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02.09.2016

Schriesheim: Marzya Mahrufs Leben nach der Flucht

Die 18 Jahre alte Irakerin ist mit ihrer Familie vor dem Islamischen Staat geflohen – Jetzt macht sie ein Praktikum in einem Schriesheimer Friseursalon – Ihr Traum ist es irgendwann zu studieren

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Marzya Mahruf stand kurz vor ihrem Abitur. Im Juni 2015 wollte sie die Abschlussprüfung machen. Studieren wollte sie danach, in ihrer Heimatstadt Mossul im Nordirak. "Economics", also Volkswirtschaft war das Wunschfach. Doch es kam alles ganz anders.

Der sogenannte Islamische Staat hatte den Norden und Westen des Landes überrannt und dabei auch die Millionenstadt Mossul eingenommen. Marzya floh mit ihren Eltern und ihren sechs Geschwistern aus ihrer Heimat. Erst mit dem Auto aus Mossul, danach mit dem Bus in die Türkei, dann mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer, weiter mit dem Zug durch Mazedonien, und immer wieder zu Fuß über die "Balkanroute" nach Deutschland.

Besonders schwer sei die Zeit in der Türkei gewesen, sagt sie. "Mein Familie und ich waren im Wald und hatten drei Tage lang nichts zu essen." Meist hat sie ein Lächeln auf den Lippen, aber wenn sie von der Flucht erzählt, verschwindet es. In Mazedonien sei es im Winter sehr kalt gewesen. "Es hat geschneit, ich hatte keine Schuhe, und es gab keine Camps", sagt Marzya. Wie viel die Flucht gekostet hat? "Zu viel Geld", flüstert sie.

Auch über das, was in Mossul passiert ist, spricht sie nur ungern. "Das ist eine lange Geschichte, an vieles erinnere ich mich nicht", sagt sie. Aber sie sei "sehr glücklich", es nach Deutschland geschafft zu haben. Was ihr an Schriesheim gefällt? "Alles", sagt sie, und das Lächeln kehrt zurück. Aber besonders froh ist sie, dass sie und ihre Familie in der Unterkunft im Kleinen Mönch wieder gutes Essen kochen können.

"Das Essen in den Camps war nicht gut", erinnert sie sich. In der Schriesheimer Drei-Zimmer-Wohnung zu neunt zu wohnen, sei natürlich nicht so einfach: "Das ist sehr klein für meine Familie, wir teilen uns zu viert ein Zimmer." Ansonsten fühlt die 18-Jährige sich aber wohl in der Weinstadt. Auch mit der anderen Flüchtlingsfamilie im Haus versteht sie sich gut.

In den Schulferien absolviert sie ein Praktikum beim Haarstudio Sertanis in der Heidelberger Straße. Seit dem 27. Juli empfängt sie dort Kunden, versorgt sie mit Getränken und wäscht ihnen bei Bedarf die Haare. Selbst schneiden darf sie als Praktikantin noch nicht, dafür müsste sie dort eine Ausbildung beginnen. "Ich mag es, als Friseur zu arbeiten", sagt Marzya. Mit den Kollegen versteht sie sich gut, auch Inhaber Sertan Tanis ist zufrieden mit ihrer Arbeit. "Sie ist sehr motiviert", sagt er. "Sie braucht Zeit wegen der Sprache. Aber wenn man ihr das gibt, wird das gut."

Besonders der Schriesheimer Dialekt falle ihr schwer, sagt sie: "In der Schule lerne ich ,Guten Tag‘. Aber wenn die Leute hier reden, denke ich, ich habe die falsche Sprache gelernt."

Inhaber Tanis freut sich trotzdem über seine Praktikantin: "Man muss den Leuten nur eine Chance geben", sagt er. Gerade wegen des Mangels an Auszubildenden hätten Geflüchtete als Arbeitskräfte einen positiven Effekt: "Das kommt beiden Seiten entgegen."

Wenn das Praktikum Ende nächster Woche vorbei ist, geht die Schule wieder los. Dann muss sie als 18-Jährige die neunte Klasse besuchen, um den Hauptschulabschluss zu machen - und das nach dem fast absolvierten Abitur. Ihren Traum vom Wirtschaftsstudium hat sie aber nicht aufgegeben, auch wenn sie erst einmal eine Ausbildung machen will, um Geld zu verdienen.

Irgendwann will Marzya dann trotzdem in den Hörsaal. Aber nicht mehr in Mossul: "Ich will in Heidelberg studieren. Die Stadt ist wunderschön."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung