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08.06.2017

Eisdielen und Bäckereien wollen Preisexplosion abfangen

Tropensturm trifft "schwarzes Gold", massive Ernteausfälle auf Madagaskar

on Stephan Kraus-Vierling und Frederick Mersi

Schriesheim/Edingen-Neckarhausen. Noch macht sich Gabriella Ferrario keine Sorgen wegen "Enawo". Der tropische Wirbelsturm könnte für Eisdielenbesitzer wie sie langfristig aber zu einem Problem werden: Auf Madagaskar machte der Zyklon im März einen großen Teil der Vanille-Ernte zunichte. Sonst kommen etwa 80 Prozent der besonders edlen Bourbon-Vanille von der ostafrikanischen Insel. Prompt ließen die Ausfälle den Kilopreis von rund 150 Euro auf über 500 Euro explodieren. Welche Auswirkungen hat das auf Bäckereien und Eisdielen?

Gabriella Ferrario, Inhaberin des "Dok:Café" im Ärztehaus an der B 3, hat die Preiserhöhungen bei Vanille bisher noch nicht zu spüren bekommen. "Bis jetzt ist das noch nicht so dramatisch." Zweiwöchentlich kauft sie die Zutaten für ihr Speiseeis bei ihrem Lieferanten, dort seien die Preise bisher einigermaßen stabil. "Wenn es aber teurer wird und dann noch schlechtes Wetter dazukommt, wird es schwierig", sagt sie. Die Preiserhöhungen wolle sie aber nicht an die Kunden weitergeben.

Vanille als Zutat könnte 17 Mal teurer werden

Vanilleeis ist bei aller Sortenvielfalt in der Kühltheke nach wie vor der Star unter den Klassikern. So macht die Sorte etwa in Salvatore Scorciapinos Café "Piccola Taormina" an der Neckarhäuser Hauptstraße im Oberdorf ein Viertel des gesamten Eisverkaufs aus. Sein Hersteller Giuseppe Avanzato, Chef von "Castello Gourmet-Eis" im pfälzischen Kirrweiler und beim RNZ-Gespräch mit Scorciapino gerade vor Ort, bestätigt das: "Wir produzieren täglich 3500 Kilo Eis, davon sind 800 Kilo Vanilleeis." Und das bei rund 80 Sorten im Angebot.

Zum Glück baue neben Madagaskar auch die Südseeinsel La Réunion die Bourbon-Vanille an, "mit super Qualität", so Avanzato. Synthetisch hergestelltes Vanillin komme für ihn nicht in Frage. Und auch wenn die Verteuerung seinen Gewinn schmälere, könne er deshalb "nicht eben mal" die Preise erhöhen. Zumal es auch bei anderen Grundprodukten und Zutaten öfter böse Überraschungen gebe. So habe sich der Kilopreis bei Pistazien vor Jahren mehr als verdoppelt, sei weiter gestiegen und liege heute bei über 100 Euro. Auch bei Nüssen sei der Preis im vergangenen Jahr nach oben geschnellt.

Sogar die Milch sei mal wegen besonders großer Importe Chinas plötzlich doppelt so teuer gewesen, erinnert sich Cesare Di Leone, Besitzer zweier Eiscafés "Leone" in Edingen vis-à-vis vom Rathaus. Doch sei es beim Eis immer eine Mischkalkulation, nicht anders jetzt bei der Preisexplosion der Vanille.

Bäckermeister Stefan Heiß aus Schriesheim kann sich dagegen nicht erinnern, schon einmal eine solche Steigerung bei den Preisen seiner Zutaten erlebt zu haben. "Wenn das richtig ist, was ich gehört habe, wollen sie das 15- bis 17-fache der Vanillepreise der vergangenen Jahre verlangen", sagt er. Heiß kauft seine Vanille jedes Jahr im Spätherbst für das Weihnachtsgebäck und auf Vorrat für die Zeit danach. "Gott sei Dank", wie er jetzt sagt. Für die gewöhnlichen Hefeteige verwende er nur ganz wenig Vanille. Wenn allerdings Kekse wie "Vanillekipferl" im Dezember besonders gefragt sind, benötigt er deutlich größere Mengen. "Das wird sich dann auch auf die Preise niederschlagen", sagt er. Welches Weihnachtsgebäck wie teuer wird, werde sich bei seiner nächsten Bestellung im Oktober oder November herausstellen.

Gelassen nimmt dagegen der Neckarhäuser Bäckermeister Werner Hemberger die Nachricht von Zyklon "Enawo": "Solche Hiobsbotschaften kriegen wir immer wieder." Aber die Suppe werde meist nicht so heiß gegessen, wie gekocht. Auch trifft ihn eine Teuerung weniger, denn Hemberger braucht in seiner Bäckerei an der Hauptstraße Vanillepulver meist nur zur Geschmacksabrundung, etwa im Rührkuchen oder im Streuselteig.

Erst recht entspannt sieht das Thema sein Edinger Berufskollege Peter Kapp. Er setze bei süßen Teilchen, Croissants oder Plundern ohnehin auf die Butter als Geschmacksgeberin. Beim Kuchen vertraue er auf den Eigengeschmack des jeweiligen Obstes. Zudem verweist der aus dem Fernsehen und eigenen Brot-Büchern bekannte "Artisan Boulanger" ("Back-Kunsthandwerker") auf die heute große Bandbreite der Aromageber. Im Kommen sei in diesem Bereich die Tonkabohne, die in Südamerika, Trinidad und im tropischen Afrika angebaut wird, oder Bergamotte als Aromageber.

Ersatzstoffe statt Bourbon-Vanille ist keine neue Entwicklung: Die Wiener Rindfleisch-Spezialität "Vanillerostbraten" wird zum Beispiel mit Knoblauch zubereitet. Den nämlich nannten die Österreicher früher daher mit einem Augenzwinkern "die Vanille des kleinen Mannes".

"Nimm das bill’je, das bill’je Vanillje-Eis, -Eis, -Eis…", heißt es zwar in einem alten Schlager, den in Edingen der unvergessene Horst Schlecht gern im "Fortuna"-Kerwezelt sang. Doch mag auf Berlinerisch "das billige" zwar auf "Vanille" reimen, in Wahrheit aber war das aus den Schoten der "Vanilla"-Pflanze gewonnene Gewürz früher schon eine Kostbarkeit. Und wegen der arbeitsintensiven Anzucht und Verarbeitung dieser ursprünglich aus Mexiko stammenden Orchideenart ist echte Vanille bis heute ein hochpreisiges Produkt.

Wie groß die Preisschwankungen durch Ernteausfälle und Spekulationen an der Börse inzwischen aber sind, lässt sich an Zahlen ablesen: Zwischen 2003 und 2013 lag der Vanillepreis bei einem historischen Tief von etwa 30 Euro pro Kilogramm, die produzierenden Landwirte begannen deshalb sogar, das kostbare Gewürz einzulagern. Das könnte die Preisexplosion auf Preise von über 500 Euro zumindest ein wenig mindern.

Doch neben allen Auswirkungen auf den Weltmarkt hat Tropensturm "Enawo" vor allem die Einwohner Madagaskars getroffen: 78 Menschen starben, mehr als 50.000 verloren ihr Zuhause. Dass in der Region das Weihnachtsgebäck etwas teurer werden könnte, lässt sich im Vergleich dazu wohl verkraften.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung