Schriesheim im Bild 2023

28.12.2007

Schon im Jahr 1684 gab es „Schleichwerbung"

Von Stephanie Kuntermann

Das Alte Rathaus hat schon viel gesehen: Prozesse wegen Totschlags oder Hexerei, den 30-jährigen Krieg und unzählige Ratssitzungen. Es wurde niedergebrannt, wieder auf-, und komplett umgebaut. Das ist alles bekannt. Niemand weiß jedoch genau, seit wann es ein Rathaus in Schriesheim gibt.

Stadtarchivar Dr. Hans Jörg Schmidt führte seine vielen Zuhörer bei der letzten Führung der Reihe "Geschichte und Wein" durch die bewegte Vergangenheit des Alten Rathauses. Nach der Erbauung der Strahlenburg 1235 durch Conrad I. wurde aus dem Flecken Schriesheim ein "oppidum", also eine Stadt. "Es ging aber damals nicht gerade demokratisch zu: Die Bürger standen unter der Fuchtel der Strahlenberger", erklärte Schmidt.

Das änderte sich erst, als Conrads Nachfolger Rennewart die Stadt 1347 an den Pfalzgrafen Ruprecht verkaufte. Da dieser in Heidelberg residierte, wurde in Schriesheim eine Verwaltung nötig. Dazu gehörten Bürgermeister, Schultheiß und Rat. Das älteste Stadtsiegel stammt aus dem Jahr 1381. Man sieht darauf die zwei Strahlenberger Pfeile und den Kurpfälzer Löwen. Im Jahr 1470 wurde das Rathaus erstmals urkundlich erwähnt, allerdings bloß im Nebensatz einer Niederschrift im Zinsbuch der Stadt. Es war vermutlich älter, stammte aber aus einer Zeit, in der wenig Wert auf schriftliche Aufzeichnungen gelegt wurde.

Im 30-jährigen Krieg wurde es nur leicht zerstört, jedoch 1674 durch die Truppen des Marschalls Turenne bis auf die südliche Mauer niedergebrannt. Diese Giebelseite offenbarte bei der Restauration zwei Nischen, die mit einer Bemalung aus der Renaissancezeit umgeben waren. Sie dienten vermutlich der Umrahmung des Sitzes, auf dem der Zentgraf Gericht hielt. Mit dem Zentgericht kam Schriesheim eine große Bedeutung zu, die den Verlust der Stadtrechte aufwog. Mord, Totschlag, Hexerei und Ketzerei wurden im Erdgeschoss des Rathauses, das damals eine von Säulen umschlossene offene Laube war, verhandelt. Schon für den Diebstahl von Brot oder Trauben konnte man an den Pranger gestellt werden – eine Strafe, die nicht nur eine Schande, sondern auch soziale Ächtung bedeutete.

Die Strafen für schwerwiegende Delikte waren brutal: Bei einem Fall von Totschlag wurde das Abhacken von Kopf und Händen oder das Flechten aufs Rad erwogen. Das Gericht erkannte schließlich auf die "milde" Strafe der Hinrichtung durch das Schwert. Die Hinrichtungen fanden nicht vor dem Rathaus, sondern auf dem "Galgenbuckel" statt. Bis heute ist das Gewann auf dem Weg nach Leutershausen nach der Stelle benannt.

Das Rathaus wurde um 1684 wieder aufgebaut. An einem der Balken ist die Inschrift zu lesen, mit der die Zimmerleute Felix Wißmer, Hans Jacob Gugerle und Hans Jost Lamesbach aus Schriesheim "Schleichwerbung" für sich machten.

Die Balken wurden während einer gründlichen Sanierung freigelegt, nachdem sie im Jahr 1791 unter Putz verschwanden, weil dem damaligen Bürgermeister Nicolaus Lissignolo das alte Fachwerk nicht mehr zeitgemäß erschien. In dieser Zeit wurde auch der Eingang an die Straßenseite versetzt und mit einem Sandsteingewände ausgestattet. Der ursprüngliche Eingang befand sich unter der Laube.

Im Jahr 1936 wurde das Rathaus umgewidmet: Es wurde in "Horst-Wessel- Haus" umbenannt und diente als Versammlungsort der NSDAP. Mit der Zeit wurde das Rathaus zu klein. 1972 fand im Großen Ratssaal die letzte Sitzung statt, dann zog die Verwaltung in das Neue Rathaus mit dem Charme der 70er Jahre um. Später wurde das Alte Rathaus gründlich saniert: "Wir haben jetzt außen den Zustand von 1684 und innen den von 1791", so Schmidt. Im ehemaligen Großen Ratssaal finden heute Trauungen statt, der Kleine Ratssaal ist ein Amtszimmer.

Im Erdgeschoss, wo Schmidt seinen Zuhörern die wechselvolle Rathaus-Historie näher brachte, schenkte Peter Jäck zum Abschluss eine 2006er Cabernet Dorio Auslese aus. Bürgermeister Hansjörg Höfer dankte den Organisatoren und wünschte sich für das neue Jahr eine Fortsetzung der Reihe "Geschichte und Wein".

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung