Schriesheim im Bild 2023

12.11.2020

Kein Martinszug? Dann mal ins Internet! (plus Video)

Der Altenbacher Siegfried Wandt hat die Veranstaltung von 2012 auf "Youtube" gestellt - Seine große Leidenschaft gilt aber dem Reisen

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Vor einem Monat wurde es traurige Gewissheit – und das war noch vor dem zweiten Lockdown: Die drei Martinsumzüge fallen aus; der in Ursenbach wäre am Montag, der in Altenbach am Dienstag und der in Schriesheim an diesem Mittwoch gewesen. Aber es gibt einen kleinen Trost, wenn auch einen schwachen – und den muss man sich, wie so oft in diesen Corona-Zeiten, aus dem Internet holen: Der Altenbacher Siegfried Wandt hat ein Video vom Schriesheimer Umzug 2012 ins Netz gestellt: 13 Minuten und 43 Sekunden streifen nicht nur Hunderte Kinder durchs Bild, sondern auch etliche bekannte Gesichter: Karl-Heinz Schulz, aber natürlich auch die "Schauspieler" Claus Breutner (Sankt Martin – damals zum zehnten Mal) und Martin Fallenbüchel (Bettler), die Rahmenhandlung erzählte Joachim Müller. Sankt Martin hoch zu Ross war damals Katja Nicklaus auf ihrem Araber "Jabbar". Alles in allem ein unaufgeregter Film aus halbwegs normalen Zeiten, den man sich jetzt auf dem Internetkanal "Youtube" ansehen kann.

Auch wenn Wandt seit 21 Jahren in Altenbach wohnt und als gebürtiger Friedrichsfelder in der Region verwurzelt ist: Eigentlich zieht es den 70-Jährigen in die Ferne. Denn so begann es auch mit der Filmerei: 1991, auf der ersten Afrikareise nach Namibia. Dafür hatte er sich eine eigene Kamera, damals noch mit Videobändern, gekauft, und eigentlich wollte er nur für seine Familie die Reisen dokumentieren. Doch am Ende packte ihn die Lust am Filmemachen – und auch daran, die Streifen öffentlich zu zeigen. Und irgendwann wandte er sich auch lokalen Themen zu, wie beispielsweise der umfassenden Dokumentation der 1250-Jahrfeier 2014, aber auch dem Tunneldurchstich 2013 oder der ersten Fahrt durch den Tunnel 2015.

In den letzten zwei, drei Jahren lagerte er immer mehr Filme, die er sonst auch gern öffentlich gezeigt hat – besonders beim Obst-, Wein- und Gartenbauverein –, auf "Youtube" aus: "Für mich ist das ein kostenloser Datenspeicher." Die Filme vom Stadtjubiläum 2014 findet man nur in kleinen Ausschnitten, denn Wandt will in vier Jahren, also zum "Zehnjährigen", nochmals weitere Höhepunkte wie den Neujahrsempfang und den Fackelzug zur Strahlenburg, präsentieren – und bis dahin sollen sich die Schriesheimer nicht im Internet "sattgesehen" haben.

Abgesehen davon, dass solche Streifen – Wandt unterscheidet übrigens Videos (bis zu 20 Minuten) von Filmen (etwa anderthalb Stunden) – ziemlich aufwändig sein können. Allein am zweistündigen Film vom Festumzug 2014 mit seinem 100 Nummern und 1000 Teilnehmern saß er ein Vierteljahr. Denn dann wird geschnitten und vor allem die Musik dazugemischt, damit Leben in die Bude kommt. Denn eines mag Wandt eigentlich nicht: Langeweile. Und so verzichtet er darauf, jeden Mathaisemarktumzug zu filmen, im Moment hat er nur die von 2006, 2007 und 2009 im Kasten (oder auf dem Computer). Auch zu dem Martinsumzug vor acht Jahren kam er eher zufällig, da waren seine Kinder schon viel zu groß für "Laterne, Sonne, Mond und Sterne". Übrigens hat er auch zweimal den Altenbacher Umzug begleitet. Aber er fand dann doch die Schriesheimer Kulisse und Kindermassen beeindruckender. Und doch: Natürlich hat Wandt auch in Altenbach gefilmt – bei der erfolgreich wiederbelebten Kerwe. Er hätte auch gern sein Werk im Sommer "open air" auf dem Dorfplatz aufgeführt, aber das zerschlug sich dann coronabedingt: "Läuft uns ja nicht davon."

Und so sieht er jetzt erst einmal "Youtube" als Gelegenheit, in Schriesheimer und Altenbacher Erinnerungen zu schwelgen: Da ja nun auch das Weihnachtssingen ausfällt, plant Wandt zum 1. Dezember einen Film, in dem die jeweiligen Events zusammengeschnitten werden. Und dann wird man neben dem Altenbacher Liederkranz und der Schriesheimer Eintracht auch mal wieder Rudi Kling hören.

Aber, auch das gehört zur Internet-Wahrheit: Die Schriesheim-Filme werden mit ihren ein paar Hundert Aufrufen längst nicht so oft angeklickt wie die Reisereportagen. Spitzenreiter ist sein 2017 entstandenes Video über das namibische Volk der Opuwo, das über 26.000 Mal angeschaut wurde. Weil die Frauen dieses Volks aber obenrum nichts anziehen, ist dieser Streifen erst ab 18 Jahren freigegeben – in diesem Fall ist "Youtube" amerikanisch-prüde. Aber auch hier gelingt Wandt, die schwierige Ankunft eines einstigen "Naturvolks" in der Moderne nachzuzeichnen, schließlich war er dreimal, 1995, 2012 und 2017, dort – und auch hier ist der Altenbacher in gewisser Weise Chronist seiner Zeit. Das war auch so am 28. August 1988, als er Augenzeuge der Flugzeugkatastrophe in Ramstein wurde – und nur um Haaresbreite überlebte, weil er früher vom Flugfeld gegangen war: "Das war ein Riesenglück."

Sein Lieblingsfilm ist übrigens der mit vier Minuten recht kurze "Desert Express", ebenfalls aus Namibia, wo er sogar auf die Lok zum Filmen durfte. Sein Prinzip: Er reist immer allein (das heißt: zu zweit mit seiner Frau Angelika) und auf eigene Faust. Pauschal- oder Gruppenreisen mag er gar nicht: "Das ist nur Stress."

Mittlerweile hat sich Wandt sogar eine Drohne zugelegt, mit der schon einige filmische Rundflüge in der Region entstanden sind; demnächst muss er seinen Drohnenführerschein machen. Zeit hat er ja, denn der ehemalige Spezialist für Flachdächer mit eigenem Büro in Friedrichsfeld ist längst im Ruhestand. Jeden Tag nach der "Tagesschau" setzt er sich an seinen Computer und arbeitet an seinen bewegten Bildern. Im Gegensatz zu anderen Filmemachern, die versichern, nie ihre eigenen Werke anzuschauen, macht er es doch gern: "Das sind doch schöne Erinnerungen."

Info: Die bis dato 156 Filme von Siegfried Wandt gibt es auf seinem YouTube-Kanal. https://www.youtube.com/watch?v=sZkJcoygdDQ

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung