Schriesheim im Bild 2023

01.12.2008

Jahrhundertelang wurde hier Wein abgeliefert

Schriesheim. (sk) "Ein junger Wein mit einer tollen Farbe", schwärmte WG-Geschäftsführer Harald Weiss, als er den 2008er St. Laurent zum ersten Mal ausschenkte. Schwarz-violette Farbreflexe, ein Duft nach Sauerkirsche, Holunder und Bittermandel und eine frische Cassisnote im Geschmack zeichnen den ersten "2008er" aus. Die Verkostung im Zehntkeller rundete die erste "Wein und Geschichte"-Veranstaltung in diesem Jahr ab, die zahlreiche Interessierte anlockte.

Doch zurück zum Anfang. Bei einem kurzen Weg durch die Altstadt wurden die Besucher auf die Atmosphäre des historischen Ensembles eingestimmt, das sie beim Vortrag von Stadtarchivar und Wirtschaftsförderer Dr. Hans Jörg Schmidt auf sich wirken lassen konnten. Rund um die "Kinderstube Schriesheims", die Umgebung des Zehntkellers, erinnert heute kaum noch etwas an die bewegte Vergangenheit.

Wo heute die Dächer des katholischen Kirchen-Vorbaus in den Hof der Strahlenberger Grundschule ragen und gegenüber die Turnhalle steht, war in früheren Jahrhunderten der Platz der Zehntscheuern. Noch früher befand sich hier der Hof des Klosters Ellwangen, das den Kirchenzehnten von den Bürgern erhob, also zehn Prozent ihrer Erträge wie Wein, Getreide, Früchte oder Geld. Neben einem Gutshof standen Kelleranlagen und eine Zehntscheuer auf dem Areal. 1456 verkaufte das Kloster den Hof für 8400 Gulden an das Kloster Schönau. Mit einem Wohnhaus für den Verwalter der Kellerei an der Stelle des früheren Stadtgrabens und einem Brunnenhaus an der Stelle des heutigen katholischen Pfarrhauses rundeten die Schönauer das damalige Gebäude-Ensemble ab. 1498 wurde östlich des Hauptkellers der heutige Zehntkeller angebaut. Zu seinem Schutz erhob sich darüber ein Altan, daneben gab es eine Küferei und westlich davon das Kelterhaus. Jetzt entstanden die beiden Zehntscheuern. Nach der Reformation ging die geistliche Güterverwaltung in weltliche Hände über. Zweimal wurden Kellerei und Nebengebäude während des 17. Jahrhunderts zerstört, während des 30-jährigen Krieges und beim Einmarsch der Truppen Turennes, als weite Teile der Stadt niedergebrannt wurden – der Zehntkeller dagegen überstand alles unbeschadet.

Der Kellerverwalter hieß mittlerweile Schultheiß, war also einer, der die Schulden eintrieb. Dabei ging es nicht immer mit rechten Dingen zu: Mal wurde gepanschter Wein geliefert, mal frisierte der Schultheiß die Bücher zu seinen Gunsten. 1708 überließ die geistliche Güterverwaltung der Katholischen Gemeinde einen Teil ihres Geländes, auf dem später die Kirche gebaut wurde. Fundamente der zerstörten Zehntscheuer wurden mit verbaut.

Die Befreiung von der Last des Zehnten wurde ab 1838 zu einer langwierigen Angelegenheit, die die Gerichte und die städtische Politik beschäftigte. Eine zunächst geforderte gigantische Ablöse von 110500 Gulden wurde nach langem Hin und Her auf die Hälfte reduziert. Zehn Jahre später war die Zeit des Zehnt und der Zehntkellerei zu Ende. 1855 erwarb die Gemeinde die Kellerei und errichtete hier zwei Schulsäle und Lehrerwohnungen. Mädchen- und Elementarschule kamen hier unter. 1877/78 wurde auf den bisherigen Bau aufgestockt und ein Schulgebäude mit sechs Klassenräumen und Lehrerwohnungen errichtet – die heutige Strahlenberger Grundschule.

1930 wurde die Winzergenossenschaft gegründet, erhielt die Kellerräume und baute ein Kelterhaus. Die Kelter wurde in den 70er Jahren ins Gewerbegebiet verlegt, doch bis dahin diente der Hof vor dem Zehntkeller wie in alten Zeiten zur Ablieferung von Wein – allerdings ohne Entrichtung des Zehnten.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung