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31.07.2003

Luxus, einen Einser-Absolventen vor der Tür zu lassen

In offenem Brief an Kultusministerin Schavan setzt sich Elternbeirat des Kurpfalz-Gymnasiums für jungen Lehrer ein und verweist auf Missstände

Schriesheim. (cab) Bernd Becker, Vorsitzender des Elternbeirats am Kurpfalz-Gymnasium, kämpft um einen jungen Lehrer. In einem offenen Brief an Kultusministerin Dr. Annette Schavan (CDU) macht er auch seinem Ärger über fehlende Neueinstellungen Luft und verweist auf Unterrichtsausfälle im zweiten Schulhalbjahr 2002/03.

Ein Kernproblem in der aktuellen Bildungspolitik sei die drastisch zurückgefahrene Zahl der Neueinstellungen junger Lehrer im Gymnasialbereich. Für Nordbaden stünden nur 13 neue Deputate für etwa 90 Gymnasien zur Verfügung. Für das Kurpfalz-Gymnasium bedeute das: kein Ersatz für vier Kollegen. Eltern würden mit "undurchsichtigen Statistiken abgespeist", wenn sie auf Probleme in der Unterrichtsversorgung hinweisen. Danach wäre das Kurpfalz-Gymnasium sogar überversorgt. "Gegen diese Zahlenspielereien möchten wir gerne unsere Erfahrungen aus der Praxis setzen", so Becker im Brief. In Chemie seien insgesamt 82 Stunden im Februar und März ausgefallen. Die sieben betroffenen Klassen hätten Ausfälle von bis zu 18 Unterrichtsstunden ertragen müssen. Eine Klasse habe in drei Monaten auf 26 Deutsch-Stunden verzichten müssen. In Englisch seien im gleichen Zeitraum 47 Stunden entfallen - darunter 26 Stunden in einer fünften Klasse. Ein Oberstufenkurs habe in einem Vierteljahr den Ausfall von 23 Gemeinschaftkunde-Stunden ertragen. Die Zahlenspiele der Kultusverwaltung würden für die praktische Sicherstellung der Unterrichtsversorgung nicht taugen, schreibt Becker und fordert die Einstellung von Junglehrern an seiner Schule.

Konkret setzt sich der Elternvertreter für Peter Breihofer ein. Sein Engagement als Oberreferendar und seine Prüfungsleistungen seien "hervorragend" gewesen. Für Breihofer kämpfen die Eltern einer Klasse schon seit März. Auch seine Fächerkombination passe zum Kurpfalz-Gymnasium. Erdkunde sei ein "absolutes Problemfach". Der Pflichtunterricht könne zum Schuljahresbeginn nur dadurch gewährleistet werden, dass ein Kollege sein gesamtes Deputat in Erdkunde erteilt. Das bedeute die Betreuung von zwölf Klassen und mehr als 360 Schülern. Es stehe fest, dass der mögliche Ausfall eines Erdkundelehrers nicht ausgeglichen werden könne.

Mittel für Vertretungen erschöpft
"Bleibt noch anzumerken, dass das Budget des Oberschulamts in Karlsruhe für externe Krankheitsvertretungen für das Kalenderjahr 2003 bereits seit Juni erschöpft ist und somit auch von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten ist.", so Becker an die Ministerin.

Als zweites Fach unterrichte Breihofer Sport. "Ebenfalls ein Fach, in dem unsere Schule Verstärkung gut gebrauchen kann." Darüber hinaus kümmere sich Breihofer als Stützpunkt-Trainer ehrenamtlich um den Fußball-Nachwuchs in der Region.

Doch Becker belässt es nicht bei seinen lokalen Argumenten für die Einstellung junger Lehrer. "Unser Land Baden-Württemberg gibt ganz erhebliche Mittel für die Ausbildung des pädagogischen Nachwuchses aus. Deshalb sollte ein vitales Interesse daran bestehen, dass ein mit Landesmitteln hervorragend ausgebildeter Pädagoge nicht in andere Bundesländer abwandert. Hinzu kommt, dass wir - wie unter anderem eine Projektion des Oberschulamts Karlsruhe aufzeigt - in spätestens drei bis vier Jahren weitaus mehr Junglehrer brauchen, als ausgebildet werden." Dann müsse das Land "buchstäblich jeden nehmen, der das Lehrerseminar verlässt". Und das unabhängig von Prüfungsnoten oder der Befähigung zum Lehrberuf.

Obwohl diese "bedrückende Perspektive" allen Verantwortlichen bekannt sei, werde ihr noch viel zu wenig Beachtung geschenkt, meint der Elternsprecher abschließend: "Denn nur so ist zu erklären, dass sich die Kultusverwaltung heute den Luxus erlaubt, einen Einser-Absolventen vor der Tür stehen zu lassen.".

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung