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19.09.2008

Wie schreibt man einen Roman?

Von Nicoline Pilz.

Schriesheim. Man schreibt keinen historisch fundierten Roman, indem man von anderen Romanen abschreibt, quasi aus drei Titeln einen neuen bastelt. Gut, wenn man Sachbücher zu Rate zieht, Quellen studiert und vor allem eines beherzigt – jeden Tag schreiben: "Von drei beschriebenen Blättern fliegen nicht selten zwei in den Papierkorb", sagte Jörgen Bracker.

Der frühere Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, immerhin das größte deutsche Stadtmuseum, kam zur Lesung in die Stadtbibliothek und gab dabei auch Tipps, wie man einen historisch korrekten und zugleich lesbaren Roman verfasst.

Dieser Workshop war eine Kooperationsveranstaltung zwischen Kurpfalz Gymnasium und der Stadtbibliothek, die ihre Räume zur Verfügung stellte. Thematisch passte das Ganze für zwei elfte Klassen: "In Geschichte behandeln sie gerade das ausgehende Mittelalter", teilte Schulleiter Matthias Nortmeyer mit. Mit dem Titel "Die Reliquien von Lissabon" stellte Bracker die Fortsetzung seines Erstlingswerks "Zeelander – der Störtebeker Roman" vor.

Brackers Lieblingsthema ist die Hanse. Diesem lange Zeit vernachlässigten Gebiet widmete der Archäologe und Historiker nicht nur eine große Ausstellung nebst dickem Katalog, der bis heute als Standardwerk zum Thema gilt. Ihm ist es zu verdanken, dass die Krisenzeit der Hanse mit Seeraub, Mordbrennerei und verlustreichen Krankheiten wie der Pest Aufarbeitung fanden. Er befasste sich mit dem Mythos der Vitalienbrüder, keine reinen Seeräuber, sondern eher Söldner zur See, Angestellte sozusagen, die von ihrem jeweiligen Arbeitgeber mit einem Kaperbrief ausgestattet wurden.

In den Archiven finden sich einige Beschwerden des englischen Königs Henry IV., der den Hansestädten die Schuld an der Räuberei gibt. Die Namen Gödeke Michels, Klaus Schult und Klaus Störtebeker tauchen sehr häufig in diesen Schriften auf.

Sie stahlen Wachs, das höchst kostbar war, raubten Schiffe und Besatzung, stellten Lösegeldforderungen und machten das sichere Überqueren vieler Schiffspassagen schier unmöglich. Woher der Name Vitalienbrüder kommt, sei nicht ganz klar, sagte Bracker. Womöglich bezieht er sich auf die Zeit, als die Vitalienbrüder das im dänisch-mecklenburgischen Konflikt unbesetzt gebliebene Stockholm mit Nahrungsmitteln, also "Viktualien" versorgten. Das war die Ausgangslage, mit der Jörgen Bracker seinen ersten Roman begann.

Sechseinhalb Jahre nahm er sich dafür Zeit. Den zweiten Teil schrieb er in zweieinhalb Jahren. Kunststück: "Das Material war ja jetzt da." Überhaupt die Quellen: "Man kommt nur so weit, wie einen eine Quelle trägt."

Über einen historisch belegbaren Punkt hinaus bleibt die Entwicklung einer Geschichte Fiktion, wenn es dafür keinen nächsten Nachweis gibt. Zwischen fundierter Quelle und bloßer Vermutung schlägt der Roman eine Brücke. Und: "Wenn wir die Wahrheit erfahren wollen, müssen wir Geschichte gegen den Strich bürsten", erklärte Bracker. Das gelte auch für die damalige Propaganda der Hanse im Umgang mit der Piraterie auf ihren Handelsschiffsrouten.

In seinem zweiten Roman, "Reliquien von Lissabon", schickt Bracker den jungen Hamburger Ratsherrn Nicolaus Schoke auf eine gefährliche Reise nach Lissabon. Im Gepäck hat Schoke Reliquien, Knochensplitter aus Gebeinen des Heiligen Vincentius. Diese hingen in Amulettkapseln am Hals der Vitalienbrüder um Gödeke Michels, als sie im Jahr 1401 in Hamburg hingerichtet wurden.

Vermutlich bekam sie Michels, um damit eine Kirche in Lissabon zu gründen. Wie Schoke die fast unlösbare Aufgabe des Rücktransports meistert, das sollte man lieber selbst nachlesen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung