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27.03.2017

Schriesheim: Vom Resopaltisch ins "Paradies"

KKS-Matinée mit Erinnerungen von Theo Stemmler und Musik des "College Jazz"-Trios im Kerg-Museum

Theo Stemmler stellte sein noch unveröffentlichtes Buch "El Paradiso" vor und spielte dazu gemeinsam mit Rüdiger Mayer am Bass und Markus Braun am Schlagzeug das passende Repertoire aus Bebop, Standards und Swing. Foto: Dorn

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Die Zeiten, als Teenager Cordanzüge und Ringelsocken trugen, als Jazz "Urwaldmusik" war und in verrauchten Kellern gespielt wurde, liegen lange zurück. Gestern wurden sie bei einem kühlen Weißwein im Kerg-Museum lebendig, als Theo Stemmler aus seinem noch unveröffentlichten Buch "El Paradiso" las und das Gehörte immer wieder mit musikalischen Kostproben seines "College Jazz"-Trio anreicherte.

Der Name des emeritierten Literaturwissenschaftlers, der seit Jahren "benefiz" für den Kulturkreis (KKS) als Betreiber des Museums spielt, "ziehe" offensichtlich, bemerkte KKS-Pressewart Dieter Weitz eingangs beim Blick auf die fast voll besetzten Stuhlreihen. Dann stellte sich Drummer Markus Braun mit einem starken Solo vor, während Rüdiger Mayer seinem Bass später bei "Birks Works" von Dizzy Gillespie eindrucksvolle Klänge entlockte.

Entführt in die Fünfziger

Bebop, Standards und Swing entführten in die Fünfziger, in einen Bonner Vorort und in die dortige Kneipe "Rheinhof". Zwischen Resopaltischen, Plastikrosen und Herrengedecken hatte der damalige Teenager Stemmler mit seiner Band die ersten Auftritte: "Tanzmusik mit wenig Niveau, aber die Gäste erwarteten auch keines." Ab und zu wurde in der vornehmen "Lesegesellschaft" vor blauhaarigen, dick gepuderten Damen gespielt, und irgendwann landete die Combo auch im "Paradiso", wunderschön beschrieben als "Mischung aus Edelpuff und Nachtklub".

Stemmlers pointierte Beschreibungen machten Spaß und hauchten der ganzen Staffage auf eigenwillige Weise Leben ein: den langbeinigen Bedienungen in Stöckelschuhen und Zofen-Kostümen, ihrem ständig betrunkenen Chef, der später an Leberzirrhose starb, aber auch den aufmüpfigen Bandkollegen, die immer wieder Vereinsfeiern oder Abschlussbälle mit Cool-Jazz-Einlagen aufmischten oder auch mal Musikerkollegen Prügel androhten, um an ihre Gage zu kommen.

In späteren Jahren wurde im feinen "Redoute" der einstigen Bundeshauptstadt gespielt, vor schwer alkoholisierten Abgeordneten, Diplomaten und älteren Herrschaften, die den Schlager aus dem Film "Der Blaue Engel" hören wollten. Weshalb die "College-Jazzer" auch ihre Version von "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" folgen ließen.

Bevor die Matinée in einer melancholischen Schluss-Parade mit "As Time Goes By" ausklang, ging es aber noch zu einem sehr nachdenklichen Abstecher ins Spielcasino und zu "La Vie En Rose": Das konnte der Pianist, der sonst mit flüssigen Läufen und perlenden Soli glänzte, nicht spielen, weil es für ihn mit der Erinnerung an einen Spieler verbunden war.

"Er hat 100.000 Mark verloren", munkelte man in der Bar, als der Mann mit großer Ruhe eine Lokalrunde "Bommerlunder mit Pflaume" orderte, dem Pianisten zehn Mark Gage für das Chanson hinlegte und dann nach draußen ging, um sich zu erschießen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung