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27.10.2014

Flüchtlinge in Schriesheim: Erstes Kennenlern-Treffen

Syrische Flüchtlinge erzählten bei einem Kennenlern-Treffen von ihren Erfahrungen im Bürgerkrieg

Die Familien haben in ihrer Heimat schreckliche Erfahrungen gemacht und oftmals verschlungene Fluchtwege hinter sich. Sie sind froh, nun in Schriesheim Ruhe und Frieden zu haben. Foto: Dorn

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Die Tische im katholischen Pfarrsaal sind herbstlich gedeckt, Knabberzeug wird serviert. "Brezel" ist eins der ersten Worte, die die Gäste auf Deutsch lernen; ein Anfang für die 25 Syrer, die auf Einladung des unlängst gebildeten Unterstützerkreises um Stadträtin Fadime Tuncer zu einem ersten Kennenlernen gekommen sind. Pfarrer Ronny Baier heißt die Flüchtlinge willkommen und stellt die Dolmetscher vor, die ins Hocharabische übersetzen. Eine von ihnen ist die Schriesheimerin Enas Al-Khatib, die zu Familie Junaid Kontakt geknüpft hat.

Mutter Nur, Vater Anas und die Kinder Zacharia, Obeidah und Bisan leben jetzt im Kleinen Mönch, geografisch und kulturell denkbar weit entfernt von ihrer Heimatstadt Dar'a, 100 Kilometer südlich von Damaskus, an der jordanischen Grenze. Die Erwachsenen erzählen, Al-Kharib übersetzt. Die gemütliche Tee-Runde rückt in den Hintergrund, der Krieg in dem fernen Land ist auf einmal ganz nah.

Junaids führten ein bürgerliches Leben, er arbeitete als Schreiner, sie versorgte die beiden Jungs und kümmerte sich um Haus und Garten. In Dar'a begann der Bürgerkrieg im Februar 2011, hier regten sich zuerst Proteste gegen das Regime von Baschar Al-Assad. Es gab Verhaftungen und Folter sogar von Kindern, später wurde Tag und Nacht gekämpft, Raketen schlugen in der Nachbarschaft der Junaids ein. Soldaten drangsalierten und bedrohten die Familien, holten sie mitten in der Nacht aus den Betten, durchsuchten die Häuser und verschleppten die Männer. "Wir haben Nächte erlebt, die man gar nicht aushalten konnte", sagt Anas. Sein Onkel kam ums Leben, sein Bruder wurde verhaftet, dessen Familie musste sich verstecken. Einmal wurde das Haus der Junaids belagert, die Soldaten machten Jagd auf die Männer. Bis auf einen konnten alle fliehen. Vor anderthalb Jahren floh der 32-Jährige, schlug sich in den Libanon durch und über Ägypten nach Libyen. In der alten Heimat wurden allmählich die Lebensmittel knapp, Nur musste die Kinder irgendwie alleine durchbringen.

Sie springen durch den Saal, die kleine Bisan reibt sich die dunklen Kulleraugen gegen die Müdigkeit. Die Stimme ihrer Mutter wird brüchig, als sie von Bisans Geburt berichtet: "Ich bekam am Abend Wehen und durfte wegen der Ausgangssperre das Haus nicht mehr verlassen." Die ganze Nacht über lag sie in den Wehen, keine Hebamme und kein Arzt wurde zu ihr durchgelassen, sie stand Todesängste aus. Erst am Morgen durfte sie in die Klinik fahren, zehn Minuten nach der Ankunft lag das Kind in ihren Armen. Gesund.

Spätestens jetzt reifte auch in ihr der Gedanke an Flucht. Sieben Monate nach ihrem Mann versuchte sie ein erstes Mal, das Land zu verlassen. Die Flucht misslang, sie und die Kinder wurden entdeckt und beschossen. Später wagten sie einen zweiten Versuch. Der Weg führte über verschlungene Pfade und durch Täler. Drei Tage brauchten sie für die zehn Kilometer bis zur nächsten Stadt und über die Grenze. Einpacken konnten sie nichts als Wasser, Brot, eine Decke und eine Tasche voller Windeln. Ein ganzes Leben blieb zurück, doch das Haus gab es da schon nicht mehr: "Es wurde kaputtgeschossen." Tränen laufen ihr die Wangen herab, mühsam berichtet sie weiter.

Über Jordanien gelangten sie nach Libyen, dort kam die Familie wieder zusammen, doch durften sie nicht bleiben. Über Italien kamen Junaids schließlich nach Deutschland. Die Gastfreundschaft rührt sie, und Nur sagt: "Ich bin glücklich, weil meine Kinder hier in Sicherheit sind. Sie haben Ruhe, können schlafen und essen und zur Schule gehen." Am schlimmsten, sagt sie, hat Obeida gelitten. Noch heute bekommt der Sechsjährige Panik beim Anblick von Uniformen. "Vor Polizisten hat er einen regelrechten Horror", übersetzt Al-Khatib. Junaids wollen gern hier bleiben. Sie lernen alle Deutsch, blicken nach vorn. Wie es konkret weiter geht, wissen sie noch nicht. Doch sie bringen ihren deutschen Gesprächspartnern auch ein Wort bei, das die nach diesem offenen Gespräch gern verwenden: Å ukran. Danke.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung