Schriesheim im Bild 2023

28.08.2017

Branichtunnel wird weniger genutzt als erwartet

Bewohner der Talstraße klagen über nach wie vor hohe Lärmbelastung

Von Christina Schäfer und Frederick Mersi

Schriesheim. Es war ein Thema, das Ende Juni den Workshop zu einem möglichen Sanierungsgebiet "Talstraße" bestimmte: die Verkehrsbelastung auf eben jener Straße nach Eröffnung des lang ersehnten Branichtunnels, speziell mit Blick auf die Geschwindigkeit. Dabei sehen die Ergebnisse der jüngsten Verkehrsmessung aus dem Mai 2017 durchaus gut aus. Die Anwohner sind trotzdem in Sorge.

"Es ist verwunderlich, dass hier noch nicht mehr passiert ist", sagt Petra Thoni. Sie wohnt seit 25 Jahren in ihrem Haus in der Talstraße, nicht weit entfernt vom Bergwerk. Jetzt sitzt sie in ihrem Wohnzimmer, vor dem die Autos vorbeifahren. Jedes einzelne hört man. Mal mehr, mal weniger. "Der Lärm ist immer da, aber es ist ein Unterschied, ob sie sich an das Tempolimit halten oder vorbeirasen", sagt Thoni.

Erlaubt sind 30 Kilometer pro Stunde. Die meisten Autofahrer halten sich daran. Bei der letzten Geschwindigkeitsmessung im Mai dieses Jahres waren es 85 Prozent. Die Messungen aus den Monaten November und Dezember 2016 bestätigen das. Entsprechend positiv ordnet Dominik Morast vom Ordnungsamt der Stadt das Verhalten der Autofahrer ein. Es sei das ganz normale Bild einer Dreißigerzone, sagt er - auch mit Blick auf die Ausreißer. 71 Kilometer pro Stunde verzeichnete das Messgerät am Sonntag, 14. Mai, 18.26 Uhr. Im Dezember 2016 lag der Spitzenwert bei 85 Kilometer pro Stunde. Wenn sie selbst Auto fahre, komme es vor, dass sie von Rasern überholt werde, sagt Thoni: "Und die Lichthupe ist Standard."

Mehr als die 30 Kilometer pro Stunde gebe die Straße nicht her, ist ihr Vater Dieter Thoni überzeugt. Die Talstraße ist eng, kurvig, unübersichtlich. Sie brauche manchmal zehn Minuten, bis sie überhaupt aus ihrer Einfahrt auf die Straße nach links einbiegen könne, sagt Petra Thoni. Denn auch wenn der Branichtunnel für Entlastung sorgt, ist die Talstraße weiterhin stark frequentiert.

Das hat auch eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Gerhard Kleinböck ans Verkehrsministerium des Landes ergeben: Durchschnittlich schoben sich demnach im April 6100 Autos täglich durch den westlichen Teil der Talstraße, "eine höhere Entlastung als angenommen", so das Ministerium. Eigentlich habe die Behörde mit 9700 Fahrzeugen pro Tag gerechnet.

Die Anwohner sehen die Zahlen weniger positiv. An einigen Häusern sind Plakate angebracht: "Tunnel benutzen!", werden die Autofahrer in knalligem Rot aufgefordert, "immer noch 6000 Pkws am Tag". Die tatsächlichen Zahlen könnten auch darunter liegen: Bei einer Messung im Mai wurden im Durchschnitt Datensätze von nur gut 4200 Autos am Tag gesammelt. Unmittelbar vor der Tunnelöffnung waren es laut Mitteilung der Verwaltung bis zu 15.000 tägliche Fahrten. Eine Reduzierung um mehr als 70 Prozent.

11.000 Autos fahren laut Verkehrsministerium pro Tag durch das 92 Millionen Euro teure "Jahrhundertá †bauwerk". Zusammen mit den 6100 Fahrten durch die Talstraße wird klar: Insgesamt fahren seit der Tunneleröffnung 2000 Autos mehr auf dieser Route, von denen weiterhin ein recht großer Teil die Talstraße nutzt. Petra Thoni würde sich wünschen, dass der Tunnel noch mehr genutzt wird, ist aber gleichzeitig skeptisch: "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier." Außerdem sieht sie auch Nachteile der Verkehrsabflachung: "Es sind wesentlich weniger Autos, aber die sind jetzt schneller."

Das wird von den Zahlen des Verkehrsministeriums gestützt: Vor der Tunneleröffnung wurde bei den monatlich zwei Messungen in der Talstraße bei 4,52 Prozent der Fahrzeuge eine erhöhte Geschwindigkeit festgestellt, heute bei 6,67 Prozent. Während früher also 550 von 12.200 Autos täglich zu schnell fuhren, sind es heute noch immer 380 - bei über 50 Prozent weniger Verkehr.

Dieter Thoni wäre deshalb eine Tempo-20-Zone auf der Talstraße recht. "Als Abschreckung, um die Talstraße nicht mehr als Durchgangsstraße zu nutzen", wie er sagt. Und damit nichts Schlimmeres passiert. Er stuft das Unfallrisiko als überaus hoch ein. Die Polizei teilt dazu mit, dass es seit 2014 zu insgesamt fünf schwereren Unfällen gekommen sei. In keinem Fall sei jedoch eine eindeutig zu hohe Geschwindigkeit die Unfallursache gewesen.

Trotzdem ist die Geschwindigkeit Thema bei Anwohnern und im Rathaus, speziell bei der Vorbereitung des avisierten Sanierungsgebiets. "Dazu wird es seitens der Stadt eine Ideenfindung geben", sagt Dominik Morast. Man werde die enge Abstimmung mit den zuständigen Ämtern suchen und alle Möglichkeiten ausschöpfen. Doch die sind eingeschränkt. Das weiß auch Dieter Thoni und bestätigt, was Morast sagt: Die Talstraße ist und bleibt, auch nach einer Umwidmung von der Landes- zur Ortsstraße, die Ausweichstrecke des Branich- tunnels. Daher müssen Lastwagen sie problemlos passieren können.

Petra und Dieter Thoni bringen Blitzer ins Spiel. Aber nicht aus dem Auto raus. Das sei auffällig und außerdem "muss man abbremsen, um daran vorbeizufahren". Sprich: Der Radarfalle wird die geringe Straßenbreite zum Verhängnis. Petra Thoni muss lächeln angesichts der Unwahrscheinlichkeit, dass Raser in der Talstraße Bußgelder zahlen müssen. Das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises hatte erst kürzlich auf Nachfrage erklärt, dass es in der Talstraße keinen fest angebrachten Blitzer geben wird.

Kleinböck sieht trotzdem noch "Potenzial, die Anwohnerinnen und Anwohner weiter zu entlasten". Er verweist auf die "bei weitem noch nicht vollends ausgenutzte Kapazität des Tunnels". Prognostiziert war ursprünglich, dass 13.100 Autos die neue Strecke durch den Branich nutzen würden. Neben Geschwindigkeitskontrollen sieht Kleinböck vor allem bauliche Veränderungen als wichtiges Mittel, mehr Verkehr in den Branichtunnel zu leiten.

Begonnen werden kann damit frühestens nach der Umwidmung zur Ortsstraße. Das Land und die Stadt verhandeln derzeit noch, wie viel Geld für anstehende Sanierungen gezahlt werden muss. Bis dahin werden die Thonis mit dem Lärm zu schneller Autos weiter leben müssen.

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung