Schriesheim im Bild 2023

06.11.2003

"Zu früh aufgegeben"

Heute vor fünf Jahren begann in Schriesheimer der Agendaprozess mit der ersten Zukunftskonferenz

Zukunftsforscher Roland Schoen: "Schriesheims Gemeinderat hat keine Vision." Foto: Dorn

Schriesheim. Vor fünf Jahren hat in Schriesheim die Zukunft begonnen. Am 6. November 1998 fand in den Schulungsräumen der Firma BWT die erste so genannte "Zukunftskonferenz" statt. Rund 70 Schriesheimer Bürgerinnen und Bürger waren eingeladen - und sie waren hochmotiviert. Allen voran Roland Schoen, der Unternehmensberater und - vereinfacht ausgedrückt - Zukunftsforscher, dessen Job es ist, Städte und Gemeinden, vor allem aber Firmen fit für die Zukunft zu machen. Schoen lebte und arbeitete damals in Schriesheim, und er wollte in seiner Heimatstadt besonders glänzen.

Was ist geblieben?

Bürgermeister Peter Riehl war Feuer und Flamme, schwärmte von den ersten Ergebnissen. Die Teilnehmer entwickelten Ideen und Visionen, kritzelten mit bunten Stiften ihre Wünsche auf große Leinwände, verwirklichten sich in Rollenspielen und Diskussionen. Es war eine Begeisterung zu spüren. Belebung der Innenstadt, des Fremdenverkehrs, Radfahren überall, Schriesheim in aller Munde, die Weinstadt auf Platz eins! Und heute? "Auf einer Skala von zehn, steht Schriesheim heute zwischen vier und fünf", bewertet Roland Schoen, der "Mister Zukunft" heute. Die RNZ besuchte den Wirtschaftswissenschaftler ins einem Büro in Wilhelmsfeld, um seine persönliche Bilanz zu erfahren. Positiv fällt sie nicht aus, aber auch nicht vernichtend. "Man darf nicht nur die materiellen Ergebnisse sehen, es sind auch Kontakte entstanden, die werden bleiben", hat Schoen beobachtet. Und: "Es gibt auch Sachen, diesehr positiv waren."

Wenn man eine nüchterne Rechnung aufmacht, sieht die Bilanz auf den ersten Blick wirklich nicht rosig aus. Zwei Jahre nach der ersten Zukunftskonferenz fand eine zweite statt, gedacht als so genannte "Großgruppenkonferenz" in der Mehrzweckhalle. 300 Menschen wurden erwartet, nur etwa 150 kamen, die Stimmung dort war eher müde - kein Vergleich mit dem Auftakt im Jahr 1998. Die Euphorie hatte nachgelassen.

Dennoch sind daraus zwei Projekte entstanden, die heute noch Bestand haben: Der Kindertreff "Kits e.V." und die Bürgerstromanlage, aus der ersten Konferenz gab es bereits den "Tauschring" - bis heute quasi der "Dino" unter den Agenda-Projekten (siehe Bericht unten auf dieser Seite). Die Zahl der Ideen und Aktionen, die aber sehr bald wieder eingeschlafen, oder - noch schlimmer - frustriert eingestellt worden sind, ist deutlich höher. Was gab es nicht alles in den Monaten nach dem November 1998: Innenstadt, Geschäftsleben, Bewusstsein für die Vereine stärken, Kulturbühne, autofreie Heidelberger Straße, City-Bus nach Altenbach, Zusammenführung der Kulturen und Generationen, Existenzgründer-Forum und und und. Von all dem ist wenig bis nichts geblieben. Die Bilanz fünf Jahre nach der ersten Zukunftskonferenz sieht gemischt aus. Auf der anderen Seite gibt es heute so moderne Einrichtungen wie den Jugendgemeinderat - auch das war damals eine Forderung der Agenda-Menschen. Niemand kann mit Gewissheit sagen, ob es das Nachwuchsgremium ohne den 6. November 1998 heute gäbe. Aber greifbar ist das nicht. Roland Schoen sieht in den fehlenden Rahmenbedingungen einen Grund dafür. "Schriesheim hat zu früh aufgegeben", findet er. Nach dem Abflauen der ersten Euphorie, sagt er, "hätte man ein bisschen warmes Wasser nachgießen müssen". Außerdem war der Agenda-Prozess auch im Gemeinderat immer ein umstrittenes Thema. Das sei ein Bremsklotz gewesen. Schriesheim, fünf Jahre nach dem Beginn des Agenda-Prozesses, das ist in Schoens Augen eine Stadt, die hinter ihren Ansprüchen von damals zurückgeblieben ist. Bürgermeister Peter Riehl sieht das natürlich anders (s. nebenstehendes Interview). Schoens Kritik: "Eine Stadt braucht eine Vision, aber Schriesheims Gemeinderat hat diese Vision sicher nicht."

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung