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17.06.2015

Flüchtlinge in Schriesheim: Räte streiten sich mit Bürgermeister Höfer

ATU gegen Flüchtlingsunterkunft in der Carl-Benz-Straße 23 - Bürgermeister ließ Kompromiss nicht zu: "Wir haben keine Freiheit"

Von Carsten Blaue

Schriesheim. Der Ausschuss für Technik und Umwelt (ATU) hat die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft in der Carl-Benz-Straße 23 abgelehnt. Gegen die Nutzungsänderung einer ehemaligen Lagerhalle samt Werkstatt im Gewerbegebiet stimmten die CDU und die Freien Wähler. Die Grünen Christian Wolf und Wolfgang Fremgen enthielten sich. Ja-Stimmen kamen von Sebastian Cuny (SPD), Fadime Tuncer und Georg Grüber (beide GL) sowie von Bürgermeister Hansjörg Höfer, der direkt nach der Abstimmung Widerspruch gegen den Beschluss einlegte. Seiner Auffassung nach hatte der ATU nicht sachgerecht auf Grundlage des Baurechts entschieden.

Höfer hatte bereits eingangs der Debatte darauf hingewiesen, dass Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten seit November 2014 zulässig seien. Nach den ausgewogenen, aber bezüglich des Objekts nicht unkritischen Stellungnahmen der Fraktionen erinnerte der Verwaltungschef das Gremium daran, dass der Antrag aus seiner Sicht "nicht verhandlungsfähig" sei: "Sie haben bauplanungsrechtlich zu entscheiden." Zur Ausgangslage der Diskussion gehörte, dass der gültige Bebauungsplan "Gewerbegebiet östlich der B 3, 2. Änderung" Nutzungen für soziale Zwecke grundsätzlich ausschließt. Jedoch hat der ATU hier schon zwei Ausnahmen gemacht, etwa für die Kinderkrippe "Tausendfüßler". Das wollte GL-Sprecher Christian Wolf allerdings differenziert betrachten: "Jede Ausnahme ist doch eine Einzelfallentscheidung."

Wolf hatte auch eine erneute Vertagung wie im April ins Spiel gebracht. Drei direkte Nachbarn haben sich Rechtsbeistand genommen, um gegen die Flüchtlingsunterkunft vorzugehen. Die Anwaltsschreiben gingen im Rathaus erst kurz vor der Sitzung ein: "Die müssen wir eigentlich prüfen", sagte der Grüne. Höfer erwiderte, dass eine weitere Rückstellung des Tagesordnungspunktes einem "Einverständnis" gleichkäme. Auch einen Kompromissvorschlag, den Wolf nach einer kurzen Sitzungspause im Namen des Gremiums vortrug, lehnte Höfer ab. Der ATU hätte eine Flüchtlingsunterkunft für 25 Personen noch mitgetragen: "Das müsste funktionieren", so Wolf. Der ATU müsse das Recht haben zu sagen, was er hier für verträglich hält, schickte der Grüne voraus. Der Rhein-Neckar-Kreis will die Räume im Gewerbegebiet für 50 Flüchtlinge und über einen Zeitraum von zehn Jahren anmieten. Genau diese Belegungszahl habe der ATU zu beschließen, konterte Höfer: "Ganz einfach. Und rechtlich ist das zulässig. Wir haben hier keine Freiheit. Oder das Landratsamt tritt an die Stelle des ATU." Er lasse im Gremium auch keine "verfahrensmäßige Diskussion zu", blieb Höfer hart und erteilte zwei getrennten Abstimmungen über eine Flüchtlingsunterkunft für 50 oder 25 Personen eine Absage. Zwar hat der Kreis stets mitgeteilt, in Schriesheim weitere 50 Personen unterbringen zu wollen. In der Verwaltungsvorlage, die den Stadträten bezüglich der Nutzungsänderung gestern vorlag, findet sich diese konkrete Zahl allerdings nicht.

Dem Ausschuss war die Enttäuschung über den Ausgang dieses Tagesordnungspunktes anzumerken - zumal nach einer Aussprache, in der die Worte besonders bedacht gewählt worden waren. Tuncer hatte die Wichtigkeit der Unterkunft anhand aktueller Flüchtlingszahlen untermauert: "Der soziale Zweck ist hier notwendig. Dass wir helfen wollen, steht außer Frage." Vom Gedanken der dezentralen Unterbringung, also an mehreren Standorten in der Stadt, müsse man sich anhand des Zustroms verabschieden. Vor diesem Hintergrund sei die Carl-Benz-Straße 23 "nicht schlecht". Hier sei niemand alleine und der Weg zu Weinbergen und Supermärkten kurz. Sie appellierte an den Kreis, die sieben Quadratmeter Wohnraum pro Person, Pflicht ab Januar 2016, schon bei diesem Objekt zu berücksichtigen. Bislang sind 4,5 Quadratmeter zur Verfügung zu stellen.

Dass der Dialog mit den Nachbarn vom Kreis wieder zu spät gesucht worden sei, kritisierte Michael Mittelstädt (CDU): "Die Anwohner haben es erneut als letzte erfahren. Das muss besser werden." Die Carl-Benz-Straße 23 sei zudem kein Objekt mit Aufenthaltscharakter, überhaupt sollten Gewerbegebiete gar nicht für Flüchtlinge genutzt werden: "Aber der Kreis muss sie händeringend unterbringen." Das sei auch das Ergebnis einer verfehlten Europa-, Bundes- und Landespolitik, so der CDU-Sprecher. Ferner hänge Integration von Akzeptanz ab. Diese sei im Kleinen Mönch, wo 25 Syrer in einem Wohnhaus leben, "kein Thema": "So einfach ist es im Gewerbegebiet aber nicht." Daher Mittelstädts Plädoyer: Wenn Integration gelingen solle, dann dezentral und nicht mit 50 Personen an einem Fleck.

Dass man sich der Flüchtlingsproblematik bewusst sei und sich nicht verschließe, betonte Jutta Becker (FW). Es gelte aber auch, die Betriebe zu schützen. Sie teilte Argumente der Anwohner-Anwälte und bat das Landratsamt um "gründliche Prüfung". Becker sah Interessenkonflikte, zudem seien zehn Jahre "eine lange Zeit, die für uns nicht überschaubar ist." Alternativen für die Carl-Benz-Straße 23 seien zu suchen: "Und wir sollten vielleicht mit weniger Personen anfangen."

Weltpolitik werde in Schriesheim konkret und sei plötzlich ganz nah, so Cuny zu diesem Tagesordnungspunkt. Baurechtlich müsse man zustimmen, aber man entscheide über eine Notunterkunft im wörtlichen Sinne: "Wir würden die Menschen inmitten der Stadt lieber anders willkommen heißen. Und keiner will Massenunterkünfte. Aber die Lage zwingt uns." Daher gehe die SPD den "äußerst schwierigen Weg befristet mit."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung