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21.10.2018

Geflüchteten helfen in Griechenland: "Man fühlt sich gut als Gutmensch"

Schriesheimerin Silke Hermann (47) hat zwei Wochen lang mit Geflüchteten auf Lesbos gearbeitet - Über ihre Motivation spricht sie im RNZ-Interview

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Mehr als 800 Euro hat Silke Hermann für Flug, Unterkunft und Essen gezahlt, um Geflüchteten auf der griechischen Insel Lesbos helfen zu können. Zwei Wochen war die 47-Jährige im Mai in einem Zentrum des Schweizer Vereins "One Happy Family" (OHF) tätig, in dem Geflüchtete und freiwillige Helfer gemeinsam Sportangebote, Kinderbetreuung und Gesundheitsberatungen organisieren. Wie sie die Situation vor Ort erlebt hat, erzählt sie im RNZ-Interview.

Frau Hermann, wie lebt es sich denn als Gutmensch?
Sicher tut man so was auch, um sich selbst gut zu fühlen. Aber ich konnte dazu beitragen, dass Geflüchtete das Gefühl bekommen, es gibt Menschen, die sie auf Lesbos willkommen heißen. Den Heiligenschein habe ich mir damit nicht poliert, aber man fühlt sich gut als Gutmensch.

Eine Freiwillige hat "One Happy Family" als eine "utopische, kommunistische Gesellschaft" beschrieben. Ist es das?
Der Kommunismus ist bekanntlich gescheitert. Aber innerhalb des Projekts haben wirklich alle den gleichen Stellenwert - Geflüchtete und Helfer. Außerhalb ist das anders: Ich konnte die Insel verlassen, ohne meinen Ausweis zeigen zu müssen. Die Geflüchteten sind dort eingesperrt.

Sie haben auf Lesbos freiwillig geholfen und dafür auch noch bezahlt. Warum?
Ich wollte meinen Beitrag dazu leisten, dass die Geflüchteten sich nicht als Fremdkörper fühlen. Denn in dem riesigen Auffanglager in Moria wohnen an die 10.000 Leute, obwohl nur 2300 reinpassen. Das ist menschenunwürdig. Ich wollte im Rahmen meiner Möglichkeiten ein bisschen Würde zurückgeben - auch wenn ich nicht im Auffanglager selbst war, das hätte ich psychisch nicht geschafft.

Auch das Zentrum von OHF ist laut Betreiberverein "eine Umgebung, in der Menschen ihre Geduld, ihre Hoffnung und ihren Verstand verlieren können". Sind Sie selbst dort in gefährliche Situationen geraten?
Ich persönlich nicht. Aber die Geflüchteten hatten oft Flashbacks, erlebten also gefährliche Situationen noch mal. Während die Leute in größeren Mengen auf den Bus warteten, begannen manche zum Beispiel, zu schreien, und waren wie paralysiert, vermutlich weil es sie an die Überfahrt in überfüllten Schlauchbooten erinnerte. Ein Besucher des OHF-Zentrums kam einmal mit zwei Messerstichen im Rücken an, weil er unterwegs angegriffen worden war.

War dieses Erlebnis das eindrücklichste während Ihres Einsatzes?
Nein. Mich hat am meisten beeindruckt, wie freundlich die Menschen waren. Viele Geflüchteten haben einen ungeheuren Mut und viel Hoffnung.

Ist das der Grund, weshalb man sich als zweifache Mutter für solch einen Einsatz statt Urlaub entscheidet?
Ich glaube schon. Man kriegt dabei letztlich viel zurück. Zu merken, dass ich gebraucht werde, tut mir selbst gut. Aber ich habe das auch gemacht, weil ich es machen kann. Ich habe 30 Tage Urlaub im Jahr, viel mehr als in den meisten anderen Ländern, und damit die Möglichkeit und auch die Verantwortung.

Warum sind Sie dafür extra nach Griechenland geflogen?
Ich wollte mich schon 2015 in der Schriesheimer Flüchtlingshilfe engagieren, habe aber gemerkt, dass mein Alltag dafür viel zu voll ist. Den Wunsch hatte ich aber weiterhin. Und da die Insel Lesbos am meisten von Flüchtlingsströmen betroffen ist, habe ich mich für einen Einsatz dort entschieden. Danach war ich dort mit meiner Familie auch noch eine Woche im Urlaub. Diese Umstellung war gar nicht so leicht, aber wichtig, damit ich zuhause wieder erholt ins Arbeitsleben einsteigen kann.

Wie haben Verwandte, Freunde und Kollegen reagiert?
Die Reaktionen waren durch die Bank weg positiv. Ich denke, viele in meinem Umfeld würden gern selbst mal so etwas machen, trauen sich aber nicht, den letzten Schritt zu tun. In meinem Bekanntenkreis gab es aber auch immer wieder Nachfragen, die auf negative Erlebnisse abgezielt haben - nur konnte ich da keine nennen.

Was sagen Sie Leuten, die Ihnen vorwerfen, durch Ihre Hilfe die Situation an den EU-Außengrenzen nur zu verschärfen?
So sehr können wir die Verhältnisse dort gar nicht verbessern, dass sich Menschen deswegen auf den Weg nach Europa machen würden. Auch die Arbeit von OHF ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Zustände sind weiterhin katastrophal, und die Flüchtlinge kommen trotzdem.

Würden Sie noch mal dorthin gehen?
Sofort. Ich muss noch ein paar Termine koordinieren, aber vielleicht fliege ich schon nächstes Jahr im Herbst wieder dorthin.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung