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24.08.2015

Rente hat ihre Schokoladenseiten

RNZ-Serie "Älter und engagiert": Ursula Schöttler unterrichtet Grundschulkinder - Schwere Krankheit im vergangenen Jahr

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. "Der fünfte Lebensabschnitt", sagt Ursula Schöttler, "hat seine Schokoladenseiten." Die 66-Jährige meint das Rentenalter, an dem sie viele Freiheiten schätzt: einen selbstbestimmten Tagesablauf, kreativ sein und eigene Vorstellungen umsetzen zu können. Den Traum vom Reisen, den viele ihrer Altersgenossen haben, hat sie schon geträumt, hat viel gesehen und fast 20 Jahre im Ausland gelebt. Trotzdem fährt sie gern in die USA oder nach Norddeutschland, wo zwei der drei Töchter mit ihren Kindern leben.

Ursula Schöttlers Talent ist zugleich auch ihre Leidenschaft: das Unterrichten. "Es ist schön zu erleben, wenn ein Kind etwas begreift, was man ihm erklärt hat", sagt sie, die schon immer einen Draht zu Kindern hatte.

Sie studierte an der PH, bevor es sie nach Ägypten verschlug. Dort lernte die gebürtige Tübingerin Arabisch und unterrichtete. Später verbrachte sie viele Jahre in Ghana, auch hier arbeitete sie. Als Schöttler 1987 nach Deutschland zurückkehrte, waren ihre Fähigkeiten nicht mehr gefragt, es gab eine "Lehrerschwemme". Das war nicht das einzige Problem, das die Mutter und ihre Kinder hatten: Nach Jahren außerhalb Europas kehrten sie als Fremde heim.

Spießig sei es gewesen in dem kleinen Dorf bei Sinsheim, man verstand sie nicht, begriff nicht, dass die Rückkehrer sich nicht mit Krankenkassen auskannten oder wussten, wie man eine Fahrkarte löst: "Wir waren die Exoten."

Als die Jüngste in eine Sonderschule gesteckt werden sollte, weil sie die Uhr nicht lesen konnte - "das braucht in Ghana niemand" -, ging Schöttler auf die Barrikaden. Und begriff, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie suchte sich Arbeit und fand sie als Projektleiterin am DKFZ. Auf der Suche nach einer Wohnung verschlug es die Familie nach Schriesheim; dort gab Schöttler Englischkurse an der VHS, berufsbegleitend und auch nach der Rente.

Später ging sie in Altersteilzeit und erlebte einen fließenden Übergang vom einen Beruf in den nächsten. Denn es war ihr von Anfang an klar, dass sie weiter arbeiten wollte. Mit Seminaren, Besuchen der IHK und einer Firmengründung näherte sich die Lehrerin ihrem Ziel, machte ihre Erfahrungen von Fremdheit zum zweiten Beruf: Sie wollte Kindern, Ausländern und Frauen helfen.

Die Stadt Heidelberg beauftragte sie bei "Deutsch für den Schulstart" mit Kursen an Kindergärten, sie bildete sich fort bei der Tschira-Stiftung, bot Naturkunde-AGs in einer Grundschule in Mauer an, gab mit dem Arbeitskreis Schriesheimer Senioren Nachhilfestunden in der Grundschule - eine lange Liste, immer wieder fallen Ursula Schöttler im Gespräch noch weitere Dinge ein. Ihre Arbeit in den Kindergärten kam gut an, weitere Aufträge folgten.

Im Mai vergangenen Jahres nahm ihr "fünfter Lebensabschnitt" eine dramatische Wendung: Ärzte diagnostizierten eine schwere Krankheit. Ursula Schöttler verdrängte nicht und haderte nicht, sondern akzeptierte, was mit ihr geschah. Sie hat der Krankheit auf ihre Art den Kampf angesagt: Noch in der Nacht vor der Operation schrieb sie all ihren Freunden und Bekannten, bat um Hilfe. Ihr Mut wurde belohnt. "Das letzte Jahr war eins der schönsten in meinem Leben", sagt sie, noch immer beeindruckt von der Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, mit der man ihr begegnete und noch immer begegnet.

Schlötter will anderen Mut machen: "So eine Krankheit ist nicht das Ende des Lebens." Ihr ist wichtig, couragiert zu sein, sich nicht an konventionelle Schranken zu halten; achtsam zu sein, die schönen Seiten des Lebens wahrzunehmen: "Vogelgezwitscher, Blütenduft, eine freundliche Geste, ein gutes Gespräch. Das sind alles Dinge, die man nicht kaufen kann."

Ihr Leben unterteilt sie jetzt in kleinere Abschnitte, will sehen, ob sie noch bis 68 arbeiten kann. Und dann bis 70: "Wenn mir das Leben neu geschenkt wird, dann will ich es nutzen."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung