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14.08.2021

Bürgermeisterwahl Schriesheim: Wird die Bürgerschaft mehrheitlich Fadime Tuncer unterstützen?

Bürgermeisterwahl Schriesheim: Wird die Bürgerschaft mehrheitlich Fadime Tuncer unterstützen?

Teile können sich das offenbar vorstellen. Noch vor drei Wochen gab es eindeutiges Votum für Christoph Oeldorf.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Das war eine faustdicke Überraschung: Vor drei Wochen noch hatte die Bürgergemeinschaft einstimmig eine Tendenz für den "bürgerlichen" Bürgermeisterkandidaten Christoph Oeldorf erkennen lassen. Damals hatte der sich vor 28 Zuhörern in der Weinstube Hauser präsentiert. Als am Donnerstag die grüne Mitbewerberin Fadime Tuncer vor etwas weniger Gästen – die fast ohne Ausnahme auch bei Oeldorf dabei waren – im "Hirsch" sprach, konnten sich neun der 17 Anwesenden (den separaten Tisch der Tuncer-Unterstützer nicht mitgezählt) prinzipiell vorstellen, die Grüne zu unterstützen. Liselore Breitenreicher, die einzige Stadträtin der Bürgergemeinschaft, aber auch Hilmar Frey und Bernd Doll blieben bei ihrer Unterstützung für Oeldorf.

Tuncer redete zunächst eher über sich als über ihr Programm für Schriesheim: Wie sie in der Türkei behütet als "eine kleine Wilde" bei ihrer Oma aufwuchs ("Das war wie Klein-Bullerbü"), während ihr Vater längst in Mannheim beim Benz als Schweißer arbeitete. Mit sechs Jahren kam sie nach Mannheim, in den Jungbusch, biss sich dort durch, wurde eine gute Schülerin und Turnerin. Und schon damals bemerkte sie: "Diplomatie ist meine Stärke." Noch im Studium zog sie 1994 nach Schriesheim, erst hier "fühlte ich mich in Deutschland angekommen". Hier wurden ihre beiden Kinder groß, hier wurde sie 2000 zur deutschen Staatsbürgerin, hier engagierte sie sich: zuerst im Gesamtelternbeirat, dann im ersten Höfer-Wahlkampf und seit 2009 als Stadträtin, was "2019 belohnt wurde, als ich Stimmenkönigin wurde". Nun wolle sie Schriesheim "etwas zurückgeben".

Sie habe als Kandidatin "viele Visionen", vor allem will sie viel investieren, denn: "Wir haben einen Sanierungsstau." Talstraße, Innenstadt, Rathaus und Festplatz stehen auf ihrer Agenda – das meiste davon hat Kämmerer Volker Arras in seiner mittelfristigen Finanzplanung aber noch nicht "eingepreist". Apropos Wunschliste: mehr Kindergärten mit noch attraktiveren Arbeitsplätzen, mehr Freiräume für Kinder und Jugendliche, mehr bezahlbare Wohnungen (und auch mehr städtische Sozialwohnungen), mehr Unterstützung für die Vereine ("die haben unter der Pandemie sehr gelitten") und die Kultur, mehr Förderung für die Wirtschaft ("es könnten sich auch Start-ups ansiedeln") und eine bessere Anbindung der Ortsteile.

Die Innenstadt soll attraktiver werden – und das hat auch mit dem Verkehr zu tun: "So was wie die neue Tapas-Bar könnte sich die ganze Heidelberger Straße entlangziehen. Wir haben doch so viel Potenzial." Und grüner könnte die Innenstadt auch werden, also her mit einem Begrünungskonzept. Konzepte gebe es eigentlich jetzt schon genug: für die Radwege, für den Einzelhandel, "aber wir müssen die auch umsetzen". Eines ihrer großen Themen ist der Kampf gegen die Erderwärmung, Schriesheim soll "zu einer klimaneutralen Stadt werden". Was natürlich auch heißt: mehr öffentlicher Nahverkehr und mehr Radwege.

Tatsächlich versuchte Hilmar Frey, Tuncer inhaltlich zu stellen: Wie will sie ihr "Regierungsprogramm" bezahlen? Dazu Tuncer: "Wir müssen an die Themen mit weniger Mitteleinsatz kreativer rangehen." Und wo soll es denn in der engen Talstraße einen Radweg geben? Tuncer: "Lassen Sie uns einen Ortstermin machen." Und wie, so fragten Frey und Stefan Bernauer, stellt sich Tuncer eine stärkere Beteiligung der Bürger vor – eine der zentralen Forderungen der Grünen Liste im letzten Kommunalwahlkampf? Hier schweben ihr "regelmäßige Angebote und nicht nur einmal" vor, also "nicht nur einen Info-Abend im Nachhinein, wie beim Gärtner-Gelände". Karlheinz Eckert störte sich eher an den grünen Vorschriften – und was die Vision einer klimaneutralen Stadt für neue Belastungen bringen würde. "Wir schreiben nicht vor, wie man zu leben hat", so Tuncer, allerdings müsse man sich unter ihr auf weniger Autos in der Innenstadt einstellen.

Und dann die Gretchenfrage – wie auch bei Oeldorf: Wie soll die Innenstadt belebt werden? Tuncer will erst einmal keinen Discounter im Säulenweg als potenzielle Konkurrenz ("der wird mit mir nicht kommen"), sie würde den gepflasterten Bereich der Heidelberger Straße erweitern und zudem ein Zwischennutzungskonzept für leer stehende Läden ausarbeiten.

Was würde sie anders machen als Höfer, wollte Klaus Jörder wissen. "Jeder Bürgermeister hat eine andere Art, ich möchte die Arbeit Höfers nicht bewerten", aber sie tat es dann doch: "Vieles kam mir zu zögerlich vor." Bernd Doll interessierte, ob sich Tuncer von ihrer Partei, den Grünen, freischwimmen könne: "Bei mir gibt es keine politische Farbenlehre. Ich wünsche mir Anregungen, und ich würde nichts ablehnen, weil etwas von einer anderen Partei kommt." Als Jörder nachfasste und fragte, wie oft sie im Gemeinderat nicht mit den Grünen gestimmt habe, musste sie bekennen: "Ich habe meistens mit der Fraktion gestimmt, mich aber auch schon enthalten."

Der Name "Oeldorf" fiel an diesem Abend nicht. Und doch machte Tuncer in seine Richtung einige spitze Bemerkungen, nach der Frage, wie fachlich qualifiziert sie für das Bürgermeisteramt wäre – angesichts "eines Mitbewerbers, der aus einer Bürgermeisterfamilie kommt" (Doll): "Ich bin seit zwei Jahren Bürgermeister-Stellvertreterin, bin Kreisrätin, habe Verbindungen zum Land. Ich habe das, was ich erreicht habe, aus eigener Kraft geschafft. Wenn man vier Jahre Bürgermeister ist, qualifiziert das einen noch lange nicht. Ich will eine gute Bürgermeisterin werden!"

Nach Vorstellung und Abstimmung war Frey nicht überzeugt: "Tuncer war gut vorbereitet, aber hatte in vielen Details wenig Ahnung. Ich stelle für dieses Amt höhere Anforderungen." Breitenreicher sah es ähnlich: "Gute Vorstellung, aber sie hat um die Dinge herumgeredet, wie bei den Finanzen." Freundlicher war Dolls Urteil. Er hatte über Oeldorf gesagt: "Sachlich, kompetent und unaufgeregt." Und meint jetzt zu Tuncer: "Charmant, fokussiert und trotzdem vielseitig" – um hinterherzuschieben: "Oeldorf fand ich überzeugender."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung