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02.01.2017

Autoknacker in der Region verursachen Millionen-Schaden

Über fünf Millionen Euro Schaden: Autoknacker haben in der Region seit Jahresbeginn schon mehr als 500 Mal zugeschlagen. Rhein-Neckar-Kreis und SAP stark betroffen

Von Alexander Albrecht

Rhein-Neckar. Die Täter ziehen nachts durch die Straßen, halten Ausschau nach geparkten hochwertigen Autos, schlagen eine Seitenscheibe ein, bauen in Windeseile Navigationsgeräte und Multifunktionslenkräder aus - und verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Eine beispiellose Diebstahlserie besonderer Art hält seit Jahresbeginn die Region in Atem. Mehr als 500 Fälle sind bislang aktenkundig. Insbesondere BMW-Fahrer ohne Garage müssen damit rechnen, dass ihr Fahrzeug aufgebrochen wird. Die RNZ beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wo treiben die Autoknacker ihr Unwesen? Besonders betroffen sind in der Region der nördliche Rhein-Neckar-Kreis (Weinheim, Schriesheim, Dossenheim, Ladenburg), der südwestliche Rhein-Neckar-Kreis (Wiesloch, Rauenberg) und die Region um Sinsheim. Doch die Autoknacker machen nicht an der Kreis- oder Landesgrenze halt. Sie sind an der Rheinschiene aktiv: von Südhessen über den Rhein-Neckar-Raum bis nach Karlsruhe.

Warum gerade dort? "Es lassen sich Schwerpunkte entlang guter Infrastrukturen erkennen", sagt der Mannheimer Polizeisprecher Norbert Schätzle. Konkret suchen die Navidiebe Wohnsiedlungen an den beiden Autobahnen A 5 und A 6 auf. Beispiel Rauenberg: Im Neubaugebiet Märzwiesen stehen viele hochwertige Firmenautos; es gibt dort deutlich mehr Carports als Garagen. Die enge Bebauung tut in der Zeit ohne Straßenbeleuchtung - hauptsächlich kommen die Diebe zwischen 1 und 4 Uhr - ihr Übriges.

Wie viele Fälle gibt es? "Im November hatten wir im Vergleich zu den anderen Monaten ein absolutes Hoch mit mehr als 100 aufgebrochenen Fahrzeugen", sagt Schätzle. Seit Jahresbeginn hat das Mannheimer Polizeipräsidium über 500 Autos gezählt, aus denen Navigationsgeräte und zum Teil auch die Multifunktionslenkräder gestohlen wurden. Entlang der Rheinschiene waren es 1500 Wagen. Nach RNZ-Informationen werden besonders häufig Firmenautos der SAP aufgebrochen; an die 100 sollen es seit dem Start der Serie sein. Eine Sprecherin des Unternehmens wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern. Manche Autobesitzer sind schon zwei, drei Mal Opfer der Diebe geworden. "Es gibt ja nach dem Austausch wieder ein nagelneues Navigationssystem zu holen", klärt Polizeisprecher Schätzle auf.

Wie hoch ist der Schaden? "Pro Fahrzeug kann man mit nahezu 10.000 Euro Schaden rechnen", sagt Schätzle. "Wenn gleichzeitig Navi und Lenkrad entwendet worden sind, tendiert der Schaden in Richtung 15.000 Euro." Bei derzeit über 500 Fällen im Bereich der Mannheimer Polizei beträgt der Gesamtschaden also mindestens fünf Millionen Euro.

Sind die Autoaufbrüche ein neues Phänomen? Nein. 2011 erwischte die Heidelberger Kripo eine Diebesbande, die in der Rhein-Neckar-Region gezielt Navigationsgeräte aus Autos ausgebaut und gestohlen hatte. Der Schaden erreichte die Millionengrenze.

Wie gehen die Täter vor? "Ein Aufbruch dauert maximal zwei Minuten und geht lautlos vonstatten", weiß Norbert Schätzle. Das hochprofessionelle Vorgehen der Täter mache es Zeugen sehr schwer, den Ermittlern konkrete Hinweise zu geben.

Weshalb sind so oft BMW betroffen? Die Fahrzeuge sind überwiegend hochwertig; Firmenwagen haben oft Vollausstattung. Nach Angaben des ADAC lassen sich in BMW leichter Navigationsgeräte ausbauen. Und offenbar haben diese Autos einen entscheidenden Schwachpunkt: die hintere Dreiecksscheibe. Das Einschlagen mache dort am wenigsten Krach, bei den anderen Scheiben müsse man mehr Kraft aufbringen, sagt Falk Förster vom Grevenbroicher Alarmanlagen-Hersteller Ampire. Angeblich arbeitet BMW an neuen Sicherheitslösungen. Um einem drohenden Kundenschwund vorzubeugen, könnte nach Ansicht von Experten der serienmäßige Einbau von Systemen helfen, die eine Weiternutzung gestohlener Geräte ausschließen.

Was tut die Polizei? Im Frühsommer ist im Polizeipräsidium Mannheim eine sechsköpfige Ermittlungsgruppe namens "Zeppelin" eingerichtet worden. Sie ist bei der Kriminalpolizei angesiedelt. Die Ermittler arbeiten eng zusammen mit ihren Kollegen in den benachbarten Präsidien Karlsruhe und Darmstadt.

Gibt es bereits Ermittlungsergebnisse? Noch hält sich Schätzle bedeckt und sagt: "Wir prüfen Zusammenhänge und setzen einzelne Puzzleteile zusammen, um dadurch ein Täterprofil zu gewinnen." Die Ermittler gehen von einer osteuropäischen Bande aus, vielleicht sind es auch mehrere. Die Spur führt nach Litauen. Wie der Sprecher betont, gleicht die Jagd nach den Navidieben dem Kampf gegen die Hydra: "Wenn man den einen Kopf abschlägt, wächst direkt ein neuer nach." Die Polizei glaubt, dass die Täter zum Teil beliebig austauschbar sind und sie sich jeweils nur kurz in Deutschland beziehungsweise in der Region aufhalten. Das Amtsgericht Darmstadt hat kürzlich Autoknacker verurteilt - allerdings nur zu Bewährungsstrafen. Hinweise auf Hintermänner gaben die Angeklagten nicht.

Wo wird die Beute abgesetzt? "Wir sind früher davon ausgegangen, dass das Diebesgut in Osteuropa teurer weiterverkauft wird. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es einen Markt darüber hinaus gibt", sagt Schätzle. Seine Kollegin Christiane Kobus vom Polizeipräsidium Südhessen in Darmstadt nennt ganz konkret China. Die Menschen dort würden viele gebrauchte BMW aus den USA kaufen, in denen bereits Navigationsgeräte eingebaut seien. Deren Software funktioniere aber in Asien nicht - im Gegensatz zu den europäischen Systemen.

Wie können sich Autofahrer schützen? Die Polizei empfiehlt, die Fahrzeuge in die Garage zu stellen. "Ein Carport reicht nicht aus", sagt Schätzle. Er weiß aber auch: Viele Betroffene stecken in einem Dilemma, weil sie einen Privat- und einen Dienstwagen haben - allerdings, wenn überhaupt, nur eine Garage. Daher der Rat, das Auto am besten in der Nähe von Straßenlaternen abzustellen. Wer seinen Pkw draußen parken muss, sollte laut ADAC bei der Bestellung über eine wirklich sichere Alarmanlage nachdenken, die alle Fenster schützt. Ältere Modelle noch schnell nachrüsten macht allerdings erstens finanziell keinen Sinn. Und zweitens liegt der Fokus der Täter auf der jüngeren Produktion der Marke BMW. Auch Lenkradkrallen helfen - jedoch nicht vor Navidiebstahl.

Was hält die Polizei von Bürgerpatrouillen? Nichts - und bislang hat sie darüber auch keine Erkenntnisse. "Das Gewaltmonopol hat der Staat", sagt Schätzle. "Wir können nur davor warnen, nachts loszuziehen, und sich dann möglicherweise mit den Tätern konfrontiert zu sehen." Schätzle empfiehlt aber, bei verdächtigen Beobachtungen im Zweifel besser die Polizei anzurufen, auch wenn sich die Angelegenheit im Nachhinein als banal herausstellt. Grundsätzlich könne hinter jedem Hinweis ein wichtiger Ermittlungsansatz stecken.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung