Schriesheim im Bild 2023

16.01.2012

Ohne Europa hätte das Ländle höchstens besseren Wein

Ohne Europa hätte das Ländle höchstens besseren Wein

Alte Bekannte: (von links) Bundestagsabgeordneter Karl A. Lamers, EU-Kommissar Günther Oettinger, Landtagsabgeordneter Georg Wacker und Landrat Stefan Dallinger. Foto: BK

Von Carsten Blaue

Schriesheim. Er sagt es gestern gleich am Anfang: "Ich bin gerne in der Stadt." Schriesheim liegt Günther Oettinger einfach. Nicht nur, weil ihm Alt-Bürgermeister, Ehrenbürger und "Freund" Peter Riehl einst versprochen hat, dass Oettingers Weinglas in Schriesheims Wirtschaften stets gefüllt werde. Der Schwabe kam schon als Stuttgarter CDU-Fraktionschef in die Weinstadt, dann als Ministerpräsident zu Riehls Verabschiedung aus dem Amt und kurz darauf als Festredner zur Mittelstandskundgebung des Mathaisemarkts. Schließlich der legendäre Durchbruch für den Bau des Schriesheimer Branichtunnels: "Heute ist Dein Geburtstag", soll Oettinger seinem Schriesheimer Parteifreund, dem Landtagsabgeordneten Georg Wacker, in einer Fraktionssitzung am 9. Januar 2008, im Spaß zugerufen haben: "Deshalb sage ich Dir: Du bekommst Deinen Tunnel."

Wenige Tage später wurde die Ortsumgehung per Sonderprogramm "Straßenbau" offiziell. Der damals reich "Beschenkte" (der Tunnel im Bau wird wohl über 85 Millionen Euro kosten) lud am Sonntag in Schriesheim zu seinem Neujahrsempfang auf dem urigen Scheuerboden der Landwirtsfamilie Jäck ein. Und wieder war Oettinger zu Gast im Ort, dieses Mal aber als "Seine Exzellenz", als EU-Kommissar für Energie.

Viel wohlklingendes Blech zur Unterhaltung der Gäste gab es vom Quintett der Städtischen Musikschule Mannheim, gut anzuhören war auch Oettingers Rede. Er sprach eine Dreiviertelstunde lang über Grundsätzliches, über "Europas Herausforderungen: Wirtschaft, Währung, Energie". Es ging ihm um das große Ganze. Er sprach frei, anschaulich und mit Witz. Seine Botschaft war klar: Für Deutschland geht es nicht ohne Europa.

Nur kurz musste Baden-Württemberg für Oettingers Antithese herhalten. Sicher wäre auch das Ländle ohne Europa vergleichsweise größer, wirtschaftlich stärker, "und wir hätten mehr und besseren Wein", scherzte er. Doch es war dem Gast aus Brüssel ernst. Die historische Lehre laute: "Nie wieder Krieg." Daraus erwachse die Verantwortung für ein Europa mit Deutschland.

Allerdings ging es Oettinger weniger um Geschichte als vielmehr um die handfesten Vorteile im Hier, Jetzt und Morgen. Gerade die Exportnation Nummer eins profitiere vom Binnenmarkt der Gemeinschaft. Deutsche Unternehmen seien "Fluchtburgen" geworden in Zeiten schwindenden Vertrauens. Europa sei die Grundlage für den Erhalt der Wirtschaft und der Arbeitsplätze auch bei uns. Und auch "der Export von Rechten und Werten" gehe nicht ohne die Gemeinschaft. Deutschland habe als stärkstes Land der EU eine Verantwortung, weltweit für Grundrechte, Demokratie und Marktwirtschaft einzustehen. Doch für Einfluss auf die wichtigsten Entscheidungen der Weltgemeinschaft sei Deutschland ohne europäische Partner zu klein.

Die Energiewende schaffe Deutschland ebenfalls nicht im Alleingang. Abgeschaltet seien Atomkraftwerke schnell, der Aufbau neuer Energien koste dagegen Zeit und Geld. Also werde es hier Atomstrom geben, solange ein AKW in Europa laufe, so Oettinger. Denn es gehe um Versorgungssicherheit. Auch regenerativ bedürfe es europaweiter Lösungen: In der Bretagne wehe mehr Wind, Spanien habe mehr Sonnenstunden, warb Oettinger exemplarisch für ein EU-weites Versorgungsnetz. Neben dem sicheren Energiefluss ging es ihm dabei aber vor allem um den Preis. Gerade Strom müsse an einem Industriestandort bezahlbar bleiben. Dieser Preis werde das "Topthema" werden für die Zukunft deutscher Unternehmen, so Oettinger.

Er zeigte, dass hinter Europa mehr steckt als die Eurokrise. Diese sei sicher nicht beglückend und auch nicht billig. Letztlich lebe Europa aber auch vom Respekt für seine kulturelle Vielfalt. Dazu gehöre Griechenland und eben auch italienische "Dolce Vita".

Und Schriesheimer Rotwein. Den bekam Oettinger zum Dank für seine Rede.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung