nicht mehr viel hinzuzufügen.

Wer sich von dem gastfreundlichen Wilhelm Müller nochmal losreißen kann, erfährt einen würdigen Abschluss der Weinwanderung. Erst beim Verkehrsverein, wo das Suppenteam des Straßenfestes nochmal zur Höchstform aufläuft und eine sensationelle Lauch-Speck-Suppe serviert. Und dann, dort wo die Weinberge wieder unten ankommen, beim Weingut Wehweck am Dossenheimer Weg. Auf den Bänken zwischen den Reben lässt es sich aushalten, bis die Sonne nicht mehr wärmt. Karl Urban sorgt für die Musik. Ein kleines Volksfest ergibt sich, bis der Planet hinterm Horizont zerläuft. Die Region hat Schriesheim, die Weinstadt mit den Reben, wieder einmal bestens in Erinnerung behalten.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung