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12.02.2011

Gerade für Jungs ist Fleiß extrem "uncool"

Schriesheim. (sk) Welche Faktoren bestimmen den Lernerfolg, fragte Professor Dr. Dr. Gerhard Roth. Ein Problem, das kurz nach Ausgabe der Halbjahreszeugnisse so viele Eltern umtrieb, dass die Stühle in der Aula des Kurpfalz-Schulzentrums knapp wurden. Nicht nur Eltern, sondern auch Schüler, Schulleiter und Lehrer waren zum Vortrag des Verhaltensphysiologen und Entwicklungsneurobiologen von der Uni Bremen gekommen.

Der listete verschiedene Faktoren auf, etwa die Wechselwirkungen zwischen Lehrendem und Lernendem, aber auch die Aufbereitung des Lernstoffes. Beim Lernenden spielen Motivation, Fleiß und Intelligenz eine Rolle. Letzteres wird definiert als "kreatives Problemlösen unter Zeitdruck mit Rückgriff auf vorhandenes Wissen". Die Mehrheit der Bevölkerung verfügt über einen IQ von etwa 100 Punkten, was den Scheitel einer steil abfallenden Sinuskurve ausmacht. "Nur ein Prozent der Bevölkerung hat einen IQ von 130 beziehungsweise 70 Punkten", erklärte Roth. Schlechte Förderung oder Vernachlässigung können einen Verlust von 15 IQ-Punkten ausmachen. Optimale Förderung kann dagegen einen Zuwachs im selben Bereich bewirken. Möglich ist das in den ersten Jahren. Trotzdem erteilte Roth übertriebener Frühförderung eine Absage: "Solche Wunderkinder können später leicht zu seelischen Krüppeln werden", warnte er vor "chinesischen Erziehungsmethoden" und empfahl eine friedliches, anregendes, liebevolles Umfeld im Elternhaus.

Das wiederum ist auch für Motivation und Fleiß verantwortlich. Wobei dieser hierzulande und besonders bei Jungen verpönt sei: "Wir wissen nicht genau, warum das so ist. Aber für Jungs ist es extrem ,uncool‘, fleißig zu sein." Eine gefährliche Entwicklung, verbunden mit schlechteren Noten.

Motivation kann dagegen durch den Lehrer und dessen Methoden geweckt werden. Wenig Einfluss kann man darauf nehmen, ob zwischen Lehrer und Schüler die Chemie stimmt. Gegenseitige Sympathie ist rational nicht beeinflussbar und wird vom Gehirn innerhalb von Sekundenbruchteilen entschieden. "Deshalb kann es stimmen, wenn ein Schüler den Eindruck hat, dass er bei einem bestimmten Lehrer auf keinen grünen Zweig kommt", so Roth.

Ebenso wichtig ist es, dass der Lehrer Kompetenz ausstrahlt, denn das macht ihn in einer Situation glaubwürdig, in der sein Gegenüber nicht die Möglichkeit hat, angebotene Informationen auf Richtigkeit zu überprüfen. Entscheidend für das richtige Lernen ist nicht zuletzt das Wissen um die Arbeitsweise des Gehirns.

Dessen "Arbeitsgedächtnis" ist lernphysiologisch ein Engpass, ist doch der Kurzzeitspeicher nach maximal fünf Minuten konzentrierten Zuhörens voll und kann keine weiteren Informationen aufnehmen. Also sollte zwischen einzelnen "Wissens-Häppchen" immer wieder eine Pause zur Auflockerung und Wiederholung eingelegt werden: "Denn nichts wird mit einem Mal gelernt."

Landen sollen die Informationen schließlich im Langzeitgedächtnis, das beliebig viel davon aufnehmen und auch abrufen kann. Nur ein Prozent der konzentriert aufgenommenen Informationen kommt allerdings dort an. Eine ernüchternde Zahl, die auch den meisten Pädagogen nicht bekannt sei, so Roth. Nur zwei bis drei Jahre nach Schulabschluss ist vom Schulwissen so gut wie nichts mehr da, so Roth: "Das tendiert gegen Null."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung