Schriesheim im Bild 2023

15.11.2008

„Alt-68er" stellten sich der Oberstufe

Schriesheim. (kaz) Der typische "68er" sei eine Erfindung, meint Dietrich Hildebrandt. Er, der während der Studentenunruhen an vorderster Front kämpfte, nach Ausschreitungen ein Jahr im Gefängnis saß und später vier Jahre lang Landtagsabgeordneter der Grünen war, stellte sich jetzt im Kurpfalz-Gymnasium den Fragen von Schülern der Oberstufe.

Ausgehend vom Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" hatte die SMV unter Regie von Elena Treiber und Vanessa Stern eine Podiumsdiskussion organisiert, bei der es vor allem am Podium spannend wurde. Saßen dort außer Hildebrandt für die Grünen Uli Sckerl als Mitglied des Landtages, Berthold Reichert als Richter im Ruhestand, Paul Stang als ehemaliger Polizeibeamter und Fraktionsvorsitzender der CDU Schriesheim, Bernd Becker als ehemaliger Elternbeiratsvorsitzender des Kurpfalz-Gymnasiums sowie der Künstler Willi Hölzel, gebürtig in Leutershausen und nun in Köln zu Hause. APO und RAF sind für Jugendliche von heute Geschichte. Schließlich spielte sich der Widerstand gegen die Staatsgewalt gut zwei Jahrzehnte vor ihrer Geburt ab.

Zum Auftakt der Podiumsdiskussion lässt Geschichtslehrer Thomas Schumm die Ereignisse von einst nochmals Revue passieren. Elena Treiber hat eine Powerpoint-Präsentation erstellt. Die meisten auf dem Podium kennen den Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" nicht oder wollen ihn erst gar nicht sehen. Stattdessen brechen alte Konflikte aus: Waren die Demonstranten von einst gewalttätig oder knüppelte die Polizei drauf los? Paul Stang schildert sich auf die damalige Zeit bezogen als junger Familienvater, der froh war, wenn er aus einem Polizeieinsatz heil herauskam und der mitansehen musste, wie ein damals älterer Kollege mit einer Latte niedergeschlagen wurde. Derweil verweist Sckerl darauf hin, dass er als Folge eine Demonstration noch "eine Beule am Kopf" habe.

Der Landtagsabgeordnete wuchs in Weinheim auf, besuchte dort das "stockkonservative" Heisenberg-Gymnasium, war Mitglied des unabhängigen sozialistischen Schülerbundes, demonstrierte in Heidelberg und flog nur nicht von der Schule, weil er eine Stütze der dortigen Handballmannschaft war. Mit Sätzen wie "Alle wollten diskutieren, ich wollte lernen" tut Berthold Reichert kund, warum ihn die Studentenunruhen eher nervten und er dem Bund "Freiheit der Wissenschaften" beitrat. Außerdem beschreibt er sich selbst als "strengen Richter", der entweder hart urteilte oder freisprach. Demonstriert hat er nie. Aus dem Publikum kommt die Frage: Wie stehen die Herren am Podium zur "Links-Partei"? Willi Hölzel "outet" sich als Sympathisant. Auch wenn die Partei von den parlamentarischen Mühlen kleingerieben werde, sieht er sie doch als "Ventil der Unzufriedenheit" in der Bevölkerung.

Fragt sich noch: Muss man auch heute noch für "Bürgerrechte" auf die Straße gehen? Sckerl registriert zumindest deren schleichenden Abbau und stellt fest, dass immer wieder das Bundesverfassungsgericht zu Rate gezogen wird, wenn Politiker entschieden haben. Dass es die "Grünen" gibt, ist für ihn übrigens so etwas wie die "ökologische Fortsetzung" aus der 68er-Bewegung. Damit nochmals zu Hildebrandt: Er war früher Mitglied einer WG, bei der ein RAF-Mitglied Unterschlupf suchte, ihn aber nicht bekam. Die Gewalt, die von der Organisation ausging, habe er immer abgelehnt.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung