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19.11.2003

"Goethe hätte auch ,Momo' geliebt"

Beim Streifzug durch 50 Jahre Kinderbuch "literarischen Generationenvertrag" geschlossen

Gabriele Hoffmann (r.) von "Leanders Leseladen" und die Schauspielerin Mira Müller stellten Kinderbücher vor. Foto: Kreutzer

Schriesheim/Altenbach. (keke) Manche Bücher müssen gekostet werden. Manche verschlingt man. Und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz. Damit die gedruckte Sprache schon bei den allerjüngsten Leseratten zu einem persönlichen Herzton werden kann, nutzt Gabriele Hoffmann von "Leanders Leseladen" ihre alljährlich von Heike Lukhaup organisierte Vorstellung neuer und vor allem empfehlenswerter Kinder- und Jugendbücher zugleich zum Dialog mit interessierten Eltern.

Die Gedanken und Ausführungen der diesjährigen Veranstaltung im Altenbacher Verwaltungszentrum standen dabei unter dem Aspekt des so genannten "Generationenvertrages". Hat sich doch auch bei den Werten innerhalb der Leselandschaft in den letzten 50 Jahren einiges nicht nur in Bezug auf Anstand und Moral verändert.

Ob "Momo" oder "Harry Potter": "Goethe hätte, weil feinstes Handwerk, wohl beide geliebt", schlug Hoffman gleich zu Beginn wichtige Qualitätspflöcke ein: "Die besten Bücher sind auch die erfolgreichsten". Alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, "ist verloren": Dem Thema Altern, so die Buchhändlerin weiter, stelle unsere moderne Zeit meist nur Altersheime und Einsamkeit gegenüber. Viele ältere Menschen kämen sich aber auch deshalb verlassen vor, weil sie nicht auf einen aus ihren Kindertagen herrührenden "Bücherschatz" zurückgreifen könnten: "Bücher sind wichtig, weil sie je nach Gebrauch, das gesamte Leben eines Kindes beeinflussen".

Erst sehr viel später erführen Menschen, wie tief in ihrem Inneren "erlesene" Bilder und Geschichten aus der Kinderzeit verankert seien und ein Leben in positivem wie negativem Sinne begleiteten. Damit Heranwachsende von Büchern "berührt" würden, bedürfe es Inhalten, die - wie etwa bei Theodor Storms "Kleiner Häwwelmann" - auf symbolisch verfremdeter Ebene deren Gefühle anspreche. Hoffmann verhehlte nicht, dass wegen des darin geschilderten autoritären Umgangs mit Kindern Storms Kunstmärchen lange Zeit als Paradebeispiel so genannter "Schwarzer Pädagogik" verfemt war.

Während Storm noch davon ausgehen konnte, dass Kinder seiner Zeit nicht nur Vater und Mutter hatten, sondern innerhalb intakter Großfamilien und sie umgebender "geschlossener Systeme" aufwuchsen, welche wiederum Gefühle der Geborgenheit und des Miteinanders vermittelten, hat sich dies Lage heutzutage dramatisch verändert.

Nicht nur Alleinerziehende fühlen sich durch ihre Kinder häufig überfordert, weil sie heute für alles selber verantwortlich sind, Hoffmanns Hinweis, dass Eltern als "Bogen" eine stabile und sichere Basis darzustellen hätten, von der aus ihre Kinder als "Pfeile" in eine "freie Entwicklung fliegen können" müssten. Daneben aber brauchen Kinder ebenso Ordnungen und Bedingungen, die einzuhalten sind: "Wer nicht Geduld üben und Warten gelernt hat, dem fehlt eine wichtige Grundlage für ein Zurechtfinden in der Welt".

Hoffmann stellte sich hinter die These, jeder Mensch komme "lesefähig" auf die Welt. Weil Kinder von Natur aus bestrebt seien, alles mit Bedeutung zu füllen und Begriffe daraus zu entwickeln, präge sich daraus die Weltsicht des späteren Erwachsenen. Darüber hinaus müssten Eltern und Erzieher begreifen, dass Kinder wieder "das Lernen lernen" müssten. "Büffeln kann etwas Tolles sein", so Hoffmann. Leider aber wurde diese Erkenntnis in den letzten Jahrzehnten den Kindern mehr und mehr madig gemacht. Nicht zuletzt deshalb gehe es im "Generationenvertrag" auch darum, "alte Werte wieder zu entdecken".

Schauspielerin Mira Müller vom Heidelberger Kinder- und Jugendtheater "zwinger3" hatte die mit vielen Buchbeispielen angereicherte Veranstaltung mit Kostproben aus "Momo" und den Geschichten vom "Brummbär Betrametti" und dem "Kleinen Esel und dessen Geschenk an Jaki" zwischendurch immer wieder aufgelockert.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung