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14.08.2016

Schriesheim: Mit einer Datenbrille können Autisten die Gefühle anderer "sehen"

Schriesheim: Mit einer Datenbrille können Autisten die Gefühle anderer "sehen"

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Es dauert nur eine gute Sekunde: Catalin Voss lacht, die Punkte und Linien auf dem Bildschirm seines Laptops bewegen sich, dann steht dort "happy". Das "Facetracker"-Programm hat der Schriesheimer selbst entwickelt, und bald soll es Autisten helfen, die Emotionen ihres Gegenübers wahrzunehmen.

"Das Programm erkennt bis zu 100 Punkte im Gesicht", erläutert der 21 Jahre alte Leiter des "Autism Glass Projects" an der kalifornischen Elite-Universität Stanford. Auf dem Laptop hat er nur eine Demo installiert, für medizinische Studien läuft das richtige Programm auf "Google Glass", den Datenbrillen des IT-Unternehmens.

"Wir sehen das als Weg, die Therapie für Autisten nach Hause in den natürlichen familiären Kontext zu bringen", sagt Voss. Es gebe viel zu wenige Therapeuten für Autisten, manchmal müssten letztere bis zu drei Jahre auf eine Therapie warten. Die Ergebnisse der Testläufe seien vielversprechend: "Wir haben 26 Familien, die davon schwärmen. Die Kinder halten mehr Augenkontakt, sind engagierter und aufmerksamer." Doch diese Einzelfälle seien nicht genug, betont Voss: "Wir wollen das Ganze so aufziehen, dass diese Therapie nicht nur etwas für Reiche ist. Man soll das auch von der Krankenkasse bezahlt bekommen können." Das "Wir" ist ein zwölfköpfiges Team, das Voss selbst leitet.

Die Motivation für dieses Projekt sei rein technologischer Natur gewesen: "Wir waren Nerds und haben diese Facetracker-Technologie entwickelt. Dann haben wir sie auf das Google Glass portiert und gemerkt, was wir damit machen könnten." Sein Cousin sei Autist, daher habe er einiges darüber gewusst, wie die Therapie aussieht. "In der Verhaltenstherapie werden meist Karteikarten mit Gesichtern benutzt. Das ist aber ziemlich realitätsfern", sagt er. Die Gründer dafür erklärt er an einem Beispiel: "Ein Kind hat einen Mann fälschlicherweise als wütend erkannt, weil er einen Bart hatte - so wie der wütend aussehende Mann auf der Karteikarte in der Therapie." Mithilfe der Datenbrille soll das Erkennen von Emotionen im Alltag nicht nur möglich werden, vielmehr sollen die Kinder irgendwann ohne die technologische Hilfe dazu fähig sein: "Wir wollen keine Prothese bauen. Das wäre das Schlimmste, was wir tun könnten", so Voss. Deswegen entwickelt das "Autism Glass Project" auch eine App für Eltern und Therapeuten. Diese soll es ihnen ermöglichen, mit den Kindern das Erlebte durchzugehen und zu reflektieren.

Finanziert wird das Vorhaben durch die Universität, Stiftungen, Förderprogramme und private Spender. Allerdings spielt Voss auch in die Karten, dass er bereits sein erstes Start-Up-Unternehmen "Sension" gewinnbringend verkaufen konnte. "Wir haben damit Geld verdient, sind aber nicht steinreich geworden. Der Vorteil ist, dass ich mir beim aktuellen Projekt selbst kein Gehalt zahlen muss", sagt er. Ob sein Projekt auch in Deutschland möglich gewesen wäre? "Absolut, aber wahrscheinlich nicht in der Art und Weise", antwortet er. Im Silicon Valley nahmen sich renommierte Programmierer Zeit und gaben dem jungen Deutschen eine Chance, wie zum Beispiel Terry Winograd, einer der Berater der Google-Gründer.

Trotzdem sieht Voss Deutschland nicht als von der Digitalisierung abgehängte Nation: "Darüber jammert man hier häufig. Aber wir haben die besten Elektroingenieure, da könnten wir ruhig mehr auf unsere Stärken bauen, zum Beispiel im Bereich der Hardware."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung