Schriesheim im Bild 2023

15.04.2006

Wenn Kommunikation gelernt werden muss

Mobbing und Streit-Schlichtung am KGS: „Wir stehen am Anfang“

Die Schülersprecher des Kurpfalzgymnasiums Laura Egert, Rano Diehm und Jonas Knapp (rechts) im Gespräch mit RNZ-Redaktionsmitglied Nadja Müller (links).

Schriesheim. (nam) Mobbing, davor bleibt auch das Kurpfalzgymnasium (KGS) nicht verschont: Die Schülersprecher Laura Egert, Rano Diehm und Jonas Knapp hatten es im Rahmen einer Pressekonferenz des Jugendgemeinderats zum Thema „offene Jugendarbeit in Schriesheim“ angesprochen (siehe RNZ vom 22. März) . Die drei können sich vorstellen, dass ein künftiger Jugendsozialarbeiter „als Ansprechpartner über die Schule hinaus“ helfen könnte: „Wir könnten ihn gut gebrauchen“, sagt Laura.

Fakt ist, dass Mobbing-Opfer meistens mit ihrem Problem alleine bleiben. Es spielt sich oft unter Schülern ab und Lehrer bleiben außen vor: Zumindest bestätigen das Matthias Nortmeyer, Direktor des KGS und Verbindungslehrer Joachim Weber. Beide streiten Mobbing am KGS zwar nicht ab, wissen im Gegensatz zu den Schülersprechern aber auch nichts über konkrete Fälle.

Ein Streit muss nicht gleich Mobbing sein: Wird ein Schüler aber systematisch und dauerhaft aus dem Klassenverband ausgeschlossen und schikaniert, spricht man von Mobbing. Ein Patentrezept dagegen gibt es auch am KGS nicht. Aber Wege, die hinaus führen. Zum einen so genannte „Mediationskreise“, die Konflikte auffangen sollen, sagt Nortmeyer: Vernünftig und zielorientiert versuche man darin, die Ursachen aufzudecken, um sich dann an die gemeinsamen Spielregeln zu halten – an ein Leitbild, eine Art übergeordneter Hausordnung, die Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam aufgestellt haben.

Idealerweise sollen Lehrer und Schüler in der Streichtschlichtung ausgebildet werden, so wie die beiden Beratungslehrerinnen Gudrun Mehal und Marion Liebsch. Mediatoren versuchen, Streit in ruhigen Gesprächen zu schlichten. Das tut Susanne Wuwer-Belz. Sie ist Elternbeiratsvorsitzende und ausgebildete Mediatorin. Vor drei Jahren hat Wuwer-Belz am KGS eine AG zur Mediation gegründet.

Bei Streitereien vermittelt sie öfter, Mobbing ist ihr in diesen Gesprächen aber noch nicht aufgefallen. Stattdessen eher Alltägliches, Streitigkeiten, die früher in Gesprächen untereinander, mit Geschwistern oder Freunden geklärt wurden. „Das ist heute nicht mehr möglich“, sagt Wuwer-Belz. „Viele wissen nicht mehr, wie man das macht.“ Kommunikationstechniken fehlen. Gerade auch bei Eltern stellt Wuwer-Belz immer wieder Wortlosigkeit fest: Man spricht nicht über Dinge, die Angst machen oder die irritieren.

Nicht nur Schüler streiten sich mit Schülern. Lehrer und Eltern stecken ebenso oft mit drin. Wuwer-Belz vermittelt zwischen allen. „Vieles ist noch nicht angegangen“, sagt sie. Sich einem Dritten öffnen und ein faires Gespräch suchen, um sich am Ende den Konsequenzen zu stellen, das sei „nicht üblich“. Denn für den Einzelnen kann das durchaus bedeuten, sich verändern zu müssen. Das ist unbequem. Zunächst ist das Erscheinen zum Gespräch die erste Hürde, sagt die Mediatorin, und schließlich das Gespräch selbst. Hier wird ein Vertrag zwischen den Parteien ausgehandelt. Bei Schülern lässt sie sich das auch schriftlich geben, so Wuwer-Belz. Die Streitenden legen darin fest, wie sich sich in den kommenden Wochen verhalten werden. „Beide müssen ‘ja‘ zu diesen Regeln sagen“. Es folgt ein Nachgespräch, in dem die Betroffenen dann feststellen, ob eingetroffen ist, was sie sich gegenseitig versprochen haben. Wenn nicht, forscht Wuwer-Belz nach den Gründen: ob Anforderungen zu hoch, Versprechungen unrealistisch waren. Wie lange dieser Prozess dauert, „das bestimmen die Betroffenen selbst“. „Wir vermitteln den Dialog und helfen, dass die Parteien lernen, sich zu verstehen“. Sich zunächst gegenseitig zuzuhören, den anderen ausreden zu lassen und sich nicht gegenseitig zu beleidigen.

Wuwer-Belz hat beobachtet, dass sich die Angst vor Mediation und Konfliktbewältigung langsam legt. „Diese Art der Annäherung war lange Zeit fremd. Und was man nicht kennt, macht Angst“. Erfahrungen, die Schüler und Eltern mit der Mediation machen, würden die Skepsis widerlegen. „Das läuft langsam an“. Zumal sich immer Erfolg einstellt. Wuwer-Belz weist auch darauf hin, dass sie mit ihrem Angebot keine Konkurrenz zu Lehrern sein möchte. Im Gegenteil, mit ihnen will sie enger zusammenarbeiten. So führt sie nicht nur Streitgespräche, sondern berät und gibt Hilfen zur Gesprächsführung. „Die Schüler sollen selbstständig werden und sich Hilfen holen“. Im Konfliktfall wendet sich in der Regel eine Partei an die Mediatorin, während die andere „Erklärungen und Hinweise bedarf“, bis sie sich zu einem solchen Gespräch bereit erklärt, so Wuwer-Belz. Sie hat beobachtet, dass es oft ausreicht, die Streithähne auf das Problem anzusprechen und Konsequenzen zu zeigen, um die Situation zu entschärfen.

Wenn Schüler bisher zu ihr kamen, war deren Notlage schon entsprechend hoch und sie sahen ein Gespräch als letzte Hoffnung, berichtet Wuwer-Belz. „Sie hatten sich schon von der Schule verabschiedet, wollten sich aber nicht von den Schulfreunden trennen“. Dass ein paar Schüler tatsächlich die Schule gewechselt haben, bestätigen die Schülersprecher. Soweit muss es in Zukunft nicht mehr kommen. Anlaufstellen für Betroffene gibt es einige: Neben Wuwer-Belz die Verbindungs- oder Beratungslehrer, den Verein der Freunde des Kurpfalzgymnasiums oder eben die SMV. Die drei Schülersprecher sind der Meinung, dass viele Schulen von Mobbing betroffen sind: „Da muss was gegen unternommen werden. Mobbing an sich ist schlimm. Wenn es aber alltäglich wird, dann ist das noch schlimmer“, sagt Rano. Jonas Knapp weiß von mehreren Fällen am KGS. Vor allem Unter- und Mittelstufe seien betroffen. „Lehrer haben damit nicht viel zu tun, das läuft eher unter Schülern,“ sagt Rano. Hauptsächlich über verbale Gewalt, fügt Laura hinzu. „Viele wollen nicht, dass bekannt ist, dass sie gemobbt werden. Ihnen ist das peinlich“, so Jonas. „Sie wollen das für sich regeln, es nicht mit der Klasse besprechen.“

Wenn Mobbing-Opfer dennoch reden möchten, bieten die Schülersprecher ihre Hilfe an. Alle drei Schülersprecher sind Zwölftklässler, zählen also zu den „Großen“ und sind als Außenstehende vielleicht bessere Ansprechpartner. Dabei wollen die Schülersprecher aber Rücksprache mit den Verbindungslehrern halten: „Die haben einfach mehr Erfahrung“, so Jonas. „Wir werden aber nichts in die Wege leiten, was der Betroffene nicht möchte,“ ergänzt Rano.

An Verbindungslehrer Joachim Weber hat sich bisher noch kein Mobbing-Opfer gewandt, berichtet er. „Die Betroffenen reden meist nicht mit den Lehrern, weil sie Angst haben“. Und wegen dieser Scheu, seine Probleme einem größeren Kreis zu öffnen, bekommen Lehrer Mobbing oft nicht mit. Weber und seine Kollegin Hillebrand vermitteln vor allem, wenn Schüler mit Lehrern Probleme haben – oder umgekehrt. Weber hält eine Vernetzung des Angebots – Mediation, Verbindungs- und Beratungslehrer, SMV und vielleicht auch Jugendsozialarbeiter – für sinnvoll. „Das muss mehr zusammenwachsen. Wir stehen am Anfang“. Kontakt und „Betriebsklima“ seien aber gut.

So berichten die Schülersprecher vom Streitschlichtungsprogramm, das in mehreren Klassen angewandt wurde: „Das kam gut an“. Außerdem sei geplant, im Rahmen von G8 als Mittelstufenprojekt eine feste Schulstunde einzuführen mit dem Schwerpunkt soziales Verhalten, berichten die Schülersprecher. Jonas kann sich vorstellen, dass auf diese Weise das schulinterne Streitschlichtungsnetz enger geknüpft werden kann. Denn noch sind die Maschen ziemlich weit, da das Ganze überhaupt erst seit diesem Schuljahr von allen Seiten vorangetrieben wird.

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung